Auf dem Weg

Am Damaskustor steigen wir in die Jerusalemer Straßenbahn und fahren nach Nordosten. In der Shufat Street 108 liegt Sabeel, das ökumenische Zentrum für Befreiungstheologie. Sabeel ist das arabische Wort für „Weg“. Wir sind rechtzeitig zum Mittagsgebet dort.

Neben den Leuten, die dort arbeiten, treffen wir zwei Freiwillige des ökumenischen Programms EAPPI, das unter anderem an den israelischen Checkpoints im Westjordanland Beobachter aufstellt, die Schikanen und Menschenrechtsverletzungen der IDF dokumentieren – beziehungsweise durch ihre Anwesenheit möglichst verhindern.

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Wir sprechen gemeinsam die Liturgie auf Englisch und bekannte Teile, wie das Vaterunser, parallel in den jeweiligen Muttersprachen, wir tauschen uns aus über einen provozierenden Bibeltext (Jesus vor Pilatus), wir feiern die Eucharistie unter der Leitung von Naim Ateek, der das Zentrum gegründet hat.

Naim erinnert in den Fürbitten an das Massaker von Deir Yasin: Am 9. April 1948 (auf den Tag vor 47 Jahren) wurden dort etwa 120 Einwohner (von denen nur eine kleine Minderheit bewaffnet war) von jüdischen Untergrundkämpfern getötet, der Rest der 600 Menschen vertrieben. Innerhalb der nächsten Wochen (und noch vor Beginn des sogenannten Unabhängigkeitskrieges) flohen 200.000 bis 300.000 Palästinenser aus ihren Dörfern. Auf dem Gebiet von Deir Yasin steht heute Giv’at Shaul, ein westlicher Stadtteil von Jerusalem. Wir sind nur wenige Kilometer entfernt.

Dann essen wir gemeinsam zu Mittag, erzählen einander, wo wir herkommen und warum wir hier sind. Ich frage Naim, welches von den vielen Büchern dort er mir am meisten empfehlen würde, und er zeigt auf A Palestinian Christian Cry for Reconciliation. Das Vorwort ist von Desmond Tutu. Naim ist anglikanischer Pfarrer und stammt aus Beisan, später lebte er in Nazareth und promovierte in San Francisco. Sein Buch Justice and only Justice gilt als Wegbereiter für das Kairos-Dokument, das vom Ökumenischen Rat unterstützt wird. Es ruft zum gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung und zur Versöhnung unter den Ethnien und Religionen auf, aber auch dazu, das Schweigen in den Kirchen, der Politik und den Medien zu brechen.

Gestärkt stürzen wir uns wieder ins Getümmel der Altstadt am letzten Tag des Pessach-Festes und am Gründonnerstag der orthodoxen Christen. Orthodoxe Popen mit singenden Pilgergruppen und orthodoxe Juden umgeben von ihren vielen, vielen Kindern wetteifern um die wildeste Bartmode. Wer religiösen Pluralismus studieren möchte, kommt hier voll auf seine Kosten. Wer Ruhe und Besinnung sucht, braucht ein dickes Fell.

Naim Ateek spricht am 5. Juni auf dem evangelischen Kirchentag in Stuttgart. Am Tag danach findet unter dem Motto „Gerechtigkeit schafft Frieden“ ein Studientag von Pax Christi statt, der auch von der ACK in Baden-Württemberg getragen wird und auf dem auch jüdische Aktivisten vertreten sind. Die Veranstaltung ist hochkarätig besetzt und wer eh in der Nähe ist, sollte die Gelegenheit – diesen Kairos – nutzen. Für manche Dinge muss man nicht – jedenfalls nicht immer – nach Jerusalem reisen.

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Koscherer Wein: Eine Preisfrage

Auf dem Berg Garizim, der sich über Nablus im Westjordanland erhebt, liegt eine jüdische Siedlung, mit Schlagbaum und Stacheldraht abgegrenzt. Einer der Siedler führt uns durch seinen Weinberg. Er trägt eine Kippa unterm Käppi und sagt anfangs in jedem dritten Satz „Praise the Lord“. Er liebt seinen Wein und das Land, das – so sagt er – Gott ihnen gegeben hat. Im Buch Jeremia sei doch schon angekündigt, dass sie in Samaria wieder Wein anbauen würden.

Jedes Jahr kommen christliche Freiwillige aus den USA und helfen bei der Lese. Wir bekommen die gekühlten Tanks gezeigt und machen eine kleine Weinprobe. Der Wein ist gut, aber er kostet auch ein kleines Vermögen. Ich frage noch einmal nach dem Land. Er versichert mir, dass die Siedler sich das Land nicht etwa genommen hätten, sondern die Regierung habe es ihnen legal zugeteilt. Ich frage nicht mehr, wie das gehen kann, wenn ein Territorium besetzt ist und das Land anderen Menschen gehört hat, die für den Bau dieser Siedlung enteignet wurden. Oder ob man so mit der Bibel umgehen darf.

