Revolution und Resignation

Ich habe das Wochenende mit dem Propheten Elija zugebracht. Im Grunde war der Mann ja ein veritabler Revolutionär. Er stand auf der Seite der kleinen Leute gegen einen König, der sein Land und sich selbst den Fruchtbarkeitskulten zuwandte. Dabei drehte sich so ziemlich alles um Wohlstand und Macht, nur dass man damals auf die Land- und nicht die Geldwirtschaft setzte, auf Boden und Klima also, und nicht auf Märkte und Geldströme. Zu diesem Zweck hatte Ahabs Frau, die Königstochter Isebel aus Sidon eine große Zahl von Entwicklungshelfern importiert, die „Baalspropheten“.

Nach anfänglichem Erfolg wurde deren Programm durch eine Wirtschaftskrise schwer in Frage gestellt: Drei Jahre setzte der Regen aus, die Erträge blieben weit hinter den Prognosen zurück, die Zustimmung im Volk begann zu bröckeln, selbst Ahab wurde unsicher. Elija, der sich versteckt hatte, erschien wieder auf der Bildfläche und lud zu einem Gipfeltreffen auf dem Berg Karmel ein, in dessen Verlauf er den Analysten der Regierung ihre Ohnmacht und ihre Irrtümer vor Augen führte und die Überlegenheit seines himmlischen Alliierten erwies, der erstens Feuer vom Himmel fallen lassen konnte und zweitens – noch viel wichtiger – den ersehnten Regen, den Baal trotz all des Brimboriums seiner Leute nicht hatte liefern können. Da Debatten damals von allen Beteiligten etwas heftiger ausgetragen wurden (aber machen wir uns nichts vor, die französische Revolution 2500 Jahre später war auch kein Kindergeburtstag), waren Isebels Leute hinterher mehr als nur ein bisschen erledigt.

Eigentlich hätte nach dieser entlarvenden Demonstration doch nun ein Ruck durch das Land gehen müssen. Doch die einzige nennenswerte Reaktion kam von Isebel, die Elija mit Killerkommandos drohte, wie sie in Gaddafis Libyen derzeit noch hinter Journalisten her sind. Die Revolution schien stecken zu bleiben und die rabiate Despotin die Initiative zurückzugewinnen. Sie trieb Elija vor sich her, und der floh nicht nur aus dem Land, sondern mit seinem Diener in den äußersten Süden des Nachbarstaates Juda und von dort dann allein in die Wüste. Unter einem Ginsterstrauch (der verdächtig an das Laubdach des Jona erinnert) will er dann nur noch sterben. Die Begründung aber ist zunächst einmal verblüffend: „Ich bin nicht besser als meine Väter.“ Aber ohne diese Arroganz gegenüber dem Früheren hätte es viele Revolutionen – friedliche wie blutige, technische wie philosophische – nie gegeben. Elija ist elitär, und das macht ihn einsam.

Große Gesten, dramatische Worte und scharfe Kontraste jedenfalls sind die Waffen von Propheten und Revolutionären. Wo sie nicht mehr gelingen, wo das Echo ausbleibt, da lauert die Resignation. So wie hier unter dem Ginster. Gott diskutiert gar nicht mit Elija, er gibt ihm zu Essen und zu trinken und irgendwie lotst er ihn über 40 Tage und Nächte zum Gottesberg. Dorthin also, wo Gottes Bund geschlossen und sein Recht angenommen wurde. Dorthin, wo dieser Bund und seine Bestimmungen sofort wieder gebrochen wurden. Dorthin, wo Mose Gott gegenüberstand und ihm Barmherzigkeit abrang, und dann nach großem Feuerwerk derart verklärt wieder herabgestiegen war, dass ihn die Leute nicht ohne Strahlenschutz ertragen konnten. Gott erwartet ihn mit einer Frage: „Was willst du hier?“

Was Elija wollte, war leicht auszurechnen: Er musste seinen großen Verbündeten mit dem sensationellen Waffenarsenal zum Wiedereintritt in die Kriegsallianz bewegen, daher schilderte er seine Lage (wider besseres Wissen, wie ein Blick in das vorherige Kapitel zeigt) als dramatisch und aussichtslos: Ich allein bin übrig geblieben. Soll heißen: „Hilfe – die Panzer stehen schon am Stadtrand von Bengasi“.

Die Reaktion lässt erst einmal hoffen: Gott stellt Elija in den Höhleneingang wie weiland Moses in die Felsspalte und fährt dann seine komplette Palette an Special Effects ab: Sturm, Erdbeben, Feuer. „Shock and Awe“ hieß das im Golfkrieg. Aber die Darbietung hat etwas halbherzig-Distanziertes. Sie wirkt merkwürdig hohl. Die Stille nach dem Theaterdonner allerdings hat es in sich. Gott poltert nicht herum, er schweigt vielsagend. Er kann sich nicht nur gewaltig aufblasen, sondern auch ganz klein machen (ein paar Jahrhunderte später wird das ein wichtiger Gedanke werden).

Elija hätte den Wink verstehen können. Offenbar wäre er aber lieber mit ein paar Spielzeugen von Q aus der Wüste zurückgekehrt als mit einer mystischen Erfahrung. Gott wiederholt seine Frage, Elija wiederholt seine Antwort. Der Groschen ist nicht gefallen. Sein Pessimismus schaut zu jedem Knopfloch heraus. Weder sieht er Gott in einem anderen Licht, noch sich selbst. Und für alle anderen hatte er den Blick schon längst verloren.

Man muss nicht besser sein, um es besser zu machen. Wer aber meint, er muss besser sein als alle anderen, wer nur mitspielt, wenn er überlegen gewinnt und nur am Lauf teilnimmt, wenn er erster wird, der steht der Revolution am Ende mehr im Wege, als er nützt. Er wird so einsam, wie er sich fühlt. Gott ist glücklicherweise großzügiger als ein Parteivorstand oder Revolutionsrat. Er wechselt seinen desillusionierten Spielmacher aus und schenkt ihm den spektakulärsten Abgang mit all den Effects, von denen Elija immer geträumt hatte. Standing Ovations von den Engeln dazu, schätze ich mal. Vorher jedoch muss er die Spielführerbinde noch weitergeben. An Elisa, an den Aramäer (!) Hasael und an Jehu, die nun zu dritt ran müssen, obwohl auch sie kein richtiges Team sind. Die Revolution geht weiter, und sie wird Erfolg haben.

Die Revolution geht weiter, nicht nur gegen die Despoten der arabischen Welt, sondern auch gegen die Propheten des Profits, dem die soziale Gerechtigkeit und das ökologische Gleichgewicht auch bei uns viel zu oft geopfert wird. Und vieles andere dazu. Wie damals, so sammelt der souveräne, aber subtil wirkende Gott auch heute ganz unterschiedliche Akteure für diese Aufgabe, auch aus ganz anderen Religionen und Bewegungen. Wir brauchen uns nicht als die letzten Mohikaner zu fühlen, wir müssen auch nicht besser sein als andere. Aber vielleicht sollten wir die Augen und Ohren aufsperren, um auch wirklich mitzubekommen, wo es gerade wieder säuselt. Schwerter und scharfe Munition darf man derweil übrigens getrost ausmustern.

Für Resignation gibt es seit dem Ostermorgen wirklich keinen Grund mehr. Egal, wie weit der Weg oder wie groß der Rückschlag sein mag.

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