“Pass auf, dass du deinen Glauben nicht verlierst”

Gestern erzählte ein Freund, wie vor Jahren ein junger Mann seine Heimatgemeinde und Kleinstadt verließ, um zu studieren. Seine Heimatbesuche versetzten die halbe Gemeinde in Aufruhr, weil er alle möglichen Fragen und Zweifel äußerte. Vor lauter Angst, er könne “ die Jugend verderben”, wurde er ziemlich unter Druck gesetzt. Das ging natürlich nicht lange gut.

Ich kenne aus eigener Erfahrung den stereotypen Reflex frommer Individuen, wenn sie hören dass jemand Theologie studiert: Pass auf, dass du deinen Glauben nicht verlierst. Ob Theologie oder nicht: Es ist völlig normal, dass man einen Glauben verliert, der davon gelebt hat, dass man sich manche Fragen nicht stellt. Das geht in der subkulturellen Blase der Heimatgemeinde vielleicht eine Weile gut, aber aufgrund der massiven religiösen Pluralisierung unserer Welt auch nicht mehr lange.

Natürlich ist die Kritik in der Theologie hier und da zersetzend über ihr Ziel hinausgeschossen. Aber es waren weniger die Extreme der Ansichten als ihre Vielfalt und die Entdeckung, dass man zu jedem beliebigen Thema ganz unterschiedliche Positionen und Meinungen findet, die neu waren. Und auf genau dasselbe Phänomen unterschiedlichster Auffassungen und Lebensweisen traf wohl auch der eingangs erwähnte Freund meines Freundes in seinem Studium – was immer es war.

Das Thema beschäftigt mich nun schon eine Weile. In einer immer noch pluralistischer werdenden globalen Welt (Peter L. Berger hat das in dem gestern erwähnten Interview schön herausgestellt) “verliert” man seinen Glauben ständig (in dem Sinne, dass er sich wandelt aufgrund der Lebenserfahrung und der Beschäftigung mit anderen Glaubensrichtungen. Man findet ihn aber auch wieder neu, wie viele Theologiestudenten. Traurig ist dann nur die Tatsache, dass der neue Glaube vom “alten” Umfeld nicht mehr als der eigene anerkannt oder gar als Gefahr und Verführung abgewiesen wird. Als wäre jede Form von Zweifel erstens böse und zweitens ansteckend.

Es gibt bei Berger den Begriff des “häretischen Imperativs”. Etwas tiefer gehängt: die vorhandene Pluralität macht im Vorfeld jeder Entscheidung kritisches Denken unausweichlich. Jemand, der mit diesen Veränderungen seines Gottesbildes ringt und dabei auch selbst das beängstigende Gefühl hat, in Glaubensfragen den Boden unter den Füßen zu verlieren, findet in einem zur Selbstkritik unfähigen und zwanghaft homogenen Umfeld keine Hilfe – im Gegenteil, seine Ängste werden verstärkt und bestätigt, so dass am Ende tatsächlich nur ein Bruch möglich erscheint. Denn zurück zu gehen in eine verlorene Naivität würde bedeuten, die eigene Integrität zu opfern – ein hoher Preis.

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7 Antworten auf „“Pass auf, dass du deinen Glauben nicht verlierst”“

  1. „Natürlich ist die Kritik in der Theologie hier und da zersetzend über ihr Ziel hinausgeschossen“ – dies, lieber Peter ist eine krasse Untertreibung. Tatsächlich kenne ich allein in meinem Umfeld viele Kirchengemeinden, die durch eine/n Pfarrer/in „betreut“ werden, die duch Pradigmen moderner (nicht als Schimpfwort sondern als Epoche ) Theologie ( „Ein Leichnam kann nicht wieder lebendig werden“ ! ) völlig vereinnahmt sind und mit Glauben eigentlich nix mehr am Hut haben. Sie müssen beim Sprechen des apostolischen Glaubensbekenntnisses nur deshalb nicht die Finger kreuzen, weil sie die Formel „mit den Worten unserer Väter“ davorstellen. Statt lebendigem Glauben findet man hier oft nur noch ein eher tristes Gutmenschentum mit einigen philosophischen, psycho- logischen und soziologischen Anleihen. Ein begeistertes Funkeln in den Augen dieser Leute kann man dann sehen, wenn sie wieder mal als Delegierte der EKHN auf einem interreligösen Austauschtrip in Indien waren (natürlich auf Kosten der Kirchensteuerzahler) und nach ihrer Rückkehr begeistert verkünden von der dortigen buddhistisch / hinduistischen Spiritualität könne man vie lernen. Traurig, traurig… Stören tut das ganze keinen, weil es auch keiner mitkriegt, in die Kirche varlaufen sich nur wenige und solange der Rubel der Kirchensteuerzahler noch rollt ist es ja auch egal ! Ich weiss, dies klingt sehr polemisch, ist aber leider auch Realität. Ich allein kenne drei Menschen, die in der „subkulturellen Blase“ ihrer Gemeinden und unseres Schülerbibelkreises einen authentischen Glauben lebten, diesen im Theologiestudium aber verloren haben und dann o.a. „Glauben“ wiederfanden, mittlerweile auch persönlich völlig am Ende sind ( Scheidung etc. ) Ein Zyniker wird einwenden, dass der ursprüngliche Glaube dann wohl nicht viel wert gewesen ist, andererseits spricht ja die Bibel deutlich von Irrlehre und Verführung. 1. Kor 1, 10 ff ist eine Interessante Stelle zum Thema Wissen(schaft) vs. Botschaft vom Kreuz -> auch für Theologen ! Um Missversändnissen vorzubeugen: Gute Theologie ist unerlässlich. „Ein ernsthafter Christ muss immer auch Theologe sein“ (Karl Barth)

