Offen und unsystematisch: die Bibel

Letzte Woche stellte ich fest, dass eine christliche Zeitschrift gerade einen Auszug aus Kaum zu Fassen veröffentlicht hat, in dem es um die Bibel ging. Die Freude wich nach kurzem Überfliegen der Ernüchterung, weil die Redaktion ganz selektiv alles, was ich dort über die Uneinheitlichkeit der Texte und Widersprüche schreibe (die ich ja nicht erfunden habe, sondern mit denen viele ringen), ausgelassen hatte. Insofern spare ich mir hier den Hinweis auf die Zeitschrift – wen das Thema interessiert, der kann es lieber im Original nachlesen.

Gestern habe ich diesen Passus bei Miroslav Volf in Exclusion and Embrace (erscheint 2012 auf Deutsch bei Francke!) gefunden, der eben das noch einmal betont, was der (gewiss unbewussten) „Zensur“ zum Opfer fiel. Die Vielstimmigkeit der Schrift begründet die Vielstimmigkeit der Weltkirche – und die Freiheit zur wie auch die Notwendigkeit von Kontextualisierung. Weder das eine noch das andere lässt sich auf einen einzigen gemeinsamen, stimmigen Nenner oder in ein geschlossenes System bringen:

Die biblischen Texte sind ein kanonisches Bündel überlappender Zeugnisse aus radikal verschiedenen Kontexten für die eine Geschichte Gottes mit der Menschheit, die in Christi Tod und Auferstehung gipfelt. Die Schrift ist uns in der Form pluraler Traditionen gegeben. Die Texte und ihre zugrundeliegende „Story der Geschichte“, die sie eint […], stellt keinen einheitlichen Traditionszusammenhang dar. Stattdessen setzt sie eine Reihe miteinander verwandter grundlegender Selbstverpflichtungen voraus – Glaubensinhalte und Praktiken. Diese Verpflichtungen können zu Traditionen weiterentwickelt werden. Aber solche Traditionen sind immer Sekundärphänomene, die im Licht der Grundverpflichtung und des kulturellen Kontextes hinterfragt und neugeprägt werden müssen.

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