Relevanz, Relevanz…

Seit einiger Zeit beschäftigen mich einige Gedanken aus Richard Sennetts Buch Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Seine These ist, dass das Private und Intime das Öffentliche (und damit Politik, soziale Verantwortung, Engagement und Gerechtigkeit) längst verdrängt hat. Tobias hat vor einiger Zeit darüber geschrieben.

Es wäre ein Wunder, wenn das nicht schon längst seinen Weg in die Kultur unserer Gemeinden gefunden hätte. Dies könnte zum Beispiel ein Hinweis sein:

Zum Narzissmus gehört zum Beispiel die bohrende Frage, was diese Person, dieses Ereignis “für mich bedeuten”. Diese Frage nach der “Relevanz” anderer Menschen oder äußerer Handlungen für die jeweilige Person wird immer wieder von Neuem gestellt, so dass die deutliche Wahrnehmung der Personen und Handlungen getrübt wird.

Irgendeiner Sache “da draußen” gestehen wir nur dann einen Wert zu, wenn sie eine Resonanz “hier drinnen” erzeugt. Wir reagieren kaum auf die Nachricht, dass eine Katastrophe oder ein Krieg Tausende das Leben gekostet hat, es sei denn, wir sehen grausige Bilder davon; aber wir können uns endlos Gedanken über das Privatleben unserer Stars machen (und schauen uns die hübschen Bilder dazu an). Wenn der Tsunami keine deutschen Touristen erwischt hätte, wären die Spenden kaum so hoch gewesen. Fürs Klima interessieren sich die Amerikaner erst richtig seit Katrina und wir, seit der Winter einen Bogen um uns macht.

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Ich frage mich, ob dasselbe Prinzip der Auslese von Information nicht auch schon längst auf die Art, wie wir die Bibel lesen, durchgeschlagen hat: Wir suchen nach diesen Momenten, wo uns etwas unmittelbar persönlich anspricht, und behandeln den Rest praktisch als irrelevant, weil er uns nicht so “zu Herzen geht”. Gott und alles andere kommt dann nur noch in seiner Auswirkung auf meinen Gefühlshaushalt in den Blick. In Gottesdiensten und Gesprächsrunden fragen wir immer mehr nach dem, was wir “mitnehmen” können. Sperrige Wahrheiten eignen sich dazu aber nicht, sondern nur mundgerecht zerhackte Brocken, die sich ohne großen Aufwand verdauen lassen. Geistliches Fingerfood?
Jesus hat seinen Zuhörern sehr oft die Verantwortung aufgebürdet, selbst darüber nachzudenken, was das in ihrer Situation im einzelnen bedeutet. Und die Leute damals konnten das, weil sie anders tickten als wir! Weite Teile der Bibel verlangen uns das immer schwerer gewordene Kunststück ab, uns in die Zusammenhänge mühsam hineinzudenken, bevor sie zu uns sprechen. Und es gibt keine Vorabgarantie auf “Erfolg” und persönlichen Gewinn. Im Gegenteil, die heilsame Lektion für uns ist gerade die, dass es eine Realität Gottes und der Welt gibt, die unabhängig von unseren kleinen, beschränkten und manipulierbaren Empfindungen ist.

(Fortsetzung folgt…)

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