DIe offene Bibel

Der evangelikale Querdenker Steve Chalke hat sich Gedanken gemacht, wie man Menschen wieder ein Zutrauen zur Bibel vermitteln kann. Dabei stellt er fest, dass gerade der konservative Dogmatismus vielen das Bibellesen verleidet hat, weil er die Schrift gesetzlich als Regelwerk oder aber als dogmatisch sakrosankten Lehrkodex missversteht. Beide Vorverständnisse scheitern jedoch an der unübersehbaren Vielstimmigkeit der biblischen Texte. Für Gemeinden und einzelne hat das oft schwerwiegende Folgen.

Seine Frage an die evangelikale Bewegung ist, ob dort nicht nur die einzelnen Aussagen (oft ja auch eher eklektisch und selektiv) ernst genommen wird, sondern auch die Grundstruktur der kanonischen Schriften selbst. Die wichtigsten Punkte in Chalkes Argumentation sind – kurz gefasst – folgende:

  • Er versteht die Schrift als „inspiriert“ und fordert, dass Ausleger sie mit Respekt lesen
  • Die Bibel ist eine Sammlung von Schriften unterschiedlichster Art und als solche kein „göttlicher Monolog“, sondern Resultat eines vielstimmigen Gesprächsprozesses
  • Wir begegnen darin sowohl Gottes veränderndem Handeln als auch der geschichtlich und kulturellen Bedingtheit der Menschen, die es beschreiben.
  • Man kann die Bibel daher nicht als „irrtumslos“ oder „unfehlbar“ bezeichnen
  • Die dialogische Natur der Bibel bedeutet, dass wir in diesen offenen Dialog auch selbst eintreten müssen und die Bibel gemeinschaftlich lesen und diskutieren
  • Da sie eine fortlaufende (wenn auch nicht immer lineare) Entwicklung beschreibt, kann man die Bibel nicht einfach als ein statisches Dokument lesen
  • Im Vertrauen auf den Geist Gottes und im Hören auf die Stimmen der Bibel wie auch der Christen anderer Zeiten können wir heute zu eigenen Standpunkten und Urteilen finden. Irrtümer sind dabei nicht auszuschließen.
  • Jesus als das Wort Gottes und die Jesustradition als Mitte der Schrift ist der bleibende Orientierungspunkt in unserer Beschäftigung mit den Zeugnissen der Schrift und den Fragen unserer Zeit
  • Dabei bleibt auch unser Verständnis der Bibel ein vorläufiges und in manchen Fragen werden Christen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen, die es dann geduldig auszuhalten gilt

Zum Ende hin fasst Steve Chalke zusammen, worum es ihm geht: „Wir glauben, wenn man die Bibel als einen heiligen Dialog versteht, bietet das einen authentischeren und eleganteren Ansatz, sie zu lesen und sich mit ihr zu befassen, als andere, eher dogmatische Methoden. Sie sind nicht nur anfällig dafür, Zwietracht zu säen und Konflikte zu schaffen, die der Ehre Christi abträglich sind, sondern sie führen rückblickend betrachtet oft auch zu problematischen Hypotheken, wenn neue Einblicke und neue Lesarten des biblischen Textes hervortreten.“

In eine ganz ähnliche Richtung denkt seit einigen Wochen Rob Bell, der eine Serie von Blogposts zur Frage „What is the Bible?“ schreibt, in der er an konkreten Fragen zu konkreten Bibeltexten dieses offene, dialogische Bibelverständnis durchspielt.

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