Ein aufschlussreiches Geheimnis

Liebe Brüder und Schwestern, ich will euch dieses Geheimnis nicht vorenthalten, damit ihr nicht auf eigene Einsicht baut: Verstocktheit hat sich auf einen Teil Israels gelegt — bis sich die Völker in voller Zahl eingefunden haben. Und auf diese Weise wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: Kommen wird aus Zion der Retter, abwenden wird er von Jakob alle Gottlosigkeit. Und dies wird der Bund sein, den ich mit ihnen schliesse, wenn ich ihre Sünden hinweggenommen habe.

Im Sinne des Evangeliums sind sie Feinde, um euretwillen, im Sinne der Erwählung aber Geliebte, um der Väter willen. Denn unwiderrufbar sind die Gaben Gottes und die Berufung. Wie ihr nämlich Gott einst ungehorsam wart, jetzt aber durch ihren Ungehorsam Barmherzigkeit erlangt habt, so sind sie jetzt ungehorsam geworden durch die Barmherzigkeit, die euch widerfuhr — damit auch sie jetzt Barmherzigkeit finden. Denn Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um allen seine Barmherzigkeit zu erweisen. (Römer 11,25-32)

Paulus kündigt an, er werde ein Geheimnis lüften. Ich höre ihn fast flüstern, als beugte er sich herüber, um es mir ins Ohr zu sagen.  Ich werde neugierig und ein bisschen skeptisch: Ist Paulus ein Engel erschienen, hatte er einen Traum oder eine Vision? Und um was für ein Geheimnis hadelt es sich? Ein Kindergeheimnis – wie von einer Märchenwelt hinter den Wandschrank, von einem Schatz, der im Keller verbuddelt ist, oder davon, dass der klapprige alte Mann von Gegenüber in Wirklichkeit ein mächtiger Zauberer ist?

Erwachsenengeheimnisse sind ja meist alles andere als zauberhaft. Sie handeln allzu oft von Affären und Intrigen, von Steuerbetrug und Fahrerflucht, Doping, Wortbruch oder Waffenhandel. Es gibt unter Erwachsenen obendrein dubiose Pseudogeheimnisse, etwa die Behauptungen verschiedenster Verschwörungstheoretiker, dass hinter praktisch allen Problemen unserer Zeit in Wahrheit die Freimaurer, die CIA oder die Gülen-Bewegung stecken.

Schließlich gibt es noch offene Geheimnisse: Dinge, von denen jeder weiß, über die aber niemand redet. Heiße Kartoffeln, an denen man sich nur den Mund verbrennen kann. Israel ist eine solch „heiße Kartoffel“ für manche. Das liegt an der schwierigen Geschichte, die wir mit Israel haben, als Christen wie als Deutsche. Bis heute ist zudem der Nahostkonflikt ungelöst, die Spannungen zwischen Israelis und Arabern nehmen eher zu als ab. Da ist es einfacher, gar keine Position zu beziehen.

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Aus der schwierigen Geschichte, die Gott mit seinem Israel verbindet, erzählt Paulus viel im Römerbrief. Und dabei dreht sich für ihn alles um das Thema „Gerechtigkeit“. Das ist nicht etwa juristisch gemeint, sondern er schildert die Treue Gottes zu seinen Verheißungen und seinem Bund mit Abraham und dessen Nachkommen. Indem er treu und unbeirrt seine Zusagen hält, indem er vergibt und barmherzig bleibt, erweist sich Gott als gerecht.

Der Jude Paulus kann, wie die großen Propheten vor ihm und wie Jesus selbst, die Geschichte Israels als eine Geschichte der Treue Gottes erzählen. Immer wieder steht sie in Kontrast zu Israels Untreue; dennoch lässt Gott die Beziehung zu seinem „widerspenstigen“ Volk (so steht es bei Jesaja) nie abreißen. Er hat sich Israel unter allen Völkern der Welt gerade deshalb ausgesucht, weil es weder besonders reich und schön, noch besonders mächtig und stark und auch nicht besonders moralisch oder klug ist. Sondern weil er eine Alternative schaffen will zu dem Großreichen der Antike, die allesamt auf Gier, Gewalt und Größenwahn gegründet sind.