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Der Wein ist koscher, erklärt er. Ich erkundige mich nach den Kriterien für koscheren Wein und höre, dass er von Juden gemacht sein muss, die den Sabbat einhalten. Ich frage zurück nach den Erntehelfern, die sind doch keine Juden. Na, was draußen auf den Feldern passiert, zählt nicht. Aber ab der Kelter ist die Produktion ganz in jüdischer Hand. Ich weiß nicht, wann und wo dieser Regeln erfunden wurden (in der Bibel stehen sie, so weit ich weiß, ja nicht). Aber so kann man einen ganzen Wirtschaftskreislauf und eine Wertschöpfungskette durch religiöse Vorschriften nach außen abschließen, eine Art geistig-ökonomischer Stacheldraht.

Ich frage die palästinensischen Christen, wie es ihnen damit geht, dass christliche Zionisten aus den USA die Siedler und damit auch die Politik der Enteignung und den Bruch des internationalen Rechts unterstützen. Sie seufzen, ein bisschen resigniert. Die meisten Amerikaner wissen vermutlich nicht, dass es unter den Palästinensern auch Christen gibt und dass diese Christen genauso wie ihre muslimischen Nachbarn und Freunde unter der systematischen Zerstückelung ihres Landes und den vielen Demütigungen der Besatzungsmacht leiden.

Ich kaufe zögernd eine kleine Menge von dem teuren Stoff. Aber ich weiß, den eigentlichen Preis für das Trinkvergnügen haben andere bezahlt.

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Alltägliche Absurdität

Die ganze Doppelbödigkeit dessen, wie Israel mit den Palästinensern umgeht, zeigte sich mit heute am Beispiel der Mietwagenfirma Budget. Mit meinen Vertragsunterlagen habe ich eine Karte bekommen, auf der die besetzten Gebiete überhaupt nicht als solche gekennzeichnet sind; es sieht da vielmehr so aus, als beginne Israel auf dem Golan und erstrecke sich dann zwischen Jordan und Mittelmeer bis zum Negev.

Gleichzeitig steht im Kleingedruckten meines Mietvertrages, dass ich unter gar keine Umständen mit diesem Auto in Gebiete fahren darf, die der palästinensischen Autonomiebehörde unterstellt sind. Ich wusste das zum Glück schon vorher, sonst hätte ich es vielleicht nicht zur Kenntnis genommen.

Vielleicht ist das Logik-Budget der Verantwortlichen einfach zu knapp gewesen, um diesen Widerspruch zu bemerken?

Andererseits: Vielleicht bemerkt ihn hier aber auch nur deshalb niemand, weil diese absurde Situation schon so lange gewohnter Alltag ist.

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Palästinenser

Als ich das erste Mal das Wort „Palästinenser“ hörte, war ich sieben Jahre alt. In München hatte ein Terrorkommando während der Olympiade 11 Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln genommen, und im Verlauf der Gefechte mit der Polizei kamen schließlich alle Geiseln ums Leben. Ich lernte also, dass das schlimme Leute waren und dass sie zu allem Unglück auch noch gegen Israel waren – gegen das Volk Gottes und die Opfer (so viel wusste ich schon mit sieben) der Nazis. Dass die Mehrheit der Palästinenser friedlich war, hatte niemand erwähnt. Es folgten die heftigen RAF-Jahre, und wer da für Palästinenser war, galt als Sympathisant des Terrors (apropos Terror – der Anschlag in München wurde von deutschen Neonazis unterstützt, aber das blieb ganz lange geheim).

Über die Jahre lernte ich noch einiges dazu, aber es blieb immer ein unangenehmes Thema, weil ein Konflikt im Raum stand, an dem die Welt sich die Zähne auszubeißen schien und von den es tausend widersprüchliche Darstellungen gab. Man kann sich da als Nicht-Experte eigentlich nur die Finger verbrennen, oder?

Seit einem Jahr beschäftigt mich die Frage neu. Als die Situation in und um Gaza letztes Jahr wieder eskalierte, da wollte ich es genauer wissen. Ich näherte mich dem Thema aus der Ferne literarisch durch den Roman „Während die Welt schlief“ von Susan Abulhawa, der ebenso traurig wie schön und versöhnlich ist. Ich bin normal gar nicht nahe am Wasser gebaut, aber diesmal war ich froh, wenn Taschentücher in Reichweite waren.

Das Buch schildert die letzten knapp 70 Jahre Geschichte des palästinensischen Volkes am Beispiel der Familie von Amal, die in Flüchtlingslagern aufwächst, später in die USA zieht und dann wieder zurück kommt nach Palästina. Ohne Hass auf Israel, aber der Schmerz und die Ohnmacht der Vertriebenen und Enteigneten werden beim Lesen verständlich. Und alles, was ich in den letzten Tagen bei verschiedenen Begegnungen gelernt habe, passt dazu.

Israel stellt an manchen Ortschaften auf der Westbank rote Schilder auf, die seine Bürger warnen, diese gefährlichen Gebiete zu betreten. So ein Schild hatte ich offenbar im Kopf. Nach vierzig Jahren ist es nun ausrangiert und ein neues beginnt sich zusammenzusetzen. Es besteht aus anderen Geschichten und Gesichtern. Ein paar davon werde ich in den nächsten Wochen vorstellen. Ich hoffe auf reges Interesse. Nicht meinetwegen, sondern um der Menschen und des Friedens willen.

Wer mag, kann ja schon mal mit Während die Welt schlief anfangen.