  2. @ spiritus: Es ging mir nicht um eine korrekte Analyse der kirchlich-theologischen Landschaft (und Bayern ist offensichtlich nicht Hessen…), sondern um den Zusammenhang von Pluralismus, Zweifel und Kritik und die Frage, welchen Raum wir lassen für die unausweichlichen Lern- und Wachstumsprozesse, die das erfordert. Und in diesem Zusammenhang habe ich das Gefühl, dass manche Leute vielleicht weniger extrem geworden wären, wenn sie etwas mehr Offenheit und Verständnis vorgefunden hatten. Es gibt nämlich auch genau den gegenteiligen Aspekt: Leute, die von Frommen der einen oder anderen Art ziemlich unsensibel (ich untertreibe schon wieder, aber Understatement liegt mir einfach näher…) behandelt wurden.

    Aber wie gesagt, die ganze Aufrechnerei nützt hier gar nix…

  3. …da hast du zweifellos recht ! Ich denke halt, dass bestimmte wirklich katastrophale Szenarien ( auf beiden Seiten des Pferdes ! ) schon deutlich benannt werden sollten.

  4. Als ich deinen Post las, ging mir einiges durch den Kopf. Ich selber kenne diesen oben zitierten Satz und habe ihn oft genug gehört, als ich in an einer KiHo anfing zu studieren. Ich kann genauso gut die Einwände von spiritus lector verstehen, weil ich auch einen Menschen vor Augen habe, der sich sehr verändert hat, durch das diese Zeit – wohl auch ehr weg vom Glauben, wobei ich das nicht 100 % beurteilen kann.
    Was ich jedoch wichtig finde ist, im Glauben zur eigenen Mündigkeit zu kommen – das gilt für theologisch Studenten, wie Laien. Isaak und Jakob konnten nicht vom Glauben Abrahams leben. Gott ist beiden begegnet. Beide hatte ihre eigene Gotteserfahrung. Wie oft ist es so, dass junge Menschen in der Gemeinde behütet werden, damit ihnen glaubensmäßig nichts geschieht. Jakob hat mit Gott am Jabbok gerungen und hat sich nie wieder davon erholt. Aber er ist Gott begegnet und hat seinen Glauben nicht verloren.
    Die Lektüre „Stufen des Glaubens“ des Entwicklungspsychologen und Theologen James Fowler (vielleicht kennst du ihn ja) hat mir geholfen einen rechten Blick zu finden. Er beschreibt die menschliche Seite des Glaubens, neben der göttlichen, die jedem Christen ohne zutun von Gott geschenkt wird. Die Situation, wo Christen aus der wohlbehüteten Umgebung der Gemeinde heraus kommen und in der der Glaube hinterfragt wird ist m. E. der Schritt von der von ihm beschriebenen synthetisch-konverntionellen Stufe zur Individuierend-reflektierenden Stufe.
    Es ist m. E. sehr hilfreich diesen Menschen im Gebet zu begleiten und ihn unter Gottes Schutz zu stellen. Zweitens gilt es zu ermutigen, seinen Glaube kritisch zu hinterfragen und zu prüfen, ob das geglaubte ein wahres Fundament hat. Trauen wir Gott zu, ihm zu begegnen und ihn auf seinem Weg zu bewahren. Gott hat es doch letztendlich in der Hand, er wird uns nicht verlassen, noch versäumen, auch nicht wegen irgendwelcher kritischen Theologie. Er ist doch größer. Angst vor Abfall vom Glauben bringt uns nur dahin, dass wir krampfhaft an etwas festhalten, weil wir Angst haben, es könnte nicht wahr sein. Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Er wird sich im Leben der Menschen erweisen – auf seine individuelle Art und Weise.

  5. Wenn man Glaube versteht als eigene reflektierte Überzeugung, die sich im Handeln niederschlägt, dann könnte man vielleicht formulieren, dass jeder Mensch eine Phase braucht, in der er (eigenen) Glauben erwirbt und nichtreflektierte Überzeugungen ablegt. (Natürlich geht das ein Leben lang weiter, aber es braucht einmal so einen grundsätzlichen Schritt.)

    Leider überwiegt oft die Angst, dass am Ende nichts übrigbleibt, sodass man lieber an weniger wertvollen Dingen und Überzeugungen festhält als diese aufzugeben und sich auf der Suche nach einem neuen, wertvollen Glauben zu machen. Schatz im Acker?

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