Pogrom und Provokation

Eigentlich hat Erzbischof Gerhard Ludwig Müller gar nichts Neues gesagt im Gespräch mit der Welt. Ich fand es dennoch interessant, weil es Parallelen aufweist zu der innerevangelikalen Diskussion um die Position, die man im Blick auf eine pluralistische Gesellschaft einnimmt oder einnehmen sollte.

Müller als Wortführer des konservativen Establishments schlägt da alarmistische Töne an und zieht einen Vergleich zur Zeit des Nationalsozialismus und Kommunismus. Damals wurde die Kirche von der gleichgeschalteten Presse gezielt ins denkbar schlechteste Licht gerückt (wie andere Staatsfeinde auch…), um den Weg für Repressalien zu ebnen. Müller nennt das eine künstlich erzeugte Wut und spricht von einer drohenden „Pogromstimmung“. Diese äußerst provozierende Formulierung hat ihm verständlicherweise viel Kritik eingebracht.

Die Ursache für die beklagten Feindseligkeiten liegen für ihn offenbar nicht so sehr in den Fehlern seiner Kirche, sondern in dem, was sie richtig macht. Daher kritisiert er als nächstes jene innerkirchlichen Forderungen nach Reform, die für ihn am „Wesentlichen“ vorbeigehen. Da schließt er eine Veränderung an drei Stellen kategorisch aus und erklärt damit auch jeden Dialog zu diesen Themen von vornherein für überflüssig: Die Ordination von Frauen, den Pflichtzölibat für Priester und die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Und immer verweist er dabei auf die Bibel und die katholische Auslegungstradition. Dass diese Dinge und mit ihnen der abgrundtiefe Frust vieler Katholiken das „Wesentliche“ – nämlich die Weitergabe des Glaubens durch Katechese und Sakrament – gravierend erschweren oder verhindern können, darauf nimmt Müller keinen Bezug. Der Ruf nach den oben genannten Reformen und die damit einhergehende Uneinigkeit lenkt aus seiner Sicht anscheinend nur von den eigentlichen Aufgaben ab.

Nun lässt sich nicht leugnen, dass Christen und Kirchen in der Öffentlichkeit hier und da angefeindet werden. Das ist die neue Normalität eines nachchristlichen Pluralismus, dass man nicht mit Samthandschuhen angefasst wird. Die spannende Frage ist ja: Wie reagieren die Kirchen? Schon der Versuch, die Vielstimmigkeit nun zu Totalitarismus umzudeuten und die Kritiker – und sei es so verklausuliert wie hier – in die Nähe von Rassisten und Nazis zu rücken, erinnert trotz aller Unterschiede im Ton an die frustrierten weißen Konservativen in den USA, die freilich in ihren haarsträubenden Gleichsetzungen von Obama und Hitler alle Hemmungen fallen gelassen haben. Ist das nicht ein weiterer Schritt zu einem Schwarz- (oder Braun?)/Weiß-Kontrast und einer unterschwelligen Dämonisierung, die man doch eigentlich – wenigstens da, wo sie einen selbst betrifft – verhindern will?

Mit dieser Wagenburgmentalität (hier drinnen die aufrechten Verteidiger des wahren Glaubens, draußen die Feinde Gottes) kann man nun nach innen auf Einheit und Geschlossenheit drängen. Im Kulturkampf des 19. Jahrhunderts hat das funktioniert: Bismarcks Angriff auf die katholische Kirche hat den Modernismusstreit (dessen Neuauflage wir gerade erleben) in Deutschland entschieden und die Katholiken hinter dem Papst versammelt. Ich glaube dennoch nicht, dass die Rechnung ein zweites Mal aufgeht. Aber wer weiß, vielleicht kommt ja irgendwann eine Art Syllabus Errorum 2.0?

