Wozu Religion?

Weihnachten steht vor der Tür und auf DLF Kultur wird wieder einmal gefragt, ob „der Mensch“ Religion braucht. Es werden kluge Antworten gegeben, selbst der Fußball spielt eine Rolle, aber das geht auch kürzer und weniger intellektuell:

Manche kennen vielleicht die amerikanische TV-Serie „The Good Doctor“ mit Freddie Highmore als Shaun Murphy. Ich fand die erste Staffel ganz ansprechend, in der zweiten gab es für meinen Geschmack ordentliche Durststrecken. Und nun, in Season 3 wirkt die Erzählung wieder dichter.

Am Ende von Folge 4 gibt es einen Gänsehautmoment. Claire Brown offenbart der Kollegin Morgan Reznick den Tod ihrer Mutter. Sie hat die Urne im Kofferraum ihres Autos liegen. Der letzte Wunsch der Mutter war, dass ihre Asche zu den Seelöwen im Meeresaquarium kommt. Die beiden mischen sich dort in funkelnder Abendgarderobe unter die Gäste einer Drag Pride Party. Und dann merken sie (und Morgan spricht es aus): Ohne Ritual geht es nicht. Und auch nicht ohne Religion. „Jeder hat eine Religion“, sagt Morgan. „Vielleicht keinen Gott, aber eine Religion.“

Die Lösung für die nichtreligiöse Claire besteht in dem Angebot, Musik als die Religion ihrer Mutter zu begreifen. Sie singt ein Lied.

Ich hätte an der Stelle vielleicht „Let it be“ oder einen anderen Popsong mit dehnbarem Sinngehalt erwartet. Stattdessen singt Claire Amazing Grace. Und ich denke: Mehr christliche Religiosität geht eigentlich kaum. Im Hintergrund erscheinen erst die übrigen Partygäste und dann ein anderer Handlungsstrang dieser Folge, der auf dem Standesamt spielt. Tod und „bis der Tod euch scheidet“, Seite an Seite: The holy and the broken Hallelujah.

Die unorthodoxe Urnenbeisetzung zeigt auch: Geistliche Lieder tragen oft weiter als trockene Bibelworte ohne Melodie. Und die wirklich guten erkennt man daran, dass man sie in den glücklichsten Momenten ebenso singen kann wie in den traurigsten.

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