Seit gestern liegt der Aufsatzband „Theopolitik“ des Berner Alttestamentlers Walter Dietrich auf meinem Schreibtisch. Passend zur Diskussion bei Con:Fusion und zum letzten Thema der Allianz-Gebetswoche am Sonntag habe ich mir gleich „Grenzen göttlicher Macht nach dem Alten Testament“ angesehen und bin nicht enttäuscht worden.
Dietrichs Fazit vorweg, weil ich es so prägnant finde:
Die Bibel weiß viel von Grenzen Gottes: von ihm anscheinend vorgegebenen, die er aber dann verschoben und durchbrochen hat, noch mehr von solchen, an die er sich selbst gebunden hat, ohne doch ihr Gefangener zu werden. So ist es wohl nötig, die Rede vom allmächtigen Gott aufgrund des biblischen Zeugnisses sorgfältig zu kontrollieren, wohl auch zu korrigieren; sie jedoch minimieren und ganz eliminieren zu wollen, dazu bietet die Bibel kaum Hand.
Auf der Website der Evangelischen Allianz heißt es zum kommenden Sonntag nicht ganz so differenziert: „Unverfügbar, unanfechtbar und gerecht und zugleich liebevoll, geduldig und barmherzig steht er über allem […] Herrlich – vollkommen, souverän, gerecht und zutiefst gut ist der Gott, den wir als „Vater“ anreden dürfen.“ Die Frage nach einer Einschränkung, welcher Art auch immer, kommt dort gar nicht in den Blick. Wie aber bringt man so ein Gottesbild von totaler und maximaler Souveränität in Einklang mit dem prekären Zustand unserer Welt?
In der hebräischen Bibel gibt es immer wieder Hinweise auf räumliche Begrenzungen, von denen Israel im Blick auf Gott reden kann. Gott scheint begrenzt auf sein Volk und dessen Siedlungsgebiet (Dtn 32,8-10; 1Sam 26,18f), noch genauer auf das palästinische Bergland (1Kön 20,23) und erst allmählich – es geht auf das Exil zu – wird vorstellbar, dass er die Fronten und den Ort wechseln könnte. Eine andere Grenze war der Tod (daher das strikte Verbot, Totes zu berühren), bevor sich im Jesajabuch dann der Gedanke Bahn bricht, Jahwe könne den Tod überwinden.
Neben dem Tod dringen auch Chaosmächte in Gottes Schöpfung ein, symbolisiert etwa durch den Leviathan. Jene Schöpfung, deren Existenz sich einer Selbstbegrenzung Gottes verdankt und der Gott von Anfang an die Macht gegeben hat, selbst wieder Leben aller Art hervorzubringen (Gen 1,24), statt bloß passives Produkt göttlichen Schaffens zu sein. Auch hier setzt Gott sich selbst Grenzen, indem er Eigenwirksamkeit und Eigenwillen seiner Geschöpfe, vor allem der Menschen, zulässt. Und wie die Geschichte von der Sintflut zeigt, stellt ihn das sofort vor größte Herausforderungen.
Deutlicher noch als im Verhältnis zur Schöpfung setzt er seiner Macht Grenzen, indem er sich an Israel bindet. Es führt zu einer komplizierten Liebesgeschichte, in der Gott die Rolle des verletzten und enttäuschten Partners einnimmt. Bekenntnisse zärtlicher Liebe wechseln mit zornigen Drohungen ab; am Ende, so Dietrich, „hatte Israel mehr Macht über ihn, als es einem allmächtigen Gott lieb sein kann“ und bei Gott siegt Treue und Barmherzigkeit über den berechtigten Zorn. Indem sich Gott so festlegt, verliert er Optionen, die seine Macht sichern. Im Buch Jona wird diese sanfte Seite Gottes weiter entfaltet. Jona wirft Gott vor, den heidnischen Assyrern gegenüber viel zu nachsichtig zu sein.
Man kann mit alldem im Hinterkopf, was ich jetzt sehr gerafft und möglicherweise auch leicht verkürzt hier wiedergegeben habe, das Neue Testament als eine Erzählung davon betrachten, wie Gott mit diesen Einschränkungen seiner Allmacht, die damit keine blanke Willkür mehr ist (das haben leider nicht alle, auch nicht alle Christen, verstanden) in und an der Welt zu ihrem Heil wirkt und handelt. Auch da wird man dann sehen, dass Gericht und Gnade eng miteinander verflochten sind, dass aber die Gnade das Übergewicht hat, und dass vermutlich auch deswegen manches länger dauert, als wenn man immer sofort draufhaut. Als einzelner wie als Angehöriger der Menschheit insgesamt kann man darüber eigentlich nur erleichtert sein.
(Foto: „omnipotence | brooklyn superheroes store“ von Lars K via flickr/creative commons 2.0)