Die gleiche Dynamik ist punktuell (auch Müller spricht ja nicht für die Gesamtheit der Katholiken oder auch nur der Bischöfe!) im evangelikalen Spektrum anzutreffen: Kritik und Widerstand reflexartig in Christenverfolgung umzudeuten und Abweichler in den eigenen Reihen – mal subtil, mal drastisch in der Wortwahl – als Komplizen und Kollaborateure der Verfolger erscheinen zu lassen. Vielleicht hilft ja der distanzierte Blick auf die katholischen Mitchristen beim Nachdenken darüber, wie sinnvoll so ein Kurs tatsächlich ist.

Eines jedenfalls fällt auf: Über einen oder sogar zwei der drei Punkte, bei denen Erzbischof Müller absolut keinen Interpretationsspielraum sieht, sind viele ja schon weg…

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11 Antworten auf „Pogrom und Provokation“

  1. „Die gleiche Dynamik ist punktuell (auch Müller spricht ja nicht für die Gesamtheit der Katholiken oder auch nur der Bischöfe!) im evangelikalen Spektrum anzutreffen: Kritik und Widerstand reflexartig in Christenverfolgung umzudeuten und Abweichler in den eigenen Reihen – mal subtil, mal drastisch in der Wortwahl – als Komplizen und Kollaborateure der Verfolger erscheinen zu lassen. Vielleicht hilft ja der distanzierte Blick auf die katholischen Mitchristen beim Nachdenken darüber, wie sinnvoll so ein Kurs tatsächlich ist.“

    Lassen wir den gesamten Text oben mal so stehen, wie er steht. Dieser Abschnitt hier betrifft allerdings wieder „uns Evangelikale“: Ist das nicht die völlig falsche Sichtweise? Seit wann richten wir uns nach dem Zeitgeist / der gängigen Meinung der großen Masse, was unsere Glaubensüberzeugungen angeht? Das ist das letzte, nach dem ich mich richten würde.

    Verständnis, einfühlen und Toleranz anderen Überzeugungen gegenüber: Ja, aber eigene Glaubensüberzeugungen aufgeben / umdeuten, um ja nicht anzuecken oder an öffentlichen Einfluss zu verlieren: Nein.

  2. @JohannesP: Ja, genau diese Haltung meine ich, die gar nicht mehr zuhört, was da Kritisches von Außen kommt und ob vielleicht sogar Gott durch die Kritiker redet, sondern die alle Wahrheit „drinnen“ und alle Irrtümer „draußen“ lokalisiert und deshalb immer Opfer von Verfolgung ist statt Adressat berechtigter oder auch nur in Teilen berechtigter Kritik. Du hast das wunderbar verinnerlicht!

  3. Peter, hast du meinen Beitrag gelesen ? Du hast ihn nämlich völlig missverstanden, deiner Zusammenfassung kann ich nicht zustimmen.

  4. Bei dem Absatz war mir klar, dass JohannesP reagieren würde, und schien mir möglich, dass Peter an Eure bisherigen Debatten dachte. Das hat sich zwar eine zeitlang ganz informativ gelesen, aber inzwischen sind von Euch beiden die Reaktionen schon sehr vorhersehbar. Schade.

    Nein, Johannes, der Absatz betraf nicht „uns Evangelikale“ allgemein, sondern beobachtete unter uns genau diese Gefahr, punktuell so zu reagieren.
    Bei Kritik von „außen“ grundsätzlich Christenverfolgung zu vermuten, sich immer vor der Alternative zu sehen, entweder so zu bleiben wie man ist oder dem Zeitgeist zu verfallen – das ist ein Reflex, der nicht weiterhilft.
    Wie aber, Peter, wenn man die Kritik zunächst gehört und inhaltlich bewertet hat und dann punktuell (!) zu dem Ergebnis kommt, dass sie doch etwas pogromartiges hat und dass an dieser Stelle tatsächlich eine Zustimmung zur Aufgabe unserer Glaubensüberzeugungen führen würde?
    Würdest Du sagen, dass dieser Fall undenkbar oder in der Demokratie zumindest noch nie vorgekommen ist?
    Bisher scheine ich bei Euch beiden vor der Wahl zu stehen, Kritik entweder immer oder nie für einen Angriff auf den christlichen Glauben zu halten. Aber so meint Ihr das doch nicht, oder? 🙂

  5. Lieber Andreas, nein, so meine ich das überhaupt nicht! Kann man aber, meine ich zumindest, aus meinem Beitrag nicht herauslesen.

