Die Süddeutsche schrieb heute anlässlich der erschütternden Hinrichtung von Troy Davis:
Amnesty registrierte 2010 nur in China, dem Iran, Nordkorea und dem Jemen mehr Hinrichtungen als in den Vereinigten Staaten.
Erst vor ein paar Tagen habe ich John Grishams Thriller Das Geständnis, und war erstaunt, wie nahe an der Realität diese erfundenen Handlung liegt. Nicht erfunden ist freilich der gesellschaftliche Diskurs, der in den USA stattfindet und den Grisham nachzeichnet. Etwa die Bedeutung von Todesstrafen für politische Karrieren, aktuell die von Rick Perry in Texas, der gegen Barack Obama antreten will.
In mancher Hinsicht stehen die USA, zumal die USA der Republikaner, in ihrem Verständnis von rächender und strafender Gerechtigkeit den oben genannten Staaten näher als den meisten anderen Nationen. Spuren davon finden sich freilich auch in der Theologie, denn gerade unter den Protagonisten der Todesstrafe finden sich absurderweise viele konservative Christen. Auch diesen traurigen Zwiespalt zeichnet Grisham deutlich nach, ebenso wie die Tatsache, dass hier wieder ein Afroamerikaner das Opfer der Justiz geworden ist.
Weil nicht zu erwarten ist, dass dies in absehbarer Zeit anders wird, lohnt sich die Lektüre von Grishams Buch und natürlich der Nachrichten rund um Troy Davis‘ Tod. Es ist eine realistische Momentaufnahme eines Landes im Wahnzustand und seiner Justiz. Und ein gutes Gegenmittel gegen Knalltüten, die hier – immer angefeuert vom Boulevard, auch das zeichnet Grisham nüchtern ein – ähnliche Forderungen stellen.
Nach allem, was ich gelesen habe, ist die Hinrichtung von Troy Davis nicht zu rechtfertigen. Nur kann dies schlecht als Argument gegen Todesstrafe verwendet werden, sondern eher als Argument gegen einen offensichtlich korrumpierten Rechtsstaat. Denn schon vor der Hinrichtung, war Davis lange Jahre seiner Freiheit beraubt worden. Dass die Hinrichtung dieses Unrecht gleichsam „krönt“ steht außer Frage.
Was ich mich allerdings frage, ist worin das Problem von „strafender Gerechtigkeit“ bestehen soll? Nun macht eine Bestrafung kein Verbrechen ungeschehen (das wird niemand bestreiten). Aber sie demonstriert doch eine nachträgliche Solidarität mit den Verbrechensopfern, die im Rahmen der Täter-Rehabilitation gerne mal vergessen werden.
@Notizzettel: Die Todesstrafe verschärft die bestehenden Probleme auf unerträgliche Art, sie trägt nicht zur Verhinderung von Verbrechen bei, sie macht vorläufige Irrtümer buchstäblich end-gültig, und sie überschreitet eine Grenze, vor der man besser halt machen sollte, wenn man selbst eine funktionierende Justiz für fehlbar hält.
Solidarität mit den Opfern ist sicher nötig, nur gibt es auch da bessere Wege. Statt Täter mit großem Tamtam umzubringen sollte man das Geld (und Hinrichtungen sind immens teuer!) für die psychologische Betreuung der Angehörigen des Opfers aufwenden.
Sicherlich überschreitet man mit der Todesstrafe eine letzte Grenze, aber ich würde lieber ungerechtfertigt hingerichtet werden als ungerechtfertigt jahrelang im Gefängnis zu sitzen. Ich sehe die Todesstrafe als eine Art „Delegieren“ des Falls an Gottes Gericht, wenn die menschliche Gesellschaft mit einem hochgradig gefährlichen und korrekt verurteilten (!) Täter nicht mehr umgehen kann. Denn die Rückfallquoten bei Mördern und Vergewaltigern sind leider recht hoch. Von daher rettet die Todesstrafe tatsächlich Leben, auch wenn man nicht weiß, wessen Leben gerettet wurde. Unabhängig davon finde ich die Art der Todesstrafenpraxis in den USA mehr als fragwürdig. Das zeigt leider nicht nur der aktuelle Fall…
Ich bin außerdem auch nicht dafür, Resozialisierung von Tätern und Hilfe für Opfer gegeneinander auszuspielen. Nur sollte das Opfer immer mehr Zuwendung erhalten als der Täter, sonst wird dieser gleichsam für seine Tat belohnt. Außerdem vermisse ich über weite Strecken der Debatte die Anerkennung der Tatsache, dass manche Menschen aus verschiedenen Gründen nicht resozialisiert werden können – und sei es nur, weil ihnen selbst der Wille dazu fehlt, besser sein zu wollen.
@notizzettel: Da wird mir aber angst und bange bei Deinen Thesen. „Delegieren“ bedeutet in diesem Fall m.E., sich aus der Verantwortung zu stehlen. Jemanden prophylaktisch zu töten, damit er in Zukunft kein Unheil mehr anrichten kann, ist für ein Rechtssystem und eine Gesellschaft schon die totale Bankrotterklärung.
Ich habe mich vielleicht ungünstig ausgedrückt. Mit „delegieren“ meinte ich nicht, dass man in unklaren Fällen den Angeklagten tötet, um ihn so vor Gottes Thron zu bringen. Ich meinte damit, dass man die Fälle, wo die Schuld des Angeklagten zweifelsfrei feststeht, aber die Schuld menschliche Sühne-Systeme übersteigt, zur Todesstrafe greifen kann.
Ich empfinde die Todesstrafe in nicht größerem Maße als Bankrotterklärung einer Gesellschaft als das permanete Wegsperren von Straftätern. Ebenfalls nicht gangbar ist ganz offensichtlich, dass man den Täter nicht oder nur sehr milde bestraft.
Durch gravierende Straftaten wird die Gesellschaft in ein Dilemma gebracht, dass sich nicht einfach so auflösen lässt. Man muss ein Mitglied der Gesellschaft bestrafen und soweit möglich rehabilitieren, aber darf das nicht auf Kosten weiterer Opfer tun. Wie soll man dieses Problem lösen? Die extremen Lösungen, die entweder in drakonischen Strafen oder in Straffreiheit den letzten Schluss der Weisheit sehen, sind beide nicht gangbar. Also was tun – wie sieht hier der gesunde Mittelweg aus, der Opfern, Tätern und der Gesellschaft soweit möglich gerecht wird?