Dass es unter US-Evangelikalen ein großes Umdenken und zum Teil auch eine radikale Abkehr von der irrsinnigen politischen Agenda der Republikaner gibt, habe ich hier schon mehrfach erwähnt. Inzwischen ist auch die Zeit darauf aufmerksam geworden, bei uns erschien der Begriff „evangelikal“ im öffentlichen Sprachgebrauch bisher ja eher als Synonym zu „fundamentalistisch“ und „reaktionär“.
In Deutschland ist die Bewegung weniger extrem nach allen politischen Richtungen, den frommen Eva-Herman-Fanclub mal ausgenommen. Auf einschlägigen Großverstanstaltungen treten aber immer noch mehr CDU-Abgeordnete auf.
In jeder Hinsicht bemerkenswert fand ich übrigens dieses Statement der National Association of Evangelicals, das die Zeit zitiert. Schade, dass es nicht schon auf dem Kongress in Kapstadt diskutiert wurde:
Die NAE stellt fest, dass es unter ihren 45.000 Kirchen keinen Konsens in der Frage gebe, ob die biblische Genesis als wissenschaftlicher Fakt gelehrt werden soll. Und eine Mehrheit der Evangelikalen unter 35 ist für die Schwulenehe, während die Mehrheit der Älteren eingetragene Lebenspartnerschaften für Homosexuelle befürwortet.
Ich vermute, dass es sich bei uns kaum anders verhält als in den USA. Nur dass nicht öffentlich darüber geredet wird. Die offiziellen Statements der Evangelischen Allianz geben durchweg nur die traditionell-konservative Linie wieder. Ein offenes Gespräch über die unterschiedlichen Positionen wäre für mein Empfinden längst überfällig. Freilich hätte es auch eine gewisse Brisanz, ein paar Hardliner würden bestimmt auf die Barrikaden gehen und Idea würde weniger Abos verkaufen.
Also beten wir doch für mehr Mut zur Ehrlichkeit. Das wäre doch ein schönes Zeichen, wenn unter dem Stichwort Evangelikal unterschiedliche Ansätze möglich sind, so wie in anderen, theologisch viel wichtigeren Fragen ja auch. Marcia Pally, die Verfasserin des Artikels in der Zeit, hat ihr Buch über die Neuen Evangelikalen auch auf Deutsch veröffentlicht: