Fundgrube zum Bußtag

Morgen ist Buß- und Bettag, einer dieser Feiertage mit permanenter Existenzkrise. In Bayern versinnbildlicht dadurch, dass Schüler frei haben, Lehrer Konferenzen machen und arbeitende Eltern sich was einfallen lassen müssen.

Letzteres müssen auch die Pfarrer*innen, die morgen Gottesdienste halten. Unerwartete Hilfe kommt diesmal ausgerechnet vom geschätzten philosophie magazin, das pünktlich zum November mit den Thema „Vergebung“ aufwartet.

Das Dossier nimmt religiöse Bezüge auf, etwa durch den Erfahrungsbericht eines jungen Katholiken mit der Beichte. Aber eben auch da, wo Gott und christliche Tradition nicht explizit vorkommen, ist es eine gewinnbringende Lektüre. Weil ganz  unterschiedliche Perspektiven zusammentreffen. Denn unser kirchliches Reden von Vergebung krankt gelegentlich daran, dass wir uns wenig neue Gedanken machen und lieber das Bekannte wiederholen.

Mir kommt es jedenfalls so vor. Es ist nicht falsch, was ich dann höre, aber oft eben auch nicht ganz taufrisch. Vergebung ist womöglich so tief in liturgische und homiletische Routine gegossen, dass wir seltener über selbstbezügliche Selbstverständlichkeiten hinausdenken, als uns gut täte.

Greg Willson

Wer also noch in der Predigtvorbereitung für morgen steckt, findet hier reichlich gute Denkanstöße. Bei mir ist die Formulierung von Emanuel Levinas hängen geblieben, dass Verzeihen es ermöglicht, „das Band mit der Vergangenheit neu zu knüpfen“ (Seite 44). Dafür müssen alte Knoten erst mal gelöst werden. Und Derridas Hinweis (Seite 3), dass sich die Frage der Vergebung eigentlich erst richtig vom Unverzeihbaren her stellt. In einer Zeit, wo ganz fatale Verknüpfungen mit der Vergangenheit (Gaulands „Fliegenschiss“) die Runde machen und gleichzeitig Schlussstriche gefordert werden, die ins Schweigen und die Täter-Opfer-Umkehr führen, ist das hilfreich und wichtig. Die Vergangenheit bleibt dieselbe. Sie wird nicht gut. Aber wir werden frei von den Zwang, sie zu verharmlosen, zu verdrängen oder gar zu wiederholen.

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Ein Engel in Schwarz

Kürzlich begleitete ich einen Mitarbeiter der Kirchengemeinde in eine Flüchtlingsunterkunft. Es wurde allmählich dämmrig, als wir das abgelegene Gelände betraten. Ein Schlagbaum versperrte die Einfahrt. Als wir den zu Fuß umkurvten, näherte sich ein in Schwarz gekleideter Wachmann und sprach uns an.

Mir kamen sofort diverse Presseberichte in den Sinn, die alle davon handelten, wie Mitarbeiter von Security-Firmen Flüchtlinge schikanierten und Helfer abwimmelten. War das auch so einer?

Steve Halama

Wir kamen ins Gespräch, und unser Gegenüber erzählte uns, wie friedlich und angenehm die Geflüchteten seien. Und zwar nicht nur hier, sondern überall in der Stadt. Niemand brauche sich zu fürchten. Und dass man es doch verstehen müsse, wenn ein Geflüchteter Frust schiebe, weil er von Behördenmitarbeitern unfreundlich behandelt wird, unter miesen Bedingungen lebt und trotz bester Voraussetzungen keine Ausbildung oder Arbeit antreten darf. Er wurde richtig leidenschaftlich, als er auf die Ungerechtigkeit solch arroganter Willkür zu sprechen kam.

Je länger er sprach, desto beschämter betrachtete ich meine anfängliche Voreingenommenheit. Aber dann überwog die Freude, dass da jemand das Herz am rechten Fleck hat. Wenn mir das nächste Mal jemand Unbekanntes in Security-Uniform begegnet, werde ich mich an dieses Erlebnis erinnern. Und erst mal das Beste über ihn denken.

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