Sekundenzweifel

Am Rande einer kleinen ökumenischen Adventsfeier komme ich mit einem Besucher ins Gespräch. Der Mann hat, so weit ich weiß, studiert und in seinem Beruf einiges von der Welt gesehen. Wir reden über Gemeindethemen und irgendwie kommen wir erst auf die Finanzkrise und dann auf dem Klimawandel. Zu beiden Themen bekomme ich lupenreine Verschwörungstheorien serviert.

Mein inneres Mikroklima oszilliert plötzlich zwischen hitzig und frostig.

Ich erkläre freundlich, dass ich das nicht für plausibel halte. Er behauptet im Gegenzug, dass Al Gores Film „Eine unbequeme Wahrheit“ in den britischen Schulen gerichtlich verboten wurde, weil er lauter Unwahrheiten enthalte. Ich kann das nicht glauben und setze mich zuhause sofort an den Rechner, um auf Spiegel Online zu lesen, dass in England ein einzelner (!) Elternbeirat gegen die Verwendung des Filme im Unterricht geklagt hatte, der offenbar nicht in sein Weltbild passte. Das Gericht wies die Klage jedoch ab. Es werden im Urteil zwar einige legitime Kritikpunkte vermerkt, Al Gores Grundaussage steht aber keineswegs in Frage.

In solchen Momenten ist man in einer bescheuerten Gesprächssituation. Man bekommt eine falsche Behauptung serviert, die man nicht sofort widerlegen kann. Ein „wusstest du schon“, wo es nichts zu wissen gibt. Und dann steht man als jemand, der etwas nur vermutet, jemandem gegenüber, der etwas weiß. Zwar ist meine Vermutung richtig und sein Wissen falsch, das weiß ich jetzt, aber das werden längst nicht alle Leute nachprüfen, die sich mit ihm unterhalten.

Zwei Dinge lerne ich daraus: Ich werde, auch wenn es schönere Dinge gibt, möglichst viele dieser Behauptungen nachprüfen und ich werde mich daran gewöhnen, dass ich mich angesichts der (irrigen und oft auch irrsinnigen) Gewissheiten anderer oft in einer gefühlt schwächeren Gesprächsposition wiederfinde. Dieses Gefühl, wenn ich mich frage, ob ich jetzt spinne oder doch wirklich der andere, lässt sich nicht abschalten.

Aber vielleicht muss ich mir immer wieder sagen, dass genau dieser Sekundenzweifel ein tröstliches Zeichen ist, weil er die meisten (r)echten Spinner anscheinend nie befällt.

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