Dem Stammvater Jakob, in jungen Jahren ein windiger Hochstapler, gibt Gott den Namen „Israel“, „Gottesstreiter“. Eine Eigenart Israels ist , dass es mit seinem Gott und dessen unbegreiflichen Wegen hadert, dass es beim Versuch, ihm gerecht zu werden, immer wieder scheitert, und dass es seinen göttlichen Liebhaber (der Bund ist wie eine Ehe) wie eine femme fatale behandelt, die alle Annehmlichkeiten der Beziehung mitnimmt und ihn im Gegenzug mit ihren ständigen Eskapaden verletzt.

Hätte Gott einen Beziehungs-Status auf facebook gehabt, er hätte die meiste Zeit auf „es ist gerade kompliziert“ gestanden. Und so entschließt Gott sich zu einer Trennung, um die Beziehung zu retten: Israel geht ins Exil, Jerusalem wird zerstört. Alles zurück auf Null, als wäre das Volk wieder in Ägypten, als zögen die Väter mit ihren Sippen wieder heimatlos durch die Steppe. Dazu sprechen die Propheten rätselhafte Worte über Tod und Auferstehung, über Untergang und Neuschöpfung.

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Israels Geschichte verdichtet sich in Jesus: Wie Abraham ist er erwählt, aufzubrechen; wie Mose gesandt, um das Volk zu befreien; wo Josua durch den Jordan zog, wird er getauft; als Sohn Davids zieht er in Jerusalem ein, und dann fällt er – in einer dramatischen Wende – wie der letzte König von Juda in die Hände der Heiden, wird weggeführt in den Untergang. Alles zurück auf Null. Doch dann wird er von den Toten auferweckt. Für Paulus ein offenes Geheimnis, über das er in den Synagogen und auf den Straßen der antiken Städte spricht. Israels kommende Wiederherstellung, der erneuerte Bund, die Vergebung der Sünden, die Geburtswehen der neuen Welt – alles ist schon in der Auferweckung enthalten.

Doch noch ist Israel nicht so weit. Wie Jesus über Jerusalem weinte, das seine Botschaft vom Neuanfang nicht hören wollte und im Begriff war, sich zu radikalisieren – unaufhaltsam der nächsten Katastrophe entgegen –, so betrauert Paulus die „Verstocktheit“ seines Volkes. Israel ist – um ein anderes Wort zu gebrauchen – immunisiert gegen die gute Nachricht. Im wenig imposanten Auftreten Jesu von Nazareth erkennt es nicht den Messias, in seinem wehrlosen Leiden und seiner rätselhaften Auferweckung nicht den Schlüssel zum geheimnisvollen Plan Gottes, der sein Ziel – wieder einmal – auf verschlungenen Wegen erreicht.

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Kein Wunder also, dass Paulus sich mit der Frage herumschlägt, ob denn Gottes Verheißung „hinfällig geworden“ sei. Auch nach Ostern hielten Israels Eliten und die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung den gekreuzigten Jesus für gescheitert hielten, für einen falschen Propheten. Sie ignorierten seine Botschaft von Gottes Option für die Armen, von Frieden durch Vergebung, Gewaltfreiheit und Liebe zu den Feinden. Die nächste Zerstörung der Stadt und des Tempels durch die Römer 70 n.Chr. lag damals noch mehr als zehn Jahre in der Zukunft. Man hätte aber auch so schon meinen können, Israel sei für Gott endgültig „verloren“. Verloren in dem Sinne, dass alles, was Gott mit dieser Welt noch vorhat, nun ohne Israel und an ihm vorbei passieren muss.

Ganz im Gegenteil, hält Paulus hier dagegen: Dass Israel so ablehnend auf das Evangelium reagiert, ist keine Panne. Es ist vielmehr der Grund dafür, dass Gottes Barmherzigkeit nun zu den Heidenvölkern kommt und dort um so mehr Anhänger findet. Dass es so ist, muss man den Römern nicht mehr beweisen, sie sehen es an sich selbst. Es ging Israels Gott ja schon immer auch um die Heiden. Früher oder später, davon ist Paulus überzeugt, wird es die verschüttete Sehnsucht Israels wecken, dass so viele Heiden dem Messias folgen.

