Glückskeks-Bibel

Neulich wieder, eine Besprechung bei einer kirchlichen Dienststelle: Der Gesprächsleiter liest den Bibelvers aus den Losungen vor, es folgt ein kurzes freies Assoziieren in der Runde, was man aus dem in sich schon schwierigen Satz für die nun anstehende Tagesordnung für Schlüsse ziehen könnte. Wir kapitulieren und gehen schulterzuckend zur selbigen über. Losungen werden ja nicht für solche Anlässe konzipiert und ausgesucht.

Wenn das unter „Profis“ schon so läuft, wie viel mehr wird das durchschnittliche Gemeindeglied an diesem Tag ebenso konsterniert über die fehlende „Relevanz“ der Bibel in seinen Tag starten (oder das Ganze gar als schlechtes Omen werten?). Ja, ich weiß, es gab auch Tage, da traf das Losungswort voll ins Schwarze. Je nachdem, wie assoziationsfreudig jemand ist, wird das unterschiedlich oft der Fall sein, dass einem so ein Wort den Tag über neue Erfahrungen aufschließt.

Die Losungen können nichts dafür. Sie sind ja kein Orakel. Als sie erfunden wurde, las die Gemeinschaft, für die sie galten, mehr als nur (wenn überhaupt…) zwei Verse am Tag in der Schrift. Die kontextfreien Bibelschnipsel hatten also einen breiten Resonanzboden. Den kann man heute nicht mehr voraussetzen. Sie wirken eher wie eine Art christlicher Glückskeks ohne Keks.

Meine Frage ist, ob diese minimale Dosis Menschen für das dicke Buch eher interessiert oder sie immunisiert. Pauschal wird sie schwer zu beantworten sein. Ich denke, wer mit dem Bibellesen beginnt oder eher wenig liest, sollte statt einzelner Verse lieber ganze Geschichten lesen, lieber längere Zusammenhänge, lieber fortlaufend. Das wäre sozusagen der Keks zum Glücksspruch. Aber es gibt zum Glück auch andere Kekse, etwa die Tageslese.

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