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Die Tür zur Freude

Eine vertraute Gestalt am fernen Ufer,
eine vertraute Geste am Küchentisch,
eine Anwesenheit inmitten von Zweifeln,
O Auferstandener Christus
du kommst, um uns zu überraschen und froh zu machen,
du öffnest die Tür zur Freude weit;
voller Hoffnung verehren wir dich;
zögerlich beten wir an.

aus: Kate McIlhagga, Dawn’s Ribbon of Glory

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Wer verändert die Welt?

Es war das Frühjahr 1978. Ich lag mit einer Grippe im Bett und hatte alles Lesbare in meinem Zimmer verschlungen. Gähnende Langeweile machte sich breit. Irgendwann war sie dann so unerträglich, dass ich dieses Buch zu lesen begann, das meine Mutter auf meinem Nachtkästchen deponiert hatte. Wenn man Dreizehn ist, sind Bücher, die die eigenen Eltern gut finden, per definitionem langweilig. In diesem Fall beschrieb ein amerikanischer Prediger, wie Gott – ein erstaunlich unmittelbar redender, mir bis dahin unvorstellbarer Gott – ihn nach New York schickte, um dort Drogenabhängigen aus ihrem Elend zu helfen. Ich war fasziniert.

Meine Frage damals war, wie man die Welt verändern kann. Dass es dringend nötig war, die Welt zu verändern, war für mich keine Frage. An allen Ecken und Enden konnte man als denkender Mensch Krisen am Horizont erkennen: Hunger, Überbevölkerung, Ölkrisen, Umweltzerstörung oder ein möglicher Atomkrieg, das waren nur die wichtigsten Sorgen. Wissenschaftler und Politiker mussten nach Lösungen suchen. Aber würde es ihnen gelingen, die Welt zu retten? Mitten in diese Zweifel hinein traf nun also die Erkenntnis, dass Christentum mehr sein konnte als Traditionspflege und ein etwas höherer moralischer Anspruch; dass Menschen und Verhältnisse sich ändern könnten. Denn wenn das bei Drogenabhängigen wirkt (für einen 13-Jährigen so ziemlich das Schlimmste, was man sich ausmalen konnte – die „Kinder vom Bahnhof Zoo“ hatten gerade mächtig für Schlagzeilen gesorgt, ohne Lösungen anzubieten), dann ist auf einmal vieles denkbar. Ich machte mich auf die Suche und landete bei katholischen Charismatikern.

Was mir erst einmal gar nicht so auffiel, war die Tatsache, dass dort viel weniger vom Verändern der Welt die Rede war, ebenso wie beim evangelischen Pendant, dagegen viel mehr vom Verändern der Kirche. Erst die Kirche, dann kommt die Welt schon von selbst, schien die Devise zu sein. Wie alle Erneuerer waren sie vom eigenen Anliegen begeistert und überzeugt; die Schattenseite davon war, dass man dazu neigte, alle anderen als defizitär einzustufen. In dem Maß, wo der (teils unverdiente, teils auch verdiente) Widerstand zunahm, verhärteten sich die Fronten dann oft. Das Muster ließ sich damals in schöner Regelmäßigkeit landauf, landab beobachten, anhängig von den Protagonisten verliefen die Lagerbildungen mal friedlicher, mal heftiger.

Unglücklicherweise schien die größte Inkompatibilität, die unerbittlichste Konkurrenz und das heftigste Misstrauen gegenüber den Aktivisten zu bestehen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzten. Der eigentlich doch eher anarchische charismatische Impuls begann, sich mit konservativen bis reaktionären Bildern von Kirche und Gesellschaft zu verbinden.

Heute sehe ich das sehr deutlich, als Teenager war ich dazu gar nicht in der Lage. Ein paar Jahre lang dominierten fromme Erweckungsphantasien, die bevorzugt aus „überkonfessionellen“ Bewegungen importiert wurden, die geistliche Tagesordnung. Richard Rohr hat mir vor ein paar Jahren erzählt, wie er sich in dieser Phase aus dem charismatischen Spektrum löste, weil er solche Engführungen und Dualismen ablehnte. Auf der Haben-Seite standen jedoch authentische Gotteserfahrungen. Vielleicht lag es daran, dass ich die Schattenseiten erst später richtig bemerkte.

Heute sehe ich Vieles in einem anderen Kontext als damals. Konkret wurde ich an meine eigenen Erfahrungen erinnert, als ich in Walter Winks Autobiographie „Just Jesus“ las, wie er 1954 als junger Student in einer ausgewachsenen Glaubens- und Sinnkrise bei Pfingstlern in Salem/Oregon die „Geisttaufe“ erlebte. In einem Gottesdienst spürte er während des Singens ein Kribbeln am ganzen Körper, als stünde er unter Strom: „Ich wusste, dass etwas Reales, etwas, das stärker war als Dynamit, mit mir spielte.“ Als die Pastoren mitbekamen, dass da gerade etwas mit dem jungen Walter geschah, beteten sie nach dem Gottesdienst weiter mit ihm:

Die drei Pfarrer standen um mich herum, während ich mich hinkniete, priesen Gott und sprachen in Zungen, und machten das herrlichste Getöse, das ich je gehört hatte. Plötzlich schwanden meine Ängste, Stolz, Zweifel, und all meine Vorbehalte. Da waren nur noch Gott und ich, und der Lobpreis war wie eine Barriere, die alles andere draußen hielt. Nun nahm die Kraft zu, die durch mein Blut, meine Nerven pulsierte. Meine Füße brannten, die Hände ebenso. Plötzlich berührte eine Hitze meine Beine. Sie breitete sich aus. […] Ich erinnere mich an die herrliche Befreiung, als ich im Knien meine Hände zu Gott ausstreckte.