Vielleicht stellt Paulus sich das so vor wie die neugierigen Reaktionen in unserer (gegenüber Kirche und Christentum weitgehend immunisierten) Medienlandschaft, wenn irgendwo in Deutschland Flüchtlinge aus dem Iran oder Irak getauft werden. Was um alles in der Welt geschieht denn da, möchten plötzlich viele wissen, wenn sie in fremdländischen Gesichtern echte Freude über den neuen Glauben sehen und das vermeintlich antiquierte Bekenntnis in gebrochenem Deutsch mit orientalischem Akzent hören. Steckt am Ende doch mehr dahinter, als man bislang immer dachte?

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Bei Romanen oder Spielfilmen wäre es ein Fauxpas, zu verraten, wie die Geschichte ausgeht. Es würde die Spannung zerstören. Warum also ist es Paulus so wichtig, uns zu verraten, wie die Geschichte Gottes mit Israel und der Welt ausgeht? Vielleicht, weil es ein aufschlussreiches Geheimnis ist. Es erschließt uns Wege zu klugem Handeln in schwierigen Zeiten:

In den christlichen Kirchen wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder heftig darüber gestritten, ob Mission unter Juden erlaubt oder sogar geboten ist. Vielleicht gibt Paulus uns hier eine salomonische Antwort: Wer möchte, dass Israel zum Glauben an Jesus findet, der muss ihn unter den „Heiden“, den Nichtjuden, bekannt machen. Und darf dann geduldig und im Vertrauen darauf warten, dass die Sehnsucht erwacht und der Funke überspringt.

Gottes Treue zu Israel ist eine gute Nachricht für die Christenheit und die Welt. Für die Christenheit, weil auch wir Christen vernagelt und uneinsichtig sein können. Das Dritte Reich, das im Stadtbild von Nürnberg so tiefe Spuren hinterlassen hat, ist der beste Beweis dafür, aber nicht der einzige. Wie vom Judentum und Israel hieß es auch von uns Christen, unsere Zeit sei abgelaufen und der Glaube habe sich überlebt. Doch wer so redet, rechnet nicht mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.

In unserer Gesellschaft erleben wir, dass viele überfordert sind von Krisenbotschaften aus aller Welt. Dabei geht es uns persönlich oft gar nicht einmal so schlecht. Aber der Blick auf die Großwetterlage von Terror, Diktatur und instabilen Verhältnissen führt derzeit zu einem tiefen Pessimismus. Die Vergangenheit erscheint im Gegensatz dazu als heile Welt und gelobtes Land. Aber die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen – auch wenn manche das behaupten und damit auf Stimmenfang gehen für einen zerstörerischen politischen Kurs.

Israels Geschichte und die Jesusgeschichte, die mit Israel zutiefst verwoben und verflochten ist, verwehren uns den bequemen, passiven und ganz oft selbstmitleidigen Schritt zum Schwarzseher und die Lust am Untergang.

Es ist also ein offenes, öffentliches Geheimnis, auf das Paulus uns hinweist. Die „Informationen“ sind bekannt. Und damit ist es das krasse Gegenteil zu einem Pseudogeheimnis, das Misstrauen schürt und andere anschwärzt. Es ist ein Geheimnis aus der Erwachsenenwelt, das ihre Abgründe nicht übergeht oder kaschiert. Und doch steckt auch eine Prise Kindergeheimnis darin: Denn die Abgründe sind endlich, Gottes barmherzige Treue, seine Gerechtigkeit, dagegen ist es nicht. Sie ist nicht „zu gut um wahr zu sein“, sondern einfach zu gut, um erfunden zu sein. Und so dürfen wir mit Oscar Wilde sagen, augenzwinkernd vielleicht, und doch voller Hoffnung:

„Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.“

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„Ich will mein Leben zurück“

Der Satz „Ich will mein Leben zurück“ hat es vor vier Wochen bis in die Schlagzeilen der Tagespolitik geschafft. Die subjektive Empfindung, die er transportiert, ist die, dass ich eigentlich etwas anderes, Besseres verdient hätte. Aber irgendwie werde ich um das Glück betrogen, das mir zusteht.

Für Außenstehende kann das mal mehr, mal weniger nachvollziehbar sein. Vielleicht ist es da ganz hilfreich, sich selbst im Spiegel einer Geschichte zu betrachten. Eine Geschichte, in der sich alles um Identität, Rivalität, Manipulation und die Verwicklungen dreht, die daraus erwachsen. Eine Geschichte, in der Menschen aus der Bahn geworfen werden. Aber zugleich eine Geschichte, die eine überraschende und versöhnliche Wendung nimmt.

