Der indische Jesuit Anthony de Mello macht auf die Tatsache aufmerksam, dass Jesus an keine Stelle im Evangelium von den Sündern ein Zeichen der Reue einfordert, dass Reue für ihn im Prozess der Umkehr keinen Platz hat. Der Prozess ist ein durchaus freudiges Ereignis. Der Schmerz über die Sünde mischt sich mit der Freude und der Dankbarkeit über das Geschenk der Vergebung und der großzügigen Aufnahme. Schon allein die Tatsache, dass der Mensch sich seine Sündhaftigkeit bewusst wird, ist nur dann möglich, wenn er bereits außerhalb des dunklen Kerkers der Sünde steht; der Sünder sieht in der Regel seine Sünde nicht, oder er sieht sie nicht wahrheitsgetreu, er ist in ihrem Dunkel gefangen. Die eigene Sündhaftigkeit wirklich zu sehen, ist das Privileg der Heiligen.
Thomas Halik, Geduld mit Gott
Das heißt also, Umkehr ist nur ein kurzer Seelenkick, ohne das Bedürfnis, ab jetzt die Dinge nicht mehr bewusst zerstörend zu tun. Ich kann weiterhin die Augen zu pressen und die Ohren verstopfen, weiter durch Billigwaren statt fairtrade-Produkte das Leben der Menschen zerstören, in denen mir laut LK 13,34 Gott selbst begegnet? Kann weiter Atommüll über meine Stromrechnung beauftragen und muss nicht zu Ökostrom wechseln, trotz Psalm 24, … alles völlig unnötig? Ich kann Gott weiter bewusst und überlegt ins Angesicht schlagen und dabei „happy“ sein, weil er mir ja vergibt? Sorry, auch wenn mir das 98 % der westlichen Christen standhaft durch ihre intellektuell untermauerten Entscheidungen täglich so bezeugen – ich kann das nicht glauben …
@Enttäuschter Zweifler: Nein, das heißt es nicht. Wie kommst Du auf sowas?
So hab ich den Text oben vor dem Hintergrund der „christlichen“ Praxis in den reichen Ländern dieser Erde verstanden. Wir können uns der sprirituellen Angebote des Glaubens frei bedienen, Reue ist nicht nötig, die das Bedürfnis in uns wecken würde, etwas an unserem schlimmen Handeln zu ändern (z. B. nur noch in den Bio- und http://www.weltlaeden.de ein zu kaufen, weil es uns reut, weiter aus persönlicher Habgier solches zu finanzieren: http://www.youtube.com/watch?v=fmhYOJqh2lc ). Reue ist ja nicht notwendig, also ändert sich auch bei fast allenChristen nichts an den menschenverachtenden Verhaltensweisen. Ich meine nicht die Fehler (spontan, im Affekt, …), sondern die bewussten und reflektierten Entscheidungen in vollem Wissen, was damit angerichtet wird.
… aber das steht da nun wirklich nicht drin. Es findet ja eine echte Umkehr statt. Natürlich ändert sich das Verhalten. Aber die Triebkraft ist nicht Zerknirschung, sondern Freude, Staunen und Dankbarkeit.
@Enttäuschter Zweifler: Was Du beschreibst, wäre, wenn überhaupt, Reue ohne Umkehr. Im Zitat wird doch davon ausgegangen, dass sich Umkehr zum Beispiel an solchen handfesten Veränderungen, wie Du sie aufzählst, festmacht, und nicht etwa an einem Moment tief empfundener Zerknirschung. Die Freude darüber, dass diese Veränderung möglich ist, überwiegt dann das Entsetzen über die eigene Sündhaftigkeit. Wie in der Geschichte von Zachäus: Das Zusammentreffen mit Jesus ist ein freudiges Ereignis. Zachäus erkennt in der Begegnung mit Jesus seine Fehler und zugleich die Möglichkeit, besser zu werden. Er hat sich auf die Begegnung mit Jesus eingelassen und ist dadurch ein geheiligter Sünder, um es in Haliks Sprache zu sagen. Und das hat natürlich Konsequenzen für seinen Lebenswandel.
Das schöne an dieser Sichtweise ist, wie ich finde, dass sie den Anspruch der Heiligung stellt, dabei aber jede Überheblichkeit kategorisch ausschließt.
