Abbremsen oder ganz aussteigen?

Die Zeit befasst sich ausführlich mit Kontrastprogrammen zum üblichen Konsum und interviewt den Soziologen Hartmut Rosa zum Thema Entschleunigung. Der findet, dass man nicht immer Gas geben kann:

… der flexible Mensch funktioniert nicht. Aus zwei Gründen. Wenn alle flexibel werden, haben wir keine Gesellschaft mehr. Heute haben wir flexible Eliten, die auf stabile Hintergrundbedingungen treffen. Das geht. Aber wenn alle flexibel sind, wenn alle jetten, geht nichts mehr. Dann haben wir rasenden Stillstand.

(…) Das Versprechen des Reichtums und des technischen Fortschritts war, uns frei zu machen, so zu leben, wie wir wollen. Wenn wir uns aber ständig ändern müssen, um uns den selbst geschaffenen Zwängen anzupassen, ist dieses Versprechen pervertiert. Dann leben wir nicht mehr, wie wir wollen, sondern wie eine von uns selbst in Gang gesetzte Maschine es erzwingt.

Und im Gespräch mit der Trendforscherin Faith Popcorn erscheint dieses Postulat schon als ein Trend, der sich abzeichnet:

Einige schaffen es. Wir haben eine Menge Leute kennengelernt, die aufs Land ziehen, in den Mittleren Westen, in ein einfacheres Leben. Die sagen, sie seien viel glücklicher. Die machen ihr eigenes Unternehmen auf, weil sie sagen, sie waren unglücklicher bei ihrem früheren Arbeitgeber, großen Unternehmen. Vor allem Frauen sagen das.

Und weiter sagt sie:

Aktivismus ist der neue Narzismus. Er ersetzt unsere heutige Obsession mit uns selbst. Unsere nächste Obsession wird es also sein, mit einem guten Zweck assoziiert zu sein. (…) Ich sage Ihnen, was diese ganze Arbeit mit Marken erzeugt: Die Anti-Marke. Den Wunsch, in einer Welt zu leben, die einfacher ist. Nicht überall Marken, Marken, Marken. Ich will meine eigene Marke sein! Meine eigene Persönlichkeit!

Da bieten sich doch eine Menge Anknüpfungspunkte für einen bewussten christlichen Lebensstil. Aber es ist alles nicht so leicht: Spiegel online hält dagegen mit einer kritischen Betrachtung des Typs “Aussteiger”. Nicht ganz frei von Polemik, aber es sind gute Beobachtungen darunter:

Der Aussteiger ist mitteilungsbedürftig. Er muss über sich reden, wieder und wieder, da seine neue Identität durch Kommunikation begründet wird. Da sein Profil erst in Abgrenzung sichtbar wird, neigt er zu Arroganz gegenüber jenen, denen er ein tristes, angepasstes Leben unterstellt.

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Weihnachtliche Kontraste

Die Feiertage sind vorüber und boten eine bunte Mischung von Erlebnissen. Am Heiligabend ein schöner und abwechslungsreicher Gottesdienst, nachdem wir in letzter Minute unseren fast verschollen geglaubten Beamer noch im Büro fanden. Danach ein Fondue mit unseren mächtig aufgekratzten Kindern.

Am ersten Feiertag auf dem Weg zu meinen Schwiegereltern dann der harte Kontrast: Bei Schwabach auf der A6 bremsten vor uns einige Autos, wir auch, und auf der rechten Spur lag regungslos ein Mensch, der offenbar von der Brücke gestürzt war. Wir hielten an, aber nachdem schon etliche andere Leute an der Unglücksstelle waren und die Polizei eintraf, schien es sinnvoller, weiter zu fahren. Heute steht in der Zeitung, dass eine 34jährige Frau wegen familiärer Probleme 7 Meter in die Tiefe gesprungen war. Sie ist aber – Gott sei Dank! – außer Lebensgefahr.

Eine halbe Stunde später wieder Familie, Feiern, Gespräche. Unbeholfene, aber unterhaltsame Flugübungen mit unserem Mini-Helikopter. Ab und zu wandern meine Gedanken zurück zu dem regungslosen Körper auf dem Asphalt. Zweimal in zehn Wochen Beinahe-Augenzeuge bei einem Suizid, das macht nachdenklich, selbst wenn das zweite Mal nur ein “Versuch” war.

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Weihnachten und die letzten Dinge

Jesus war für die meisten seiner Zeitgenossen ein extrem gewöhnungsbedürftiger Messias, weil er viel zu friedlich und gewaltlos daherkam. Programmatisch wird das in seiner ersten Predigt in Kapernaum, wo er Jesaja 61 zitiert und das Gnadenjahr ausruft, aber genau da abbricht, wo (das wissen seine Hörer ganz genau) von Gottes Vergeltung die Rede ist.

Manche Christen sagen nun: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, beim ersten Kommen war Jesus lieb und sanft, aber beim zweiten Kommen wird er all das nachholen, das Zuckerbrot gegen die Peitsche tauschen – und dann folgten unterschiedliche Visionen göttlichen Zorns, von Strafe und Vergeltung (und ja, es lassen sich manche Bibelstellen so auslegen – nur, ist das sachgemäß?).

Das Problem dabei ist nämlich, dass das gesamte NT davon spricht, dass Gott sich in Christus (genauer: in dem irdischen Jesus) umfassend offenbart hat. Wer also denkt dass Jesus bei seiner Wiederkunft Gerechtigkeit (das hoffen alle Christen) aufrichtet, indem er primär bestraft, vergilt und vernichtet, der nimmt diese Aussagen nicht ernst. So gesehen hätte sich Gott in Christus nämlich gar nicht offenbart, sondern als nett und freundlich verstellt, um später doch noch gewalttätig zu werden. Zudem begeht man denselben Fehler wie die Pharisäer und Schriftgelehrten zur Zeit Jesu (die konnten sich auch auf Bibelstellen berufen, aber das hat Gott anscheinend nicht davon abgehalten, genau diesen Weg zu wählen).

Also dürfen wir alle gespannt sein, wie Jesus bei seinem zweiten Kommen sich wieder als die Liebe zeigt, die sich selbst verschenkt und bis ins größte Extrem geht, um das Verirrte zu finden und zu versöhnen. Das finde ich eine wahrhaft weihnachtliche Perspektive auf die letzten Dinge. Dann hätten wir aus dem ersten Kommen vielleicht wirklich etwas gelernt.

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