Wink beschreibt, wie er aufstand, umfiel und aufgefangen wurde, lachte, sang und sich in dem allen vollkommen geborgen wusste. In den folgenden Monaten musste er diese umwälzende Erfahrung in sein Leben integrieren. Auf der einen Seite fühlte er sich ganz und heil wie nie zuvor. Auf der anderen Seite fühlte er sich gespalten – Verstand und Erfahrung, Geist und Kreatürlichkeit schienen nicht zusammen zu passen. Im Blick auf die fundamentalistische Theologie, die ihm dort begegnet war, kam er zu dem Schluss, dass Gott ihm die Vernunft, die er ihm anvertraut hatte, neu zurückgab — mit der Aufforderung, doch kräftig Gebrauch davon zu machen. Etwa dadurch, dass er den Dualismus von Geist und Materie, der damals die Theologie bestimmte, nachdrücklich in Frage stellte und sich auf den Weg zu einer integralen Spiritualität machte. Mit gravierenden Folgen für die Frage, ob das Gebet etwas in dieser Welt ausrichten kann.

Hier schließt sich für mich der Kreis. Ich habe das Gefühl, dass ich über die letzten vielleicht zehn Jahre Ähnliches erlebt habe wie das, was Wink beschreibt. Ich habe nie aufgehört zu fragen, wie man die Welt verändert. Das Evangelium spielt für mich dabei eine wichtige Rolle, nicht der Glaube an einen Fortschritt, der alles von selbst löst. Ich glaube zudem schon lange nicht mehr, dass sie heil wird, indem wir sie verkirchlichen. Vor allem, wenn damit eine Frömmigkeit einhergeht, die sich ängstlich, überheblich oder feindselig abgrenzen muss, und die mit den reaktionären Kräften (Tea-Party/PI-News…) in unserer Gesellschaft gemeinsame Sache macht. Ich glaube, dass der Sinn charismatischer Erfahrung das exakte Gegenteil dieser Dinge ist: Sie macht frei von Angst, schüttelt Ordnungen und Hierarchien durcheinander, sie hebt soziale Schranken auf. So ähnlich sieht das auch Gilles Kepel. Er erkennt revolutionäres Potenzial sogar bei klassisch pfingstlich-evangelikalen Erweckungspredigern:

Dadurch, dass die Erweckungsprediger den einzelnen in unmittelbaren Kontakt mit dem Jenseits bringen wollen, ermöglichen sie es ihm, sich ohen Rücksicht auf Macht-, Wissens- und Besitzungleichheiten über sein gesellschaftliches Umfeld oder seine berufliche Lage einfach hinwegzusetzen. Jeder kann gerettet werden – ob arm oder reich, ob schwarz oder weiß, ob Landwirt oder Geschäftsmann. Der Geist weht, wo er will – oder doch wenigstens dort, wo der Prediger ihn hinlenkt. Ethnische oder familiäre Abstammung haben keine Bedeutung mehr. (S. 168) … Wunderheilungen, die man gemeinhin als ein Zeichen für die Scharlatanerie des Arztes und die geistige Zurückgebliebenheit des Patienten betrachtet, implizieren eine vergleichbare, ja radikalere Infragestellung der gesellschaftliche Hierarchie des Wissens und der Kompetenzen. (169)

Kepel unterscheidet in seinem 1991 erschienenen Buch übrigens Evangelikale, denen es um die „Resozialisierung“ einzelner durch eine neue Beziehung zu Gott und die Einbindung in christliche Gemeinschaft ging, die aber eher apolitisch blieben, von Fundamentalisten wie Jerry Falwell, deren politische Kampagnen und Mobilisierungen am rechten Rand des politischen Spektrums gegen den „säkularen Humanismus“ stattfanden. Die Tea-Party ist eine aktuelle Auswirkung dieser Richtung, beziehungsweise eine Folge davon, dass der Fundamentalismus seit den Achtzigern stark. Die Fixierung weiter Teile der konservativen Christenheit, nicht nur in den USA, auf die Themen Abtreibung, Homosexualität, Pornographie, den schon erwähnten „Humanismus“ und „Zerstörung der Familie“ hat hier ihren Ursprung. Die Fundamentalisten bekamen regen Zulauf aus dem Lager der Evangelikalen, das hat Scot McKnight vor ein paar Jahren erst erneut beklagt.

Mit dem Ansatz der Resozialisierung von unten (frei nach Franckes „Weltveränderung durch Menschenveränderung“) kam ich eine Weile ganz gut zurecht. Mit den fundamentalistischen Einflüssen – dem strikten Verbot von Bibelkritik und erst recht der reaktionären politischen Agenda – kam ich dagegen nie klar. Da hielt ich mich lieber an Ron Sider und Tony Campolo. Spätestens seit Beginn der 90er Jahre fragte ich mich: Wo sollten neue Impulse herkommen? Die einen machten kräftig Anleihen in der Psychologie und übersetzten deren Erkenntnisse oder Theorien in christlichen Jargon, die anderen orientierten sich am Managament und entwickelten ein marktkonformes Christentum. Beides oft erstaunlich unkritisch. Das war der institutionellen und traditionellen Kirchlichkeit zwar in mancher Hinsicht überlegen, doch es hatte auch seine Schattenseiten. Der Neoliberalismus kam ihm nämlich zu jedem Knopfloch heraus. Um Kepel noch einmal zu zitieren:

… anders als in Ländern katholischer Tradition, in denen die Kirche über eine starke institutionelle Position verfügt, tummeln sich auf dem amerikanischen Markt zahllose kleine, unabhängige Unternehmer, die getreu den Gesetzen des Kapitalismus in scharfer Konkurrenz zueinander stehen. […] Nirgendwo im zeitgenössischen Katholizismus, Islam und Judentum findet sich jene Wahlverwandtschaft zwischen einer religiösen Bewegung und dem – mitunter bis zum äußersten getriebenen – Geist des Kapitalismus. (196)

Auch hier hatte ich Dinge gefunden, die ich sympathisch und ansprechend fand, ich lernte ernsthafte und engagierte Leute kennen – und spürte nach einer Weile trotz allem eine Kluft, die ich nicht recht überbrücken konnte, weil sie nicht so sehr mit Äußerlichkeiten zu tun hatte, es ging vielmehr um das Wesen des Evangeliums.  Es dauerte eine Weile, bis ich das für mich so klar formulieren konnte. Aber was ist das Evangelium und inwiefern geht eine verändernde Kraft von ihm aus? Das war die Frage, die sich rund um das 40. Lebensjahr stellte und neu beantwortet werden musste. Dieser Blog enthält die Spuren dieses Fragens. In aller Dekonstruktion, die das auch auslöste, war es eher ein zähes Ringen als ein plötzlicher Bruch. Die Antworten mussten nicht nur vom Verstand her stimmig sein, so viel war klar. Dass darin meine Lebensfrage aus der achten Klasse wieder mit neuem Nachdruck auftauchte, fiel mir zunächst gar nicht so auf.

Im Verlauf dieser Zeit habe ich immer wieder Menschen kennengelernt, die ähnliche Fragen stellen und benachbarte Wege gehen – seltene und sehr kostbare Momente waren das. Trotzdem waren sie zahlreich genug, um Kurs zu halten und nicht den Mut zu verlieren, wenn Gewohntes nicht mehr greift oder wenn ich merke, wie groß die innere Distanz zu manchem geworden ist, was in früheren Zeiten noch Heimatgefühle bewirkt hat. Wink erzählt in seiner Biografie, dass er später als Professor in New York einem geistlichen Begleiter von seiner Gottesbegegnung bei den Pfingstlern in Oregon berichtete. Damals glaubte er, die Erfahrung sei verschüttet und verloren. Sein Gegenüber antwortete:

Glaube bedeutet, die Erfahrung zu leben, wenn man sie nicht sehen kann. Deine Erfahrung hat Dir ein unerschütterliches Gespür für das Leben gegeben. Hat Gott seine Meinung geändert? Denkst du, Gott hat keine Verwendung mehr für dich? Glaubst du nicht, dass Gott möchte, dass du heil wirst? Du kennst die Wahrheit. Du kannst nicht mehr zur Unwissenheit zurückkehren.

Wink lernte damals, zu seiner Erfahrung zu stehen, ohne bei ihr stehen zu bleiben. Auch damit hat er dazu beigetragen, meine Welt – und die vieler anderer – kräftig zu verändern.

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Die Suche nach der verlorenen Heimat

Gilles Kepel befasst sich seit langem mit fundamentalistischer Religiosität. 1991 schrieb er sein Buch „Die Rache Gottes“ und markiert die späten Siebziger als Beginn einer „Krise der Moderne“, die in den unterschiedlichen Religionen zu ähnlichen Phänomenen führt. Man versucht, die Moderne mit ihren eigenen Mitteln zu überwinden.

Der neue Kurs der katholischen Kirche seit dem Amtsantritt von Papst Johannes Paul II. oder die evangelikalen Bewegungen, die die Vereinigten Staaten bis ins Innerste erschüttern, werden – außerhalb der ständig größer werdenden Schar der Anhänger – herablassend als eine Erscheinungsform des mittelalterlichen Obskurantismus interpretiert.

Wenn man diese Phänomene aber miteinander vergleicht, erkennt man, dass dieses weitverbreitete Urteil nicht den Tatsachen entspricht. Die meisten Anhänger und Aktivisten der zeitgenössischen religiösen Bewegungen entstammen keineswegs ungebildeten Bevölkerungsschichten (Analphabeten, alten Menschen, Bauern usw.), sondern verfügen häufig über ein staatliches Diplom in vorwiegend technischen Studienrichtungen. Die Art und Weise, wie sie die Gesellschaft beschreiben, deren Krise analysieren und eine Therapie vorschlagen, ist geprägt von Denkmustern eines Bildungssystems, das selbst eine typische Errungenschaft der Moderne ist – die sie doch gerade bekämpfen wollen. (…)

Die religiösen Bewegungen zu studieren, die damals auf der ganzen Welt aus dem Boden schießen, heißt, durch sie hindurch die umfassenden Veränderungen zu erkennen, die die zeitgenössischen Gesellschaften in diesem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts durchmachen – Veränderungen, deren Auswirkungen die Öffentlichkeit zwar empfindet, deren Ursachen ihr jedoch schleierhaft sind. Diese mitunter so sonderbar, irrational und fanatisch anmutenden Bewegungen zu studieren heißt, ihre Argumentation und die von Ihnen angestrebten Alternativen Sozialisationsformen in dem Maße ernst zu nehmen, wie sie über eine Welt verzweifeln, in der sie sich nicht mehr zu Hause fühlen.

Auf dem Studientag emergente Theologie (8./9. Mai in Fulda) werden wir uns übrigens weiter und intensiver mit der Thematik auseinandersetzen.

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Schließlich

„Ich gehe jetzt zur Tür hinaus
und komme wieder rein,“ sagte sie
„und dann fangen wir nochmal an,
als wäre nichts  gewesen.“

Das Leben ist eine lange Reihe von Türen
du drückst die Klinke und gehst durch
sie fallen von selbst ins Schloss
noch bevor du dich im Raum gründlich umgesehen hast.

Ein Zurück ist nicht vorgesehen.
Du kannst weiter gehen.
Jemand kann dir öffnen:
Neue Türen, andere Räume.

Es befiehlt sich kategorisch, sagen sie,
stets so zu handeln,
dass man die Optionen vermehrt.
Maximiere die Möglichkeiten!

Wenn ich aber nur eine Wahl habe
und nicht hinter die nächste Tür blicke,
was nützen die vielen Optionen
– ich grüble nur länger.

Wie anschlussfähig ist das Schicksal?
Unsichtbar zieht es die Tür zu,
schließt aus, was eben noch möglich war,
mich selbst eingeschlossen.

Es war ja meine Wahl.
Erschöpft sinke ich zu Boden
Lehne mich an das unverrückbar Vergangene
Die Rest-Zukunft im prüfenden Blick.

Es ging schon mal einer
frei durch Türen und Wände
auch durch die letzte.
Ich staune ent:schlossen.

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Sinndustrialisierung

Wie „diesseitige Tranzendenz“ funktioniert, schildert Zygmunt Bauman in „Postmoderne Religion?“ so treffend, dass es auch nach gut 15 Jahren nicht minder aktuell klingt. Nicht die Konsumgüter an sich lassen die Kassen klingeln, sondern die Verheißung ungeahnten Erlebens – eine Art Heilsversprechen bzw. eine Form der Erleuchtung. Dazu muss der Konsument allerdings seinen Teil beitragen und an sich arbeiten, indem er nämlich seine Genussfähigkeit maximiert. Auch dafür gibt es selbstverständlich die passenden Dienstleistungen und Angebote:

Das Versprechen neuer, überwältigender, sinnverwirrender oder haarsträubender, jedenfalls immer erregenderer Erfahrungen gilt als das Verkaufsargument für Lebensmittel, Getränke, Autos und Kosmetika genauso wie Brillen oder Pauschalreisen. Alles lockt mit der Aussicht auf bis dato unbekannte Eindrücke, die zu »durchleben« stärker wäre als jegliches bereits Probierte. Jedes neue Gefühlserlebnis muss »größer«, überwältigender und aufregender werden als das vorherige, und das Schwindelgefühl eines »totalen« Gipfelerlebnisses winkt immer schemenhaft am Horizont. Man hofft – und genau dies wird auch stillschweigend oder ausdrücklich insinuiert –, man werde auf dem Wege der quantitativen Akkumulation sinnlicher Intensität schließlich zu einem qualitativen Durchbruch gelangen – zu einem nicht nur tieferen und genussreicheren, sondern »völlig anderen« Erlebnis; man hofft, auf dieser Reise würden einem »metaempirische« Waren und Dienstleistungen helfen – alles was darauf abzielt, die psychischen und körperlichen, »Eindrücke empfangenden« Kräfte und Fähigkeiten zu stärken. Es geht nicht nur um das Angebot immer noch erhabenerer Freuden – man muss auch lernen, das ganze in ihnen enthaltenen Potenzial herauszupressen; (…)

Das Ziel eines solchen Trainings charakterisiert die Metapher des multiplen Orgasmus: ein Körper in Hochform, in dem ein ebenso trainierter Geist steckt, ist in der Lage zu wiederholter, ja sogar anhaltender Gefühlsintensität; ein Körper, der immer auf der Höhe ist, stets offen für alle Erfahrungsmöglichkeiten, die die Welt ringsum nur bieten kann – eine Art wohltemperiertes Klavier, jederzeit zu Melodien von erhebender Schönheit bereit.

 

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Mose und die kooperative Anarchie

Mit dem Ruf nach Recht und vor allem „Ordnung“ werben Politiker der Rechten von Putin bis Le Pen für ihren Kurs. Sollte man ihnen dabei zustimmen oder muss man ihren Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaft – als Christ wenigstens – energisch widersprechen?

Ich hatte kürzlich schon einmal Walter Dietrich zum Thema Gerechtigkeit zitiert. Für ihn stellt das Stichwort die Achse dar, um die sich das Erste Testament dreht, alle Brüche und Widersprüche eingeschlossen. Dietrich charakterisiert die Grundspannung an dieser Stelle so, dass er quasi von einer Gerechtigkeit von oben und einer von unten redet:

Rückblickend stellen wir fest, dass die gesamte Geschichte des Volkes Israel von der Grundfrage bestimmt ist, wer das Recht auf seiner Seite hat, wer am Ende Recht behalten soll: die mit den Verhältnissen jeweils Zufriedenen, weil durch sie Bevorzugten, mit ihrem Weltbild eines zuverlässig stabilen Kosmos und eines geregelten Oben und Unten zwischen den Menschen, und ihrem Gottesbild von einem majestätisch fernen, verlässlich gleichbleibenden, in uralten Mythen und festgelegten Riten zu verehrenden Hochgott – oder die an den Verhältnissen jeweils Leidenden, die durch sie Benachteiligten, mit ihrem Weltbild von der möglichen und oft genug erwiesenen Veränderbarkeit der Ordnungen und vom Recht aller auf ein menschenwürdiges Leben, sowie ihrem Gottesbild von dem durch die Geschichte mitgehenden, sich in die konkrete Lebensgestaltung der Menschen einmischenden und namentlich die Schwachen schützenden Gott des Volkes .

Richard Horsley argumentiert, dass der Aufstieg Israels zum Königreich und zur zeitweiligen Regionalmacht diese begriffliche Doppelbödigkeit verursachte, weil ab Saul, David und Salomo das imperiale Königsrecht zunehmend neben und allmählich über das mosaische Bundesrecht gesetzt wird, das aus der Erinnerung an Sklaverei und Befreiung eine hierarchische Gesellschaft und ein wirtschaftliches Gefälle im Volk verhindern sollte, eine Art sozialökonomische Charta. Er schreibt: „Israel war im Blick auf JHWH eine Theokratie, hinsichtlich der konkreten sozialen Praxis könnte man es aber als kooperative Anarchie bezeichnen.

Gott verschafft den klagenden Hebräern Recht, und er gebietet ihnen auch, Recht zu halten  – Spiritualität und soziale Verhältnisse werden mit demselben Wortfeld charakterisiert. Die Propheten klagen auch in den folgenden Jahrhunderten die alte, egalitäre mosaische Ordnung immer wieder gegen die (in ihren Augen: heidnische) Machtpolitik der Könige ein und kündigen sogar das Ende der Monarchie an – und des Tempels, mit dem die Könige sich schmückten und dessen Priester ihnen ergeben waren.

In der neu entwickelten Ideologie des imperialen Königtums wurde der König „zur Rechten Gottes“ inthronisiert und im Namen Gottes als „der Messias“ ausgerufen, „der (eingeborene) Sohn JHWHs“ (wie die Großen Mesopotamiens), dem Gott alle Könige und Völker unterworfen hat (Psalm 2; 110). Die Ideologie imperialen Königtums richtete sich auf einen anderen „Bund“ – zwischen JHWH und der davidischen Dynastie – der schließlich den mosaischen Bund zwischen JHWH und dem ganzen Volk überschrieb und unterdrückte (2. Samuel 7).

Liest man die Texte, ohne diese Unterscheidung zu beherzigen, dann ergibt sich in der Tat ein sehr widersprüchliches Bild. Es wird nicht nur schwer bis unmöglich, die Propheten zu verstehen, sondern auch die Botschaft Jesu. Der nämlich beginnt sein Wirken nicht von ungefähr im ländlichen Galiläa, und er knüpft mit seiner Predigt vom Schuldenerlass und der Rückgabe enteigneter oder gepfändeter Güter am mosaischen Ideal an. In der Zuwendung zu den Armen, der Kritik an Tempel und Palast, der radikalen Ablehnung hierarchischer Machtverhältnisse und der damit verbundenen Proklamation der Königsherrschaft JHWHs nimmt er den Gedanken einer alternativen, freien Gesellschaft wieder auf und entwickelt ihn fort.

Gerade indem Jesus scheinbar „konservativ“ auf die ältere Tradition zurückgreift, untergräbt er das Imperium: Denn diese Vorstellung von Gerechtgkeit zeigt, wie Dietrich sagte: Ordnungen und Verhältnisse können und müssen geändert werden, da wo sie Menschen von einem menschenwürdigen Leben ausschließen. Verbindungen von Christentum und “Abendland“ oder Orthodoxie und Nation zementieren in der Regel Ungleichheit und Unmenschlichkeit, selbst wenn sie unaufhörlich die Moral- und Ordnungskeule gegen Minderheiten schwingen, weil die ihre Gewohnheiten in Frage stellen.

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Tod und Popcorn

Der Tod drängelte sich – unerwartet, wie so oft – ganz oben auf die Tagesordnung meiner letzten Woche. Das relativierte manches, was mich sonst vielleicht mehr beschäftigt hätte, ließ mich aber noch länger über ein paar Seiten aus Zygmunt Baumans Essay „Postmoderne Religion?“ nachdenken. Dort spricht Bauman von einer „antieschatologischen Revolution“ in der Moderne. Gegenüber der Vormoderne, deren ganz Sorge sich um die Frage des ewigen Seelenheils drehte, verschiebt sich die Aufmerksamkeit radikal auf das Diesseitige. Sünden- und Höllenängste des Mittelalters führten ironischerweise dazu, dass die

Faszination und Betörung durch das Leben nach dem Tod sowie die Anforderungen einer ganz auf Seelenheil ausgerichteten Frömmigkeit auf Gipfel getrieben wurden, die für Menschen, die noch am normalen Leben teilnehmen wollten, nicht mehr zu erreichen waren. Mönche. Prediger und andere »Künstler religiösen Lebens« setzten Frömmigkeitsmaßstäbe, die nicht nur mit allgemein verbreiteten »sündhaften Neigungen« kollidierten, sondern auch mit der bloßen ‚Aufrechterhaltung des Lebens als solchem; die Aussicht auf ein »ewiges Leben« geriet damit für alle mit Ausnahme einiger Heiliger außer Reichweite.

Als Reaktion darauf und nicht unbedingt im Sinne der Bußprediger, entwickelte sich aus dieser Maßlosigkeit heraus einerseits eine makabre Zurschaustellung von Tod und Leiden, andererseits schlug das memento mori um in ein memento vivere und die Freuden des irdischen Lebens (geflissentlich übersehen von vormodernen „missionarischen“ Paradigmen, die bis heute alles auf die Frage konzentrieren, wohin jemand wohl käme, sollte er heute sterben).

Denn analog zum paulinischen „Tod, wo ist dein Stachel?“ entwickelte die Moderne mit großem Erfolg drei komplementäre Strategien, um den Schrecken des Todes zu relativieren.

Der Tod wurde erstens in professionelle Obhut verwiesen und aus dem Alltag ausgegliedert:

Wie alles andere im Modernen Leben wurde der Tod einer arbeitsteiligen Behandlung unterworfen: er wurde zur Sache von »Spezialisten«. Für alle übrigen, die Nichtprofis, entwickelte sich der Tod zu etwas Anstößigem; eine peinliche, in gewisser Weise […] der Pornografie verwandte Angelegenheit, ein Ereignis, über das man nicht öffentlich und schon gar nicht »vor den Kindern« sprach. Man verbannte die toten und vor allem die Sterbenden aus dem Alltagsleben…

Zweitens wurde der Tod zerlegt in Einheiten, die sich bewältigen ließen:

Wie alle anderen »Ganzheiten« wurde auch die Aussicht auf den absolut und unwiderruflich bevorstehenden Tod scheibchenweise in unzählige, immer kleinere Bedrohungen für unser Überleben fragmentiert. an dem Faktum selbst kann man nicht viel ändern, und es wäre einfältig, sich mit etwas zu befassen, woran nun einmal nichts zu ändern ist. Die kleinen Gefahren jedoch kann man bekämpfen, zur Seite drücken, ja sogar besiegen. Und der Kampf gegen sie ist eine so zeit und energieraubende Betätigung, dass von beidem nichts übrigbleibt, um über die letztendliche Nichtigkeit all dessen nachzusinnen. Der Tod […] wurde in die kleinen, doch unzähligen Fallen und Hinterhalte des täglichen Lebens aufgelöst. Man neigt dazu, ihn immer wieder anklopfen zu hören – in fettreichem Fast Food, in salmonellenverseuchten Eiern oder cholesterinreichen Versuchungen, im Sex ohne Kondom oder im Zigarettenrauch, in asthmaerzeugenden Hausstaubmilben, … in zuwenig oder zuviel körperlicher Bewegung, in übermäßigem Essen oder übertriebenem Fasten, in zuviel Ozon und im Ozonloch; doch weiß man nun, wie man die Tür verbarrikadieren muss, wenn er klopft, und man kann die alten verrosteten Schlösser und Riegel oder Alarmanlagen gegen immer »neue und bessere« austauschen.

Drittens fand eine Virtualisierung des Todes statt. Während der wirkliche Tod immer mehr im Privaten verschwindet, wird der öffentliche Tod in Kino und Fernsehen unterhaltsam und spektakulär inszeniert, der tödliche Kampf zur einer Kunstform entwickelt, die (Tarantino lässt grüßen) um ihrer selbst willen existiert. Die schiere Flut des Sterbens auf der Mattscheibe erzeugt denselben Effekt wie eine Menge nackter Körper auf einem Bild, sie neutralisiert die Wirkung des einzelnen (hier Begehren, da Schrecken und Empathie).

In noch viel eindrucksvollerer Weise, als Aldous Huxley es sich ausmalte, ist seine Vision einer Todeskonditionierung (indem man Kindern Menschen im Todeskampf zeigt und sie dabei mit ihren Líeblingssüßigkeiten füttert) zur gängigen Praxis geworden – mit Auswirkungen, die dem, was er sich vorstellte, nicht sehr nachstehen.

Die Vorstellung des Lebens als eines „Seins zum Tode“ ist damit massiv geschwächt. Der Tod verleiht dem Leben, das auf ihn zuläuft, keine Bedeutung mehr, sondern er ist nur noch das Nicht-Ereignis, das eine Lebensgeschichte beendet, die just in dem Augenblick uninteressant und irrelevant wird, wo sie keine neuen Episoden mehr hervorzubringen verspricht. Und während der Tod im Leben eines vormodernen Menschen, das wenig Abwechslung und Überraschung bot, das eine völlig unkalkulierbare Ereignis war, so ist er heute häufig das einigermaßen absehbare, jedenfalls medizinisch erklärbare Ende eines Lebens, das von Umbrüchen, Ungewissheiten und Apokalypsen – Bauman spricht von der „Instabilität alles Erreichten und der Zerