Missverstandene Macht: Wie Autorität und Autonomie zusammengehören

Terry Eagleton macht sich in Culture and the Death of God Gedanken über die „Religion der Humanität“. Der Glaube an die Menschheit tritt an die Stelle des Gottesglaubens, bei Ludwig Feuerbach etwa. Und er beschreibt das Missverständnis oder die schräge Karikatur der monotheistischen Religionen, die damit einhergeht. Weil das in viele Schattierungen auch heute in den Debatten auftaucht, lohnt sich ein Blick auf Eagletons Gedanken:

Wo früher Gott der absolute Monarch war, trägt für die Feuerbachianer heute der Mensch stattdessen die Krone. Theologisch ausgedrückt handelt es sich hier um ein Missverständnis des Wesens göttlicher Autorität. Theologisch orthodox ist die Auffassung, dass Gottes Souveränität nicht die eines Despoten ist, wie wohlwollend auch immer er sein mag, sondern eine Macht, die der Welt erlaubt, sie selbst zu sein. Daher ist sie eine Kritik menschlicher Souveränität, nicht deren Urbild. Die Aussage, dass Gott der Welt gegenüber tranzendent ist, bedeutet, dass er sie nicht nötig hat, und daher auch keine neurotischen Besitzansprüche auf sie erhebt. Sie steht in dieser Hinsicht wie er auf eigenen Füßen, besteht in ihrer eigenen Autonomie fort. Das ist der Grund, warum Wissenschaft möglich ist. Schöpfung ist das Gegenteil von Besitz, und göttliche Macht das Gegenteil von Unterwerfung.

Nun ist es allerdings verständlich, dass solche Karikaturen entstehen konnten. Denn bis in die heutige Zeit hinein wird in so manchen christlichen Predigten ein Gottesbild verkündigt, dass genau dieses Missverständnis zementiert: Ein despotischer Gott, der menschliche Machtstrukturen sanktioniert und rechtfertigt, ein Gott, der neurotisch kontrolliert und beherrscht, der autoritär jeden Widerspruch erstickt, der menschliche Autonomie (Wissenschaft zum Beispiel) als potentiellen Aufruhr misstrauisch beäugt und mit Vorschriften (Bibel bzw. deren buchstäbliche Auslegung) gängelt.

Wir könnten also anfangen, diese seltsamen Vorstellungen von Gottes Souveränität (aktuell besonders beliebt im Neocalvinismus und bei Rechtskatholiken) auszumisten. Vielleicht macht das dann die Debatte, ob Monotheismus und Toleranz kompatibel sind, irgendwann wieder etwas einfacher. Vielleicht setzt sich die Erkenntnis dann durch: Gottes Souveränität ermöglicht es uns, wir selbst zu sein.

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