Im Segen der irischen Mönche

Ich habe bisher auch nur den Trailer gesehen, aber nach Meine Reise zum Leben haben Rainer Wälde und seine Crew von Lebensreise.info eine neue DVD über die iroschottische Mission in Kontinentaleuropa produziert, die nicht nur historische Information, sondern eben auch Inspiration für das geistliche Leben als einzelner und in Gemeinschaft bieten, von schönen, mit Orchestermusik unterlegten Bildern ganz zu schweigen.

Konkret geht es um Columbanus, Gallus, Pirmin (Gründungsabt der Klosterinsel Reichenau) und Magnus von Füssen.

Wer noch Weihnachtsgeschenke sucht, sollte mal einen Blick drauf werfen. Bei der Suche nach Vorbildern, Ritualen und Heiligen Orten findet man gute Anregungen. Und den Trailer zu „Im Segen der irischen Mönche“ kann man hier sehen.

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Kaiser Augustus, das Kindergeld und der Single-Malus

Weihnachten rückt in Sichtweite, der Kaiser Augustus hat wieder seinen liturgischen Auftritt und passend dazu habe ich heute eine interessante Sache entdeckt. Rodney Stark berichtet in The Rise of Christianity davon, dass dem Kaiser die niedrige Geburtenrate zu schaffen machte, Wegen der hohen Kindersterblichkeit und der relativ geringen Lebenserwartung (im Schnitt 30 Jahre, wenigstens bei Stadtbewohnern) schrumpfte die Schar seiner Untertanen stetig. Ehe und Familie standen bei den männlichen Römern nicht hoch im Kurs (nichts Neues also…), viele Kinder, vor allem Mädchen und sichtbar behinderte Buben, wurden zudem als Säuglinge ausgesetzt. Stark schreibt:

Im Jahr 59 v. Chr. erließ Cäsar ein Gesetz, das Väter von drei oder mehr Kindern mit Land belohnte, obwohl er Ciceros Rat nicht folgte, Ehelosigkeit unter Strafe zu stellen. Dreißig Jahre später, und erneut im Jahr 9, veröffentlichte der Kaiser Augustus ein Gesetz, das Männern, die drei oder mehr Kinder hatten, den politischen Vorzug gab und politische und finanzielle Sanktionen gegen kinderlose Paare, unverheiratete Frauen über 20 und unverheiratete Männer über 25.

Nur dass ich nicht missverstanden werde: Ich schlage nicht vor, dass wir es mit staatlichen Zwängen und Anreizen ähnlich halten. Mir geht es nur darum, dass unsere heutigen demographischen Probleme offenbar nicht neu sind und die staatlichen Maßnahmen offenbar auch nicht. Spätere Kaiser griffen zu ähnlichen Mitteln, Trajan subventionierte Kinder schließlich direkt. Ohne Erfolg – der Schwund gegen Ende der Republik und bis weit ins zweite Jahrhundert ließ sich nicht aufhalten.

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Sport wird grüner

Neuich habe ich den Pastor der FeG Herzogenaurach stolz mit einer Adidas-Tasche auftreten sehen und mich gefragt, ob wohl keines seiner Gemeindeglieder bei Puma arbeitet. Vom kleinen Bruder der Streifenmarke sind dieser Tage nämlich gute Nachrichten zu vernehmen: Man hat eine offizielle Ökobilanz erstellt und wird auf deren Grundlage weitere Maßnahmen ergreifen.

In der Sportartikelindustrie scheint nun doch einiges in Bewegung zu sein. Neulich schon interviewte die Zeit Hannah Jones von Nike, die einige Fortschritte erläutert, die der Weltmarktführer in Sachen Nachhaltigkeit gemacht hat. Ohne internationale Proteste wäre das sicher nicht geschehen.

Derweil stand vor allem Adidas dieses Jahr wieder in der Kritik, was Lohn und Arbeitsbedingungen der Zulieferer angeht. Das ist neben der Ökobilanz das andere heiße Eisen.

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USA: Evangelikaler Linksruck?

Dass es unter US-Evangelikalen ein großes Umdenken und zum Teil auch eine radikale Abkehr von der irrsinnigen politischen Agenda der Republikaner gibt, habe ich hier schon mehrfach erwähnt. Inzwischen ist auch die Zeit darauf aufmerksam geworden, bei uns erschien der Begriff „evangelikal“ im öffentlichen Sprachgebrauch bisher ja eher als Synonym zu „fundamentalistisch“ und „reaktionär“.