OK, dann müssen wir Begriffe definieren. Reue ist für mich das, was Zachäus empfand, bevor er diese ganzen Rückzahlungsversprechen einging, die ihn zu einem (materiell) armen Mann machten. Er hat es „bereut“, wie er mit den Menschen umgegangen war und hatte das tiefe innere Bedürfnis, es jetzt anders zu machen und so gar den Schaden mehr als auszugleichen. Wenn das Wort „Reue“ hierfür falsch ist, hab ich was falsch verstanden (irgendwo steht auch über Gott „es reute ihn“).
Ich meine halt eben dieses unverdrängbare Gefühl „Soetwas will ich nicht mehr tun und ich will es unbedingt in Ordnung bringen“. Die innere Umkehr ist die Voraussetzung dafür und die äußere Umkehr ist dann die unvermeidbare Folge daraus, oder? So wie Wölfe z. B. auch nicht mehr zubeißen können, wenn der Gegner sich wehrlos gibt.
Wenn jemand einen besseren Begriff für das hat, was ich unter „Reue“ verstehe bin ich offen dafür.
Noch mehr würde ich mir aber wünschen, dass dieses Empfinden Platz im westlichen Christentum fände. Wie schnell wäre all das Elend beendet, wenn wenigstens die Christen nicht nur mit dem Mund sondern auch im Herzen bereuten, was sie überlegt und ganz bewusst beim Einkauf tun. Welche Ansteckungskraft läge darin … auch auf den „Rest“ der Welt … ernsthafte „Reue“ ist ein starkes Zeugnis. So wie auch die gelebte Gleichgültigkeit ein starkes Zeugnis GEGEN die Glaubwürdigkeit des Evangeliums ist.
Was mir bei diesem schönen Zitat gleich in den Sinn kam (oh Wunder): Karl Barth behauptet (gegen Luther), dass Gottes Gericht eine Form seiner Gnade ist. Daraus höre ich immer auch dies: Wo Sünde als Sünde aufgedeckt wird, ist sofort der Weg frei von der Selbstanklage zur Vergebung. Echtes Gericht wäre dann nicht gnadenlos, sondern gnadenvoll…
wenn ein indischer Jesuit über „Reue“ spricht, redet er wahrscheinlich nicht über „Reue, sondern über ein indisches Wort. Oder ein lateinisches.
Jedenfalls ist das Ergebnis ein sprachliches Missverständnis.
Ich verstehe das deutsche Wort Reue auch im Sinne von Zachäus und nicht als Zerknirschung.
Genau – denn Zerknirschung bringt nicht weiter, ermutigt nicht zu konstruktiverem Verhalten. Reue aber ist etwas sensibles, das zur Umkehr hilft.
Reue ist ein Gefühl. Ich bin betrübt über mein Versagen. Umkehr bedeutet, ich ändere mein Verhalten. Auf letztes kommt es an, ersteres hilft dazu vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Jesus ging es um Umkehr. Reue war ganz offenbar zweitrangig.
Und wer sagt dir, dass ungeheuchelte Umkehr keine Reue erfordert? Mir scheint es sich hier um ein Argument ex silentio zu handeln: Jesus sagt nicht Reue, also braucht es sie nicht.
Zwei Texte aus der Schrift:
Jer 31,19 Denn nach meiner Umkehr empfinde ich Reue, und nachdem ich zur Erkenntnis gekommen bin, schlage ich mir auf die Hüfte; ich schäme mich und bin sogar zuschanden geworden; denn ich trage die Schmach meiner Jugend!
2Kor 7,10 Denn die gottgewollte Betrübnis bewirkt eine Buße zum Heil, die man nicht bereuen muß; die Betrübnis der Welt aber bewirkt den Tod.
Wikipedia: Reue ist das Gefühl – in besonderen Fällen ein Affekt – der Unzufriedenheit, der Abscheu, des Schmerzes und Bedauerns über das eigene fehlerhafte Tun und Lassen, verbunden mit dem Bewusstsein (oder der Empfindung) von dessen Unwert und Unrecht sowie mit dem Willensvorsatz zur eventuellen Genugtuung und Besserung
Denn nach meiner Buße/Umkehr empfand ich Reue über mein bisheriges Leben und Verhältnis zu Gott, meinem Schöpfer…