Viele andere Glaubenskurse schlagen erst einen weiten anthropologischen („Der Sinn des Lebens“) und theologischen („Gibt es einen Gott?“) Bogen, bevor sie „zur Sache“ kommen und von Jesus reden. Der Mut, mit Jesus einzusteigen, hat mir bei Alpha immer gefallen. Auch deswegen, weil ich denke, alles christliche Reden von Gott und vom Sinn des Lebens muss sich schon vom ersten Ansatz her an Jesus orientieren. Sonst landet man schnell bei philosophischen Gottesbildern, die – etwa weil sie leidensunfähig sind – sich mit der Geschichte des leidenden Messias nicht mehr in Einklang bringen lassen.
In der konkreten Umsetzung jedoch stellt uns Nicky Gumbel vor ein großes Problem, indem er sein Jesuskapitel unter die Perspektive der Zweinaturenlehre stellt. Die erkenntnisleitende Fragestellung lautet, ob Jesus nur ein guter/interessanter/naiver/wichtiger Mensch war, oder der Sohn Gottes. Denn wäre es das nicht, so sagt Gumbel mit C.S. Lewis, dann war er ein Irrer oder ein Verführer. Und so werden die Evangelien nach Hinweisen auf alles abgeklopft, was Jesus von gewöhnlichen Menschen unterscheidet; neben den Wundern gehören etwa die „Ich-bin-Worte“ aus dem Johannesevangelium zu den Belegen. Die komplexe johanneische Frage wird jedoch nirgends aufgeworfen. Die Implikation ist, dass Jesus in seiner Verkündigung neben Aussagen zur Ethik und zum Heilsweg vor allem die eigene gottmenschliche Person thematisiert.
Weitgehend auf der Strecke bleibt dabei Jesus, der jüdische Prophet, die unbestreitbar politische Dimension seiner Reich-Gottes-Verkündigung und die Kontroversen um seinen messianischer Anspruch, wie sie N.T. Wright und andere herausgearbeitet haben. Von da aus ließe sich dann sehr wohl begründen, warum die Alte Kirche Jesus mit Gott in einer ganz bestimmten Weise identifiziert hat und wie die Vorstellung von der Dreieinigkeit Gottes entstehen konnte. Im jüdischen Kontext wurde der Begriff „Sohn Gottes“ damals ohne solche metaphysischen Konnotationen verwendet. Wenn Kaiphas Jesus in Markus 14 fragt: „Bist Du der Sohn des Hochgelobten?“ dann zielt das auf den Anspruch Jesu, der messianische König der Juden zu sein.
Denn die Auffassung, Jesus sei durch Palästina gezogen und hätte ständig von sich als der zweiten Person Gottes geredet, ist historisch absurd, wie Wright immer wieder betont. Das ist vor allem ein nachösterliches Thema. Erst im Rückblick auf die Auferweckung wird das analogielose Verhältnis Jesu zum Vater im Neuen Testament zum Thema (vgl. Römer 1,4) und der jüdische Monotheismus behutsam erweitert. Man kann die Christologie des 4. und 5. Jahrhunderts nicht einfach in die Evangelientexte zurückprojizieren. Freilich hat die christliche Kirche genau das Jahrhunderte lang getan und die meisten konservativen Evangelikalen tun es bis jetzt. Und so trifft Wrights Urteil nicht nur, aber auch den Alpha-Kurs, wenn er schreibt:
Für viele konservative Theologen würde es ausreichen, wenn Jesus (irgendwann im Verlauf der menschlichen Geschichte und vielleicht aus irgendeiner Rasse) von einer Jungfrau geboren worden wäre, ein sündloses Leben geführt hätte, einen Opfertod gestorben und drei Tage später von den Toten auferstanden wäre (N.T. Wright, Jesus and the Victory of God. Christian Origins and the Question of God Vol. 2, Minneapolis 1996, S.14)
Wright hat in Simply Christian gezeigt, dass man die Frage „Wer war Jesus“ auch anders beantworten kann. Nicky Gumbel dagegen verweist zum Ende (aber eben nicht zu Beginn) seines Plädoyers (das Schlüsselwort heißt evidence) für die Göttlichkeit Jesu Christi auf die Auferstehung. Damit stellt er seine Zuhörer vor die schroffe Entscheidung nach dem Alles-oder-Nichts-Schema, wenn er schreibt:
Zum Schluss stehen wir also, wie es C. S. Lewis ausgedrückt hat, „vor einer erschreckenden Alternative“. Entweder war (und ist) Jesus der, der er zu sein behauptete, oder er war verrückt oder noch Schlimmeres. C. S. Lewis erschien es offensichtlich, dass Jesus weder verrückt noch vom Teufel besessen war, und er schlussfolgerte: „[…] das bedeutet dann aber, dass ich anerkennen muss, dass er Gott war und ist – auch wenn mir das seltsam oder furchterregend oder einfach unwahrscheinlich vorkommt.
In Wirklichkeit gab und gibt es unter Christen eine Vielzahl von Perspektiven auf Jesus mit ganz unterschiedlicher Nuancierung. Allein der Satz „Jesus war Gott“ wurde und wird unterschiedlich verstanden und ausgelegt. So aber fällt nicht nur das Jüdische an Jesus weitgehend heraus (welch eine Ironie, wenn man bedenkt, dass Nicky Gumbels Vater als gebürtiger Jude aus Stuttgart emigrierte!), es kann auch durch diese unnötige Verengung des Horizontes schon zu Beginn des Kurses ein gewisser Druck entstehen. Gute MitarbeiterInnen werden es verstehen, ihren Gästen diesen Druck wieder zu nehmen. Besser wäre es für meinen Geschmack, wenn sie das gar nicht müssten.