Vor ein paar Tagen hat der rein theoretische (das macht es freilich nicht besser) Vorschlag zweier australischer Wissenschaftler, Kinder noch nach der Geburt auf elterlichen Wunsch zu töten, für einen Proteststurm im Netz.
Am Freitag war in der Zeit diese Geschichte einer jungen Inderin zu lesen, die ihren Mann verklagte, weil der sie mit allen Mitteln zu einer Abtreibung ihrer Zwillingsmädchen zwingen wollte. Die Geschichte ist ein Beispiel für das Schicksal von Frauen in vielen asiatischen Ländern und den unabsehbaren Folgen dieser Katastrophe. Von einem Proteststurm habe ich bislang nichts bemerkt – dabei geht es hier nicht um Ideen, sondern um millionenfache Praxis.
Der Artikel zeigt einige überraschende Zusammenhänge auf: Hatte man früher noch gehofft, Bildung und technischer Fortschritt würden die Missachtung von Frauen und Mädchen allmählich beseitigen, so steht nun fest, dass das Gegenteil der Fall ist:
… drei Dinge haben die Lage der schwangeren Frau verändert: das Ultraschallgerät, das Kalkül der Kleinfamilie und die Abtreibungspille. Heute gibt es kein Geheimnis mehr um das Geschlecht des Kindes. Der Mann zwingt die Schwangere zur Ultraschalluntersuchung. Und wenn es ein Mädchen ist, kann die Mutter nicht mehr so leicht sagen: Dann versuchen wir es später noch mal. Denn auch sie möchte nur noch ein, höchstens zwei Kinder. Früher schon war eine Tochter wegen der höheren Aussteuer eine zusätzliche Last; heute fallen außerdem noch Schul- und Erziehungskosten für sie an. Außerdem will die Familie neben Kindern auch ein neues Auto. Deshalb müssen es weniger Kinder sein – und mindestens ein Sohn muss als Stammhalter her.
Nicht obskures Brauchtum oder irrationale Mythen aus grauer Vorzeit sind die treibende Kraft hinter diesen Morden, sondern die sozialen Aufstiegsträume. Religion (auch der Islam und der Hinduismus) hatten diese Tendenz bisher noch gebremst, so der Artikel. Der Verlust solcher Bindungen hat nun zum ungebremsten Geschlechtermord geführt. Die Konsumgesellschaft, so lautet das bittere Fazit, hat die Sitten verdorben:
»Die Motive für den Mord an der ungeborenen Tochter entstammen einer sehr zeitgemäßen Einstellung – man will große Hochzeiten, große Geschenke und einen stolzen Sohn, aber keine wirtschaftlich unnütze Tochter«, sagt Shanty Sinha, Vorsitzende der Nationalen Kommission für Kinderrechte in Indien. »Es geht um eine Brutalisierung der individuellen Einstellung zum menschlichen Leben, wie sie erst die Modernisierung hervorbringen konnte.«
Danke für Deine Gedanken zum Thema. Ich warte seit einiger Zeit darauf, dass durch alle Konfessionen und Denominationen der Lebensschutz wieder einen höheren Stellenwert gewinnt. Wobei ich glaube, dass unser diesbezügliches Versagen in den letzten Jahrzehnten nicht durch eifrigen Aktionismus wiedergutgemacht werden kann. An erster Stelle muss wohl ein Schuldbekenntnis stehen (mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 haben uns unsere Vorfahren ein gutes Beispiel dafür geliefert).
Ich hoffe ja immernoch, dass sich namhafte Kirchenvertreter bald zusammensetzen und sich dieses Themas annehmen. Denn nur so kann eine weite christliche Öffentlichkeit erreicht und mobilisiert werden, die widerum in einem demokratischen Staat Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen kann.
Das erinnert mich doch sehr stark an die Schilderungen von Kinderopfern im alten Testament oder anderen Berichten. Diese opferte man ja auch für den Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft. Die Intentionen damals und heute liegen gar nicht so weit auseinander.