    Kritik muss man immer ernstnehmen, und auch nicht zu vorschnell sein mit Antworten.Ich bin auch mit der überspitzten Formulierung von Müller nicht einverstanden. Darauf habe ich mich allerdings nicht bezogen, sondern auf das gleich wieder gezogene „die Evangelikalen sind (zumindest punktuell) genau so“. Das wird der Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht. Es gibt kein entweder oder. Kritik muss ernst genommen und geprüft werden, aber wenn ich zu der Überzeugung komme, dass gewisse Teile meine Grundüberzeugung betreffen, die ich aufgrund meiner Überzeugung nicht aufgeben kann (das unaufgebbare, was auch immer das ist), dann muss (leider) die Kritik ins Leere greifen, dann werde ich mich von Kritik nicht in meinen Grundüberzeugungen beeinflussen lassen. Und ich finde das auch richtig und reif, sich nicht von jedem Fähnchen im Wind in eine Richtung drücken zu lassen, sondern zu den eigenen Überzeugungen zu stehen. Was ich anderen, die andere Überzeugungen haben, zugestehe, muss man mir auch zugestehen, nur dann herrscht der Respekt, der nötig ist, um konstruktiv miteinander umzugehen.

    Es ist immer sehr schwierig, wenn eine Eigenschaft gleich bewertend geäußert wird („reflexartig“, „Abweichler“, „umdeuten“), das provoziert quasi Widerspruch. Man kann das klare Vertreten von Überzeugungen genau so nennen, oder es als „Sturheit“, „überkommene Traditionen“, „Ignoranz“ etc. bezeichnen. Umgekehrt kann man natürlich auch das Offensein für Neues genau so nennen, oder es als „nur dem Zeitgeist folgend“, „Fähnlein im Wind“, „Opportunismus“ bezeichnen.

  6. Lieber Johannes, danke für die Antwort. Wie Du oder Peter es meint, ist immer schwierig zu verstehen, weil Ihr an dieser Stelle meist eher die vermutliche Meinung des anderen referiert.
    Was das „die Evangelikalen sind punktuell genauso“ angeht, fallen mir durchaus Beispiele dafür ein.
    Wenn ein Allianz-Mensch wie Peter es so formuliert, lese ich daraus außerdem ein „Lasst uns nicht mit dem Finger auf die Katholiken zeigen, sondern selbstkritisch prüfen, wo wir dieselben Fehler machen.“

    1. So ist es, Andreas. Ich fand, zu jemandem wie Erzbischof Müller hat man als Evangelischer genug Distanz, um sich über die beschriebenen Reaktionen zu wundern. Und dann kann man daraus lernen und nicht denselben Fehler machen, denn dieser Alarmismus ist ja in bestimmten Kreisen keine Seltenheit.

      Tut mir leid, wenn ich Dich falsch interpretiert habe, Johannes. Aber freilich geht es bei Müller darum (und eben da liegt die Analogie zum Evangelikalismus), dass er bestimmte Glaubensüberzeugungen aufgeben müsste, um Frauen zum Priesteramt zuzulassen, und freilich hat seine „Intoleranz“ (beinhart für den Bereich, der ihm untersteht) damit zu tun, dass er genau wie Du, Johannes, der Auffassung ist, bestimmte Überzeugungen aufzugeben wäre ein Verrat an der Sache Christi selbst. Inhaltlich mögen das verschiedene Punkte sein, formal ist die Situation vergleichbar.