Diese Geschichte ist eine der berühmtesten Erzählungen der Literaturgeschichte. Sie handelt von den Zwillingsbrüdern Jakob und Esau. Jonathan Sacks hat sie in „Not in God’s Name glänzend analysiert. Meine Zusammenfassung seiner Einsichten in Form einer Predigt gibt es hier zum Anhören.

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München

Das Blut ist noch nicht getrocknet,
die Toten sind noch nicht geborgen,
Blaulicht noch auf den Straßen,
Hubschrauber noch in der Luft.

Menschen gehen in Deckung
sorgen sich um ihre Lieben.
Bittere Nachrichtenfetzen
jagen durch Netz und Äther.

Prompt rollt die zweite Welle:
Hass, der nicht wartet,
Anschlag der giftigen Worte
auf Gutmerkellinkshelferverbrecher.

Salven aus bösen Tiraden
aus Tastaturen gefeuert,
ohne Respekt für die Opfer
– ohne Interesse am Frieden.

 Wäre da nur eure Angst,
darüber ließe sich reden.
Doch diese blinde Rachsucht
birgt nur denselben Blutdurst.

DAS
macht mir
die größten
Sorgen.

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Worte sammeln für den Ernstfall

Letzte Woche saßen wir im Gott-im-Berg-Team beisammen. Wir ließen den letzten Kreuzweg noch einmal Revue passieren und sammelten schon mal ein paar Ideen für das zehnte Mal im kommenden Jahr. Es ist ein bisschen merkwürdig, wenn man im Hochsommer, wo alles so hell ist, intensiv über Kreuz und Passion nachdenkt, fand ich.

Ein Tag später kam es zu dem schweren Anschlag in Nizza und am Freitag dann zum Putschversuch in der Türkei. Und wir waren wieder mittendrin in der Frage, wo Gott in solchen Zeiten zu finden ist, und wohin wir gehen können mit unserer Trauer, Angst und Wut.

Vielleicht ist das ja der tiefere Sinn der Passionszeit, dass wir immer wieder Worte und Bilder sammeln für solche Zeiten. So wie die Maus Frederick aus meinem Lieblingskinderbuch Farben für den Winter sammelt. Damit wir, wenn es wieder einmal ganz plötzlich finster wird um uns herum, nicht bei Null anfangen, nehmen wir uns sieben Wochen jedes Jahr und stellen uns dem Leid.

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Bei Gott im Berg, das fiel mir jetzt beim Nachdenken auf, geht es uns nicht so sehr darum, Antworten zu geben. Es geht mehr darum, Fragen offen zu halten, vorschnelle Antworten zu verhindern und einen Raum zu schaffen, in dem all die Gefühle Platz haben, die uns oft problematisch und unerwünscht erscheinen. Jedes Jahr fragen wir vierzehn Mal, wo Gott in dieser kaputten Welt denn steckt.

Antworten – wenn es sie gibt – brauchen Zeit, und Menschen müssen sie selbst finden. Sie sind nicht in einem stets passenden Allzweckformat vorgegeben. Wir ziehen sie nicht fertig aus der Tasche. Im besten Fall erleiden wir die Dinge, bis sich etwas in uns löst. Die Passion in (sicher etwas willkürlich gewählten) 14 Stationen abzuschreiten ist eben auch eine Lektion darin, dass es ein innerer und oft auch äußerer Weg ist, bis wir unseren Schmerz, Zorn, Verzweiflung und Angst so weit bearbeitet haben, dass das nicht mehr übermächtig ist.

Abgehakt und abgeschüttelt – auch das lehrt das Evangelium – ist das Leiden aber auch dann nicht. Es bleibt in Erinnerung, und diese Erinnerung ist entscheidend wichtig, damit wir die Liebe und Barmherzigkeit Gottes auf den einen Seite und die Verletzlichkeit des Lebens und der Mitmenschen auf der anderen Seite nicht aus dem Blick verlieren. Darum müssen wir sie auch bewusst pflegen. Nur so nämlich wird auch der Sieg der Gerechtigkeit, für den wir beten und auf den wir hoffen, nicht zum Anlass einer gnadenlosen Abrechnung, wie sie jetzt in der Türkei droht, oder zur Jagd auf die üblichen Sündenböcke. Nicht zur Umkehr von Leid, sondern zur heilsamen Verwandlung desselben.