In Deutschland ist die Bewegung weniger extrem nach allen politischen Richtungen, den frommen Eva-Herman-Fanclub mal ausgenommen. Auf einschlägigen Großverstanstaltungen treten aber immer noch mehr CDU-Abgeordnete auf.

In jeder Hinsicht bemerkenswert fand ich übrigens dieses Statement der National Association of Evangelicals, das die Zeit zitiert. Schade, dass es nicht schon auf dem Kongress in Kapstadt diskutiert wurde:

Die NAE stellt fest, dass es unter ihren 45.000 Kirchen keinen Konsens in der Frage gebe, ob die biblische Genesis als wissenschaftlicher Fakt gelehrt werden soll. Und eine Mehrheit der Evangelikalen unter 35 ist für die Schwulenehe, während die Mehrheit der Älteren eingetragene Lebenspartnerschaften für Homosexuelle befürwortet.

Ich vermute, dass es sich bei uns kaum anders verhält als in den USA. Nur dass nicht öffentlich darüber geredet wird. Die offiziellen Statements der Evangelischen Allianz geben durchweg nur die traditionell-konservative Linie wieder. Ein offenes Gespräch über die unterschiedlichen Positionen wäre für mein Empfinden längst überfällig. Freilich hätte es auch eine gewisse Brisanz, ein paar Hardliner würden bestimmt auf die Barrikaden gehen und Idea würde weniger Abos verkaufen.

Also beten wir doch für mehr Mut zur Ehrlichkeit. Das wäre doch ein schönes Zeichen, wenn unter dem Stichwort Evangelikal unterschiedliche Ansätze möglich sind, so wie in anderen, theologisch viel wichtigeren Fragen ja auch. Marcia Pally, die Verfasserin des Artikels in der Zeit, hat ihr Buch über die Neuen Evangelikalen auch auf Deutsch veröffentlicht:

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Die Geschichte einer ungewöhnlichen Idee

Gestern wurde Pastor Johannes Klement von der FeG in seine neues eingeführt. Als ich mir ein Grußwort überlegte, dachte ch, früher oder später wird es sich auch einmal fragen, was sich Gott eigentlich gedacht haben mag, als er die Franken erschuf.

Hier ist die Antwort – viel Spaß beim Gucken. Die Musik musste ich auf lizenfrei umstellen, gestern haben wir dazu „Pomp and Circumstance“ laufen lassen und es hat wunderbar gepasst.

Das Beste zuletzt… from Peter Aschoff on Vimeo.

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Mia san ia?

Das ist mal wieder typisch: Antenne Bayern hat einen Song fabriziert, in dem die Regionen und Highlights des Freistaats besungen werden. Franken und Schwaben werden dabei durchaus erwähnt, aber obwohl verschiedene Sänger auftreten singen sie doch alle in einem moderaten Bayerisch – „dahoam“ und so weiter.

Klingt alles ganz sympathisch und verrät, wie Harmonie in Bayern funktioniert: München gibt den Ton an, und wenn man bei den anderen Stämmen ein paar schöne Federn findet, schmückt man sich mit gern damit.

Kleiner Trost: Bayerns bester Fußballverein spielt in den fränkischen Landesfarben.

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Der Karneval der Seelen

Ein lustiger Zufall, dass ich diesen Post am 11.11. schreibe: Peter Rollins fragt Im fünften Kapitel von Insurrection nach den Ängsten, die uns zu allerlei Versteckspielen treiben. Mit Tillich (hier nennt er erfreulicherweise seine Quellen) identifiziert er die Angst vor dem Tod und der Sinnlosigkeit, die es jeweils in milder und akuter Form gibt. Der „religiöse Gott“ dient als Schutz gegen beides, wir weichen ihnen aber auch aus durch Flucht in Zerstreuung und Konsum oder in die Arbeit – alles was verhindert, dass wir zu sehr ins Nachdenken kommen und uns den Ängsten stellen müssen.

Freud wies darauf hin, dass uns das Verdrängte im Traum einholt, mit Lacan und Zizek deutet Rollins an, dass man aber auch vor der existenziellen Wahrheit eines Traumes wieder in den Wachzustand „flüchten“ kann. Die Geschichten, die wir über uns erzählen und die unsere Identität beschreiben, können ähnlich irreführend sein wie die selektiven und geschönten Selbstdarstellungen, zu denen uns soziale Netzwerke verleiten. Die Wahrheit über uns erfahren wir, wenn wir auf das schauen, was wir konkret tun.

Aber wir haben gelernt, mit der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu leben – wir ironisieren unser Selbstbild einfach. so gelingt es uns, auch vor uns selbst zu verschleiern, was uns wirklich antreibt. Wir müssen nicht hinter bzw. unter der Oberfläche suchen, sondern es liegt alles offen zu Tage, und gerade so ist es am raffiniertesten versteckt, indem es gerade nicht versteckt wird. Das „Herz“ eines Menschen, sagt Rollins mit Bonhoeffer, ist nicht das unsichtbare Innenleben, sondern es liegt offen zu tage, aber wir können es oft genug nicht entschlüsseln – so wie in einem Krimi oft alle Indizien auf dem Tisch liegen und man trotzdem nicht auf Anhieb sagen kann, was die Lösung des Rätsels nun ist. Wir aber bleiben uns selbst oft genug ein Rätsel.

Die Differenz zwischen dem, was wir glauben und wie wir handeln, ist ein beliebter Topos für Moralpredigten. In Wirklichkeit, sagt Rollins, stimmt das so nicht. Wir leben so, weil wir in Wirklichkeit glauben, dass das richtig oder besser ist, oder dass die Welt nun mal so funktioniert. Er bezieht sich hier auf Paulus, der schreibt, dass das Gesetz nicht nur vor der Sünde warnt, sondern zugleich den Anreiz zur Übertretung darstellt. Und als solches hält es uns in einem Dauerkonflikt gefangen, aus dem nur die Gnade befreit.

Das Thema Gnade illustriert Rollins dann mit eine fiktiven Geschichte von einem Sohn, der gegen seinen Vater, einen asketischen Gutmenschen, rebelliert, bis dieser jegliche Erwartung, sein Sohn könne sich ändern aufgibt. In just diesem Moment ist der Weg für den Sohn frei, sich zu verändern. Das ist eine schöne Geschichte, aber eben auch wieder erstaunlich konventionell in der Konkretion (so wie im vierten Kapitel der Verweis auf Mutter Theresa ja auch kein theologisches Sondergut darstellte. Predigten, die seinen Lösungsvorschlag aufnehmen, habe ich oft und an vielen unterschiedlichen Orten gehört). Insofern ist es dann wieder irritierend, wenn Rollins diese vermeintlich bahnbrechende Erkenntnis mit dem Hinweis versieht, die Kirche in ihrer heutigen Gestalt sei eine Veranstaltung, deren Struktur und Gottesbild darauf angelegt sind, Angst zu vermeiden und den Status quo zu garantieren statt für Veränderung zu sorgen und Verunsicherung zuzulassen.

Rollins beschreibt intelligent und aufmerksam Strategien der (Selbst-) Täuschung. Seine Lösung ist dann weniger originell als seine Analyse, und mit der pauschalisierenden Kritik und Abwertung anderer wirft er zwischen den Zeilen die Frage auf, ob er nicht immer wieder denselben Täuschungsmechanismen erliegt, die er so scharfsinnig seziert. Wahrscheinlich würde er das gar nicht bestreiten…?

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Weisheit der Woche: Anders sehen

Brian McLaren in seinem wunderbaren Naked Spirituality über das meditative, nichtdualistische Denken, das uns hier schon ab und zu beschäftigt hat:

Nicht, dass alles gut wäre. Weit gefehlt. Niemand […] würde das sagen. Es gib aber in allem etwas Gutes, oder das Potenzial, aus allem etwas Gutes zu machen.

Nicht, dass alles gleich wäre. Weit gefehlt. Aber alles unterscheidet sich und gehört zugleich auch auch zusammen, alles kann erlöst, alles kann vergeben werden.

Nicht, dass alles relativ wäre, ohne feste und festgelegte Identität, aber alles ist verwandt, also ist seine Identität irgendwie verwoben mit der Identität von allem anderen.

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Insurrection (5): Neuer Erfahrungsfundamentalismus?

Zu Beginn des Zweiten Teils von Insurrection fasst Peter Rollins sein Verständnis der Kreuzeserfahrung (und damit des Beginns des eigentlichen Glaubens) noch einmal zusammen:

Am Kreuz stirbt Gott als psychologische Krücke und eine tief empfundene dunkle Nacht der Seele bricht über uns herein. (S. 82)

Rollins beschreibt hier beim Umschalten von Dekonstruktion auf Rekonstruktion (s)eine menschliche – und damit psychische (!) – Erfahrung, vor allem macht er dabei aber auch zwei Annahmen:

  1. Alle Menschen beginnen mit einer falschen Gottesvorstellung und missbrauchen Gott als „Krücke“, wodurch er zum Deus-ex-Machina wird, der garantiert, dass alles bleibt, wie es ist.
  2. Wer die existenzielle Verlusterfahrung der dunklen Nacht nicht gemacht hat, hat das Kreuz und damit Gott und den Glauben nicht verstanden

Bei aller berechtigten Kritik am Fundamentalismus, die Rollins immer wieder übt, erinnert das auch nicht unerheblich an das Motiv des „Bußkampfes“ im Hallischen Pietismus (der war ein existenzielles Verzweifeln an der eigenen Sündhaftigkeit), nur dass statt Bußkampf hier eben nun eine andere Erfahrung zum Schlüsselerlebnis des Glaubens erklärt wird, nämlich ein existenziell empfundener Verlust der Nähe Gottes.

Zinzendorf hatte sich an diesem Punkt (des Bußkampfes) von Francke abgewandt, damit hat er den Pietismus aus der Fixierung auf ein bestimmtes Erleben befreit. Ich bin mir daher nicht sicher, ob ich Rollins bei seiner Auffassung folgen möchte. Es könnte der Weg in einen Erfahrungsfundamentalismus werden, nur eben in einer etwas anderen Färbung. Aber vielleicht relativiert Rollins das noch im weiteren Verlauf und umschifft die tückischen Klippen.

Und so schrecklich weit weg von Descartes typisch modernen Rekurs auf den radikalen Zweifel als den Ursprung neuer Gewissheiten liegt er damit auch nicht entfernt – es bleibt also spannend.

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Formuliert wie geschmiert

Die NN berichten in der Druckausgabe von heute über einem Fettfilm auf den U-Bahn-Schienen, der den Nehverkehr behindert hat – verlängerte Bremswege und höhere Fahrzeiten waren die Folge. Bis zum Betriebsschluss am Vortag, so der Artikel weiter, sei der Verkehr noch „reibungslos“ gelaufen.

Der Bericht in der Online-Ausgabe verzichtet auf die rutschige Metapher 🙂

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Spätrömische Dekadenz

Den ausschweifenden Lebensstil der Römer für den Untergang ihres Imperiums verantwortlich zu machen war lange Zeit in Mode bei Historikern und Moralisten, zuletzt noch bei einzelnen Politikern, die wohl fürchteten, dass ein Mindestlohn in Deutschland ähnlich hedonistische Verfallserscheinungen auslösen könnte und dafür mit solchen Thesen satt unter die Mindestlohngrenze der politischen Zustimmung von 5% gerieten.

Aber die Erklärung war in dieser Form schon immer falsch, schreibt Rodney Stark in The Rise of Christianity. Man habe viel zu lange eine eigentlich bekannte Tatsache unterschätzt. Mehrere Epidemien hätten die Population so stark dezimiert, dass immer mehr „Barbaren“ ins Reich geholt wurden, um die brachliegenden Fläche zu bewirtschaften oder das Militär zu verstärken. Viren, nicht Dekadenz schwächten das Reich bis irgendwann die hereindrängenden Germanenstämme leichtes Spiel hatten.

Alle Hedonisten dürfen also aufatmen – falls sie sich je den Kopf über solche Fragen zerbrochen haben, was doch eher unwahrscheinlich ist. Und die Schluss-mit-Lustig-Fraktion muss sich neue Argumente suchen. Sie könnte die Individualethik zurückstellen und sich auf den Klimawandel verlegen. Da droht ein sehr konkreter Untergang, der sich auch sehr konkret als Folge eines bestimmten Verhaltens darstellen lässt und der Verletzung bestimmter Grenzen.

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Glaube und Globalisierung

Tony Blair und Miroslav Volf haben in Yale ein Seminar über Faith & Globalisation gegeben, inzwischen läuft schon die dritte Runde. Man kann sie auf iTunesU hören, wer sich dafür interessiert, kann hier klicken.

Von da aus kann man auch die Aufnahmen der bisherigen Kurse finden und hineinhören. Neben Blair und Volf sind weitere interessante Leute dabei und manche Clips sind auch angenehm kurz. Hier eine kleine Einstimmung:

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Insurrection (4): Erkennen, was ich weiß

Freitag und Samstag habe ich mich auf dem Netzwerktreffen „Ecclesia Attractiva“ der AMD im Wuppertal aufgehalten und eine ganze Reihe sehr interessanter Menschen und Initiativen kennengelernt. Frost und Hirsch würden sich, wenn sie nicht noch am Leben wären, bei dem Titel zwar im Grab umdrehen, aber es war keineswegs alles „attractional“, was dort zur Sprache kam.

Schauen wir nun aber dem talentierten Mr. Rollins weiter über die Schulter bei seiner Apotheose des Zweifels. Mir ist übrigens wieder eingefallen, wo mir der Gedanke schon begegnet ist, dass unser wahres Begehren das Begehren des Anderen ist – er stammt von Jacques Lacan.

Im vierten Kapitel nun ist endlich etwas klarer, worauf er hinaus will. Die letzte Form, die existenzielle Begegnung mit dem Abgrund des Zweifels zu umschiffen, ist der stellvertretende Glaube eines geistlichen Leiters, besonders der des Pfarrers. So lange der hält, kann sich jedes Gemeindeglied Zweifel leisten, ohne in Angst zu geraten, Es ist ja immer jemand da, der die Verbindung offen hält. Strauchelt er aber, dann bricht Panik aus, weil der psychologische Schutz fehlt. Diese Erwartung führt auf Seiten der Leiter dazu, dass sie die eigenen Zweifel verheimlichen, sagt Rollins. Man erfährt davon bestenfalls im persönlichen Gespräch.

Wir weichen der existenziellen Begegnung mit unseren Zweifel auch deshalb so gern aus, weil wir im Grunde schon wissen, was uns da erwartet. Aus demselben Grund also, aus dem wir aufrüttelnde Filmdokus wie An Inconvenient Truth meiden, sagt Rollins. Dann nämlich können wir nicht mehr so tun, als wüssten wir nichts. Wir müssten überlegen, was wir konkret ändern, oder uns dämliche Ausreden suchen und alles beim Alten lassen, oder zugeben, dass uns die Sache (der Klimawandel, die Ungerechtigkeit, Gott, der Nächste) schlicht egal ist.

So weit, so zutreffend. Bissige Fußnote: Es gibt ja durchaus auch Prediger, bei denen man sich wünscht, sie würden mal über irgendetwas anderes reden als nur über ihre nicht so schrecklich interessanten und verdienstvollen Zweifel und Halbherzigkeiten, die ihnen zu allen Knopflöchern herauskommen. Gemeinden, in denen die religiöse Grundstimmung nicht allzu menschlicher Triumphalismus, sondern ebenso menschliche milde Depression und bequeme Verliebtheit ins Scheitern ist. Hat Rollins von denen noch keinen getroffen?

Als ich mich schon langsam fragte, ob wir bei Rollins statt von „wiedergeborenen Christen“ von „wiedergestorbenen“ reden sollten, da bekam er gegen Ende des Kapitels doch noch die Kurve. Erst mit einem Zitat von Kierkegaard, der zwischen Dichtern und Kritikern unterscheidet: Während der eine etwas existenzielle erleidet und daraus seine Kunst gebiert, sieht der andere das unter formalen und ästhetischen Gesichtspunkten, bleibt aber teilnahmslos. A/Theismus – den Begriff benutzte Rollins schon in How Not To Speak of God – heißt dann nicht, den Glauben inhaltlich zu entleeren oder zu bestreiten, sondern ihm die Funktion als Schutzmechanismus gegen das Leiden an und mit Gott in dieser Welt zu nehmen.

Am Ende nimmt Rollins Bezug auf Mutter Theresa und ihren jahrzehntelangen Kampf mit der Abwesenheit Gottes. Er zitiert aus einem ihrer Briefe und erwähnt dann, dass sie diese Zweifel zwar existenziell erlitten hat, aber nie öffentlich thematisierte. Einerseits war ich erleichtert, dass Mutter Theresa Rollins Test auf wahren Glauben (Rechtgläubigkeit wäre ein zu böses Wort) bestanden hatte, andererseits fragte ich mich unwillkürlich, ob sie nicht genau das gemacht hatte, was Rollins zu Beginn des Kapitels so kritisiert hatte, nämlich nach außen hin an den orthodoxen Formulierungen festhielt, während in ihr für niemand außer ihren Beichtvater erkennbar der Sturm des Chaos tobte. Oder habe ich jetzt schon wieder etwas nicht kapiert?

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Bewegende Worte

hat Mona Simpson, Steve Jobs leibliche Schwester, für ihren Bruder gefunden. Wer sie noch nicht gelesen hat, findet ihr Ansprache hier. Es ist eine sehr intime und sehr menschliche Perspektive und man spürt, wie sehr sie ihrem Bruder zugetan war.

Unter den schwierigen Bedingungen ist das ja gar nicht selbstverständlich, um so schöner, dass es so war.

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Insurrection (3): Postmoderner Ikonoklamus?

Das dritte Kapitel von Insurrection hat mich etwas ratlos gemacht. Peter Rollins stellt verschiedene Arten vor, wie Glaube (an den religiösen deus-ex-machina) und Zweifel koexistieren können, ohne dass es ersterem an den Kragen geht:

  • Man kann theologische Lippenbekenntnisse zum Wert des Zweifels und Erfahrungen von Verlust abgeben und parallel an einem Gemeindeleben teilnehmen, das diese Gedanken und Erfahrungen (etwa im Liedgut und der Liturgie) verschweigt und konterkariert,
  • man kann sich von organisierter Religiosität zeitweilig verabschieden, nur um in de nächsten Krise wieder auf sie zurückzugreifen (um den drohenden Sturz in die Angst abzuwenden), subkutan hat man sie jedoch immer behalten,
  • man kann eine indirekte Teilhabe an der heilen Welt des religiösen Glaubens über Ehepartner und Kinder pflegen, während man sich selbst als „nicht religiös“ bezeichnet und gebärdet. Rollins spricht süffisant davon, dass man letzten Endes eine „dunkle Nacht der Seele erleben und dabei alle Lichter an lassen kann.“
  • Einen anderen Umgang mit Zweifeln pflegt man im Fundamentalismus: Hier herrscht das unausgesprochene Gesetz, dass der Zweifel überhaupt nicht thematisiert werden darf. Vorhanden ist er selbstverständlich und führt zu skurrilen Vermeidungsstrategien.

So oder so, meint Rollins, wird die eigentlich nötige existenzielle Verlusterfahrung umgangen, man flirtet (wenn überhaupt) lediglich mit der Vorstellung, ohne ernst zu machen. Quer durch alle kirchlichen Traditionen. Für Rollins bedeutet das: Man drückt sich um das Kreuz, man hat noch gar nicht begonnen, im christlichen Sinn zu glauben.

Die eine Frage wäre, ob dieses sehr allgemeine und gewagte Urteil über eine große Vielfalt von Individuen, Gemeinschaften und Konfessionen gerechtfertigt ist. Noch spannender finde ich die Frage, ob man sich um eine solch existenzielle Erfahrung überhaupt drücken kann. Wenn ich mich mit Menschen unterhalte, die ähnlich Dinge erlabt haben, dann scheint mir, dass sie sich das nicht aussuchen und dass auch alle Versuche, es zu verhindern, aussichtslos waren.

Ist Rollins‘ selbsternannte Pyro-Theologie also eine postmoderne Form von Ikonoklasmus, mit dem er jede Vorstellung anfällt, von der er befürchtet, sie könne irgendeine Form von Gewissheit und Trost vermitteln? Und ist sie darin nicht, wie die Verachtung des Volksglaubens durch die radikalen Reformatoren (die Bilder und Kunstwerke in den Kirchen pauschal als „Götzenkult“ diffamierten) am Ende vielleicht auch eine Form von elitärer Bevormundung anderer, für die man sich mancher Dinge ganz erstaunlich gewiss sein muss? (Jason Clarks engagierter Widerspruch wäre dann das postmoderne Pendant zu Luthers Invokavitpredigten)

Warten wir mal ab, was das vierte Kapitel bringt.

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