      Und nun gibt es andere, die weder dem einen noch dem anderen zustimmen. Vielleicht auch, weil sie die Mitte der Schrift und des Glaubens anders bestimmen. Vielleicht sind da auch Punkte, die nicht verhandelbar sind. Aber – das ist die andere Seite – dann gibt es doch noch einen Unterschied im Stil: Solche schrillen Polarisierungen wie „Pogromstimmung“ kommen da m.E. seltener vor.

  7. @Andreas: Nun gut, du hast Recht, gegen eine Formulierung „punktuell“ lässt sich natürlich nichts sagen, da damit, wenn man das wörtlich nimmt, eine kleine Zahl der Vertreter einer Gruppe gemeint ist. Wenn das so gemeint war, sollte man aber nicht so darauf herumreiten, sondern statt so pauschal lieber konkrete Fälle ansprechen. Sonst ist es immer sehr schwierig, konkret zu bewerten.

    Du formulierst das sehr gut, Peter. Es ist doch so: Wenn ich bestimmte Grundüberzeugungen habe, dann kann ich diese nicht einfach ignorieren, auch nicht, wenn ein anderer (oder gerne auch viele andere) Kritik daran üben. Das hat m.E. nichts mit Intoleranz zu tun, denn ich repektiere trotzdem andere Einstellungen. Eine andere Einstellung, die eher die postmoderne ist (korrigiere mich, wenn ich falsch liege): Ich kann nicht wissen, was richtig ist, also urteile ich auch nicht und lasse (fast) alles zu. Die Liebe deckt alles zu.

    Mit letzterer Grundeinstellung ecke ich wenig bis nirgends an. Mit erster Grundeinstellung sieht die Sache anders aus.

    Wie gesagt: Feste Grundeinstellungen zu haben, auch mit dem Wissen, dass ich falsch liegen könnte (ich habe die Weisheit mit Sicherheit nicht mit Löffeln gefressen), ist gerade heute doch in einer Zeit, die voller Unsicherheiten ist, eher im Trend? Siehe Naturschützer, Umweltaktivisten, …

  8. Weil’s inhaltlich so gut dazu passt, hier ein Zitat aus der aktuellen Berichterstattung rund um den Papst-Rücktritt:

    http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1417278

    “ Die Kirche hat sich ängstlich eingemauert in einer Frontstellung gegen die freiheitliche moderne Gesellschaft. Die gläubige Kirche als «mystischer Leib Christi» steht wie ein Bollwerk einer ungläubigen Welt gegenüber, die sich von Gott abgekehrt habe und dem «Relativismus» huldige.

    Wer so denkt, der fühlt sich leicht verfolgt: Der Kölner Kardinal Joachim Meisner beklagt eine «Katholikenphobie» in der deutschen Gesellschaft; der deutsche Chef der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, prangert eine aufkommende «Pogromstimmung» gegen die Kirche an. „

  9. Wo sie (die SZ) Recht haben, haben sie Recht… 🙂

    @JohannesP: Einspruch. Postmoderne heißt nicht, ich verzichte auf meine Überzeugungen, sondern ich mache mir bewusst, dass alle Überzeugungen perspektivisch, ortsgebunden und in der Regel auch interessengeleitet sind. Ein gewisses Maß an „Zeitgeist“ ist also unentrinnbar, daher ist es auch sinnlos, den Zeitgeist ausschließlich negativ zu konnotieren. Ich werde damit vorsichtiger in meinem Urteilen als ein „Moderner“, der glaubt, „Objektivität“ oder „absolute Erkenntnis“ sei für uns endliche Menschen eine reale Möglichkeit. Ich kann mir dann auch „die Wahrheit des anderen“ anhören und mein Urteil aufschieben, aber dann auch wieder pragmatische Entscheidungen treffen, wenn auch oft nur vorläufig. Unser Wissen ist Stückwerk. Und so weit ich es sehe, hat das Puzzle noch niemand endgültig zusammengesetzt.

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