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Warum das mit der „Leitkultur“ nicht funktionieren wird

Gestern las ich bei Terry Eagleton einen bedenkenswerten Kommentar zur aktuellen Debatte um Kultur, namentlich die immens problematische Idee einer „Leitkultur“:

Es ist wahrscheinlicher, dass Kultur gesellschaftliche Spaltungen vertieft, statt zu versöhnen. Fangen Streitigkeiten erst einmal an, das Konzept von Kultur selbst zu infiltrieren – sind Wert, Sprache, Symbol, Verwandtschaft, Erbe, Identität und Gemeinschaft erst einmal politisch aufgeladen – hört die Kultur auf, Teil der Lösung zu sein und wird zum Teil des Problems. Sie bietet sich nicht mehr als gemeinschaftliche Alternative zu einseitigen Interessen an. Stattdessen macht sie aus einer Scheintranszendenz einen militanten Partikularismus. (Culture and the Death of God, S. 122)

Wer Leitkultur amtlich definieren und andere darauf verpflichten möchte, der nimmt sich als Konfliktpartei wie als verantwortliches Wesen aus dem Spiel und bürdet einseitig den anderen die Last auf, den sozialen Frieden zu sichern. Oder, noch wahrscheinlicher, er schiebt die Schuld für den schon längst gestörten Frieden einfach anderen in die Schuhe.

Wir haben ein Grundgesetz, wir haben die Charta der Menschenrechte. In dem Moment, wo wir anfangen, eine „Leitkultur“ zu definieren (und ohne präzise Definition wäre sie nichts wert), kommen fast zwangsläufig solche Fragen auf den Tisch wie die, ob Schweinebraten dazugehört oder welche Kopfbedeckungen und Badekleidung den Frieden im Land stören. Interessanterweise scheinen sich die Leute (und Parteien), die sich über solche Fragen ereifern, an Menschenrechten und Grundgesetz eigenartig desinteressiert.

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Isaak und Ismael – Prototypen des Streits oder der Versöhnung?

Kein Tag vergeht, ohne dass irgendwo über die Spannung zwischen Islam und westlicher Kultur (was auch immer man dann darunter versteht, liberales Weltbürgertum oder identitäre Isolation) gestritten wird. Und weil Kontrast besser in unserer zerschnipselten Kommunikation besser funktioniert und mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als Komplexität und mühsame Perspektivwechsel, die einen anderen Blick erlauben würden.

Eine (alte) Geschichte, die gerade wieder hoch im Kurs steht, lautet: „Muslime waren schon immer unsere Feinde und das wird auch immer so bleiben. Man kann sie also nur bekämpfen oder bekehren. Ergo gehört der Islam auf keinen Fall zu Deutschland.“ Umgekehrt funktioniert das freilich auch, wenn Christen in Regionen, wo sie in der Minderheit sind, verdächtigt, verfolgt und vertrieben werden.

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Bild: Unsplash.com

Juden, Christen und Muslime berufen sich auf die Herkunft von Abraham. Jener Abraham wurde – darin sind sich alle einig – von Gott erwählt. Der immer wieder aufflammende Streit dreht sich um die Frage, wer seine legitimen Erben sind (und wer nicht). Er ist fast so alt wie Abraham selbst. Genauer: Er beginnt im Verständnis vieler mit Sara und Hagar, Isaak und Ismael, mit zankenden Müttern und getrennten Brüdern.

Doch just in dieser Geschichte findet Jonathan Sacks den Schlüssel für ein friedliches Verhältnis der abrahamitischen Religionen. Nicht, indem er einen alten, sperrigen Text einebnet und modernisierend umdeutet, sondern indem er ihn genau liest, gut hinhört und sich bei den jüdischen Auslegern in Altertum und Mittelalter umschaut. Dabei macht er erstaunliche Entdeckungen. Und deshalb habe ich das entsprechende Kapitel aus Not in God’s Name vor ein paar Wochen zur Grundlage einer Predigt gemacht, weil ich es so hilfreich und wichtig fand.

Vielleicht gilt das ja nicht nur für unsere Gemeinde: Wer mag und etwa 25 Minuten Zeit hat, kann sich hier in den Podcast klicken.

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