Ich wollte eigentlich nur den Verkehrsfunk hören, als der Radiosender seinen neuesten „Verhörhammer“ präsentierte. Ein Schnipselchen aus einem englischen Popsong enthielt scheinbar eine Nachricht auf Deutsch. Der Moderator erklärte zur Sicherheit auch genau, was ich gleich hören würde. Und es funktionierte so halbwegs, das Genuschel konnte man so verstehen.
Später versuchte ich, das Soundbyte in meinem Kopf auf seine ursprüngliche Bedeutung hin zu analysieren, aber es gelang mir nicht. Die Deutung, die mir vorab aufgedrängt worden war, ließ sich nicht von der Erinnerung trennen. Und es fehlte der Kontext des gesamten Songs.
Das Erlebnis ging mir noch eine Weile nach. Passiert das auch in anderen Zusammenhängen, dass ich mir Deutungen aufdrängen lasse, noch bevor ich eine Erfahrung mache?
Funktioniert das mit Vorurteilen und Ressentiments in Politik und Gesellschaft ähnlich, dass solche Stimmen ein freies Erleben verhindern und dass von da ab jede Erfahrung das Vorurteil nur noch festigt? Kann man öffentlich punkten, indem man eine möglichst plakative (Fehl-)Deutung einer Sache (nehmen wir nur mal die Gendertheorie…) früh genug hinausposaunt, dass die meisten gar nicht erst unbefangen hinhören können?
Fremdenfeindlichkeit scheint oft nach diesem Muster zu funktionieren: Gerade da, wo es kaum Erfahrungen mit Fremden gibt, lassen sich besonders viele Menschen erzählen, wie bedrohlich diese doch seien. Und wenn sie Fremden dann mit dem Filter dieser Erwartung je einmal begegnen sollten, sehen sie nur noch das Vertraute, das sie sehen sollen und wollen, egal wie viele Indizien gegen ihre Anschauung sprechen.
Aber auch in anderen Zusammenhängen gibt es Leute, deren Deutung schon vor aller Wahrnehmung feststeht. Ich habe mir dann übrigens keine Mühe mehr gegeben, die eigentliche Bedeutung des Verhörstücks zu ermitteln. Wann immer es aber von Bedeutung ist, etwas richtig zu verstehen, würde ich gern
- ungestört hinhören dürfen,
- den Kontext einbeziehen können und
- mir bewusst machen, dass ich einen Text nicht in meiner, sondern in seiner Sprache verstehen muss