Der „böse Blick“

Ich habe heute ein Telefonat hinter mich gebracht, um das ich mich eine Weile gedrückt hatte, weil ich (das merkte ich, als wir sprachen) ein Vorurteil gegenüber meinem Gesprächspartner hatte. Er entpuppte sich als ein sehr freundlicher und kompetenter Mensch und ich war danach wegen meiner nicht furchtbar, aber eben doch schlechten Gedanken hinterher etwas geschämt. Ich möchte niemand sein, der sich von Vorurteilen leiten lässt. Oft gelingt das ja auch.

Dann bin ich auf der Straße einer Verkäuferin begegnet. Neulich habe ich in dem Laden eingekauft, wo sie arbeitet. Sie ist jung, blond und gut aussehend. Aber das alles war bedeutungslos, als sie mit der älteren Dame die Geduld verlor, die vor mir an der Reihe war. Ich kann nicht mehr genau sagen, was es damals war, über das ich so erschrocken bin. Aber für eine Sekunde oder zwei strahlte dieses Engelsgesicht so eine Aggression, Verachtung, Kälte und irgendwie auch Hass aus, dass ich richtig erschrocken bin. Seither kaufe ich nicht mehr so gern in dem Geschäft ein, wenn sie da ist.

Ich habe das schon eine ganze Weile nicht mehr erlebt. Ohnehin bin ich eher jemand, der solche Erlebnisse zu erklären versucht: Hatte die Verkäuferin Kummer oder einfach einen schlechten Tag, war ein Kunde kurz zuvor unausstehlich gewesen? Oder sich eben fragt, ob das nun wieder ein Vorurteil ist. Aber diese Episode erinnerte mich an die wenigen und (in letzter Zeit besonders) seltenen Erlebnisse, wo ich jemanden als böse empfand – nicht nur erbost über irgendwas. Und das blitzte damals aus diesen blauen Augen, als die alte Frau sich etwas ungeschickt anstellte. Irgendwie fühlte mich mich allein vom Zusehen verletzt.

Als Kind habe ich Menschen, die mir böse vorkamen, immer sorgsam gemieden. Eigentlich würde ich auch jetzt gern einen Bogen um die Verkäuferin machen. Nicht weil ich denke, sie ist ein böser Mensch (als ob wir anderen alle gut wären…). Auch wenn es den „bösen Blick“ nicht gibt, schon ein einzelnes böses Dreinblicken hinterlässt seine Spuren.

Share