Deutsch zum Abgewöhnen: „Zeitnah“

Wie konnten wir uns eigentlich alle verständlich machen, als es das Kompositum „zeitnah“ noch nicht gab? Wie kamen wir nur klar mit solch kurzen, schlichten und eleganten Wörter wie „bald“, „schnell“, „eilig“ (oder sogar „unverzüglich“, „sofort“), die der Zeit ihr eigenes Reich lassen?

Die Zeit ist ja das gerade nicht, was „nah“ gewöhnlich ausdrückt, nämlich eine weitere Funktion des Raumes, ein Abschnitt auf einem Maßband, einem Lineal, einer Landkarte; lieber Immanuel Kant, wir brauchen nur heute noch eine transzendentale Kategorie.

„Zeitnah“ ist die Sprache der Projektplaner und Businessgrafiker, die ihre Wirklichkeit in Charts einsperren und mit ominösen Deadlines drohen. Es ist die Sprache der an Zeit chronisch Armen, der Ungeduldigen, der Beschleuniger, der Hektiker.

Wenn wir also das nächste Mal „Seht die gute Zeit ist nah“ singen, freue ich mich darüber, dass es noch nicht heißt, „das Gute kommt zeitnah“. Denn da geht es nicht um Termindruck, sondern um Verheißung und Erwartung. Keine Deadline, kein terminus, sondern ein neuer Anfang.

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