Am vergangenen Sonntag habe ich in der Predigtreihe „Heldengeschichten“ über den Propheten Jona gesprochen – vielleicht die größte Witzfigur in der Bibel.
Die Jona-Geschichte ist nicht nur bissig, sondern auch aktuell. Zum Ende dieser Woche kommt ja nun der Brexit – und da gibt es eine bemerkenswerte Parallele zwischen der Gemütslage heutiger Engländer und des Propheten vor Ninive.
Der bockige Prophet – Predigt vom 26. Januar 2020
Im Spiegel beider Geschichten lässt sich dann auch ein Blick auf uns selbst werfen. Wir Wirtschaftswunderkinder stehen vor der Aufgabe, einen Weg in die Postwachstumsgesellschaft zu finden. Der Seegang wird rauer. Doch auch da hilft die Konfrontation zwischen Gott und Jona weiter.
Ein paar Tage nach Weihnachten flatterte mir ein Text über Engel auf den Tisch – noch einer! Diese Engelbande hatte mich schon den ganzen Advent über genervt mit ihrer harmonischen Harmlosigkeit.
Engel dichten die Lecks der Wohlstandsgesellschaft ab: Sie verglitzern die Sinn-Lücken des Überkonsums, indem sie so etwas simulieren wie Transzendenz, Himmel und Heiligkeit. Und das ganz ohne bohrende Fragen.
Sie dekorieren die Sicherheitslücken unseres Lebens in der Gestalt von Schutzengeln. Sie helfen uns zu vergessen, wie endlich und verwundbar wir sind. So können wir angesichts all der Kranken, der Katastrophenopfer, der Toten, der unschuldig Leidenden immer noch süß schlafen.
Diese Engel sind eine Art persönlicher himmlischer Butler. Sie tragen ihren Schützling auf Händen und packen ihn in Watte – der Traum aller Helikoptereltern! Sie sagen nichts mehr über Gott und alles über uns. Wir fühlen uns mit Engeln ja so viel wohler. Sie verlangen nichts von uns, sie durchkreuzen keine Pläne und sie fragen nicht „Wo ist dein Bruder?“
Vielleicht hat Jesus ja deshalb Engel-Eskorten abgelehnt, sich lieber die Hände schmutzig gemacht und sich anspucken lassen.
Warum sagen die echten Engel eigentlich als erstes immer „Fürchte dich nicht?“ Weil sie im nächsten Satz von Gott reden, anstatt unsere Bestellungen aufzunehmen. Und weil es ihrem Gegenüber gerade dämmert, dass es mit dem ruhigen Leben und geflegten Händen jetzt vorbei ist.
So ein S-Bahn-Zug bringt die unterschiedlichsten Charaktere zusammen. Oft nur still, aber hin und wieder auch hörbar. Letzte Woche war die abendliche Bahn gut gefüllt. Kurz vor Abfahrt am Hauptbahnhof stieg noch jemand zu und suchte einen Platz. Es gab hier und da noch freie Sitze, allerdings nicht im Bereich für Kinderwägen und Fahrräder. Da standen schon zwei Drahtesel.
Der Mann begann die Mitreisenden zu fragen, ob man die beiden Fahrräder nicht zusammenstellen könnte, um weitere Sitzplätze frei zu bekommen. Als er keine Reaktion bekam, sagte er laut und mit hörbar osteuropäischem Akzent „Scheiß Fahrräder!“. Worauf ein brummiger, korpulenter Franke prompt – noch lauter – mit einem „Scheiß Ausländer!“ antwortete.
Die anwesende Pendler-Community reagierte routiniert mit Deeskalation. Etliche Passagiere boten dem Osteuropäer einen Platz neben sich an und widersprachen damit dem fremdenfeindlichen Polterer. Der Fahrradmuffel allerdings schmollte und blieb lieber stehen. In Erlangen dürfte er dann seinen Klappsitz bekommen haben. Da steigen die meisten Radfahrer nämlich aus. Ich hingegen war froh, dass ich das Rad nicht im vollen Zug dabei, sondern am Bahnhof geparkt hatte. Und ein bisschen stolz, dass neben den zwei Hitzköpfen so viel Vernunft im Wagen war.
Das neue Jahr hat begonnen und kurz bevor alles so richtig Fahrt aufnimmt, ist ein kurzer Rückblick angebracht. Die erste Hälfte des alten Jahres war ich noch mit Ankommen in der neuen Gemeinde beschäftigt. Wichtiger als die Frage, was mir denn vorschwebt oder liegt, war dabei die Frage, was die Gemeinde und mit ihr der Stadtteil denn braucht.
Ich erlebte alle Feste und die damit verbundenen Gewohnheiten und typischen Abläufe zum ersten Mal. Das erste Wochenende mit dem Kirchenvorstand und der erste Konvent mit den Kolleg*innen aus dem Prodekanat im Sommer waren beide auf die richtige Art intensiv und entspannt. Die unternehmungslustigen Konfirmand*innen vom Frühjahr wollten unbedingt noch einmal wegfahren. Für rund 20 Kirchtürme in und um Nürnberg habe ich im Sommer ein Banner produziert, das wir in der Klima-Aktionswoche um den 20. September herum dann aufgehängt haben.
Vor der Lorenzkirche in Nürnberg
Ende Juli war dann meine akribisch erstellte und verabschiedete Dienstordnung schon wieder Makulatur: Die zweite Pfarrstelle wurde zum September frei und ich wurde gebeten, diese zu übernehmen. Das war noch einmal ein Umbruch. Seither habe ich mehr mit Menschen unter 18 zu tun als drüber: Konfis, Grundschulkinder, Jugendliche. Wenn ich jetzt Gottesdienste halte, dann oft mit Schulen und Kindergärten, Kleinkindfamilien und Krippenspielern. Predigtkünste sind da Nebensache, das ist sicher der größte Unterschied zu den Jahren vorher. Meine Redeanteile liegen im einstelligen Minutenbereich und haben im besten Fall die inhaltliche Komplexität einer Radioandacht. Andere Dinge sind wichtiger: In der „Arche“, einem schon leicht abgewetzten Kinder- und Jugendhaus, hatte ich schon von Anfang meiner Zabo-Zeit an ein Büro. Nun bin ich auch der Hausherr, der schaut, was sich da alles tummelt. Und überlegt, was fehlt und was noch werden kann. Gut, dass ich auch da eifrige Helfer*innen habe.
Das Pendeln ist (im Winter mehr, im Sommer weniger) schon etwas mühsam. Irgendwann in der zweiten Hälfte dieses Jahres wird dann auch die Frage wieder aktuell, ob ich bleibe (und wir dann vermutlich umziehen), oder ob es irgendwo anders eine neue Aufgabe gibt.
Der Pflicht, mich als Frischling im System Landeskirche fortzubilden, bin ich gerne nachgekommen und im Zuge dessen erst zur re:publica 2019 nach Berlin und im Herbst zu „Predigen wie TED“ nach Wittenberg gefahren, um meinen geistiges und handwerkliches Repertoire zu erweitern. Kostenlose, aber nicht weniger intensive und effektive Fortbildung war die Arbeit an Kurzandachten fürs Radio mit Christoph Lefherz in Nürnberg und Melitta Müller-Hansen in München. Und natürlich der Lorenzer Kommentargottesdienst im Mai mit Nürnbergs OB Maly. Gut, dass etliches davon schon vor dem Sommer stattfand, denn inzwischen sind die Freiräume wieder etwas geschrumpft.
Vor etwas mehr als einem Jahr spürte ich, dass ich neben allen zielgerichteten Dingen auch eine völlig zweckfreie Sache brauche. Ich habe dann meine gute alte Takamine wieder ausgepackt und neben dem Schreibtisch aufgestellt. Eine Stratocaster und eine schnuckelige Martin LX1e haben sich dazu gesellt. Wenn mir jetzt zwischen Unterrichtsentwürfen und e-Mails der Elan oder die Ideen ausgehen, spiele ich ein paar Minuten. Die Finger sind schon etwas beweglicher geworden und die Hornhaut auf den Fingerkuppen dicker. Es war also auch ordentlich Musik drin im Jahr 2019.
Endlich war auch wieder Platz im Kopf und im Kalender, um mich im Koordinationskreis von Emergent wieder einzuklinken. Wir haben ein wunderbares Con:Fusion zu den „Zeichen der Zeit“ auf dem Lindenhof in Hemmersheim verlebt, für das uns das „Terrestrische Manifest“ von Bruno Latour die entscheidenden Fragen und Stichworte gab. In diesem Jahr setzen wir das fort, mit einem Forum vom 18. bis 20. September, in Nürnberg, in der Auferstehungskirche.
Walter Faerber und Simon de Vries
Auch in diesem Blog habe ich angefangen wieder mehr über das Thema Klimakrise zu schreiben. Eine Weile hatte ich das Gefühl, es sei im Grunde schon alles gesagt. Das Thema hat mich freilich seit Jahren nicht losgelassen, bei jedem Waldspaziergang ist es ja mit Händen zu greifen. Dann dachte ich, andere sagen es besser – die Generation Greta, Extinction Rebellion oder die Fachleute, von denen Christian Lindner so gern spricht, obwohl er ihre Warnungen seit Jahren ignoriert. Ich war richtig niedergeschlagen und bin es manchmal immer noch. Schließlich merkte ich, dass ich als Christ und Theologe einfach nicht still sein kann. Im Augenblick schreibe ich zusammen mit Walter Faerber an einem Buch, das Christen zu einem nachhaltigen Engagement für eine Veränderung unseres Lebensstils zu Gunsten bedrohter Arten und künftiger Generationen ermuntert und ein paar praktische Perspektiven aufzeigt. 70% von meinem Teil des Manuskripts habe ich inzwischen eingetütet. Wenn alles gut weitergeht, erscheint es in diesem Jahr.
Eines ist schon mal sicher: Langweilig wird 2020 auf keinen Fall.
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