Da war er, wie alle Jahre, wieder: dieser unsägliche Spruch des Angelus Silesius, diesmal in einer Facebook-Statuszeile, „und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärst doch ewiglich verloren“. Gewiss gut gemeint, vielleicht ein etwas missglücktes Echo auf Johannes 1,12 im Jargon der Mystik, da redet man eben von der Geburt des Erlösers auf dem Grund der eigenen „Seele“. Was mich trotzdem daran stört?
Erstens die implizite Drohung der ewigen Verlorenheit – die fehlt in der Weihnachtsgeschichte komplett (und selbst die Liedzeile „Welt ging verloren“ meint noch etwas anderes als das). Der Engel spricht vom „ganzen Volk“, dem die Freude gilt, nicht nur denen, die sich das Ereignis in einem noch ausstehenden zweiten Schritt irgendwie aneignen oder eine mystische Erleuchtung erfahren.
Zweitens das Ausspielen äußerer (sozialer und geschichtlicher) Wirklichkeit, auf das die Texte der Weihnachtsgeschichten ja so großen Wert legen, gegen eine innere, die in einem Verhältnis von mehr als 1000:1 im Sinne der inneren Realität steht. Ist es denn wirklich völlig egal, was außen passiert ist, so lange das innen keine Entsprechung findet? Mag sein, dass so ein Satz den Zeitgenossen der schlesischen Engels noch etwas zu sagen hatte, heute in einem zunehmend narzisstischen und geschichtsvergessenen Umfeld, von dem Richard Sennett schon vor Jahren sagte, alles Äußere und Soziale werde ausgehöhlt und nur das zähle, was man als „relevant“ empfinde, ist es schwerlich noch sinnvoll, so zu reden. Warum soll ein Ereignis vor 2000 Jahren für mich heute irgendetwas bedeuten? In der Logik des Angelus Silesius lässt sich das jedenfalls kaum darstellen.
Drittens fehlt die Vorstellung von der „Herzensgeburt“ des Retters aus gutem Grund in den biblischen Schriften. Das Äußere, Geschichtliche und damit eben auch das Soziale – in dem Sinn, dass ich mir diese Botschaft nicht selbst sagen kann, sondern sie von einem, meist ja sogar mehreren Mitmenschen hören muss, und dass sie mich wiederum meinen Mitmenschen gegenüber verpflichtet – ist das Primäre, und eben nicht das Nachgeordnete: Wäre Christus tausendmal in meiner Seele geboren und nicht in Bethlehem, dann hätte das keinerlei Bedeutung für irgendwen auf diesem Planeten. Ich wäre allenfalls ein Freund gnostisch-eskapistischer Spekulationen. Und ich bräuchte niemand anderen außer mich selbst dafür!
Lesslie Newbigin hat all das an Silesius‘ in The Gospel in a Pluralist Society schon vor gut zwei Jahrzehnten kritisiert. Der „Pietist“ würde wie jeder Hindu „die lebendige Beziehung zu Gott“ (im Sinne einer gegenwärtigen, inneren Angelegenheit) als das Eigentliche betrachten und sie vom Geschichtlichen (bzw. dessen mühsamer Erörterung und Interpretation) abkoppeln. Man zieht die mystische Unmittelbarkeit Gott gegenüber der geschichtlichen Vermittlung vor – und gibt dabei den Bezug des Glaubens zur Welt der Geschichte, der Kulturen, der Politik und damit auch unseres konkreten Alltags insgeheim preis.
Ich finde, wer nächstes Weihnachten wieder Silesius zitiert, sollte 1.001 Euro ins Phrasenschwein zahlen oder – besser noch – Newbigins Buch auswendig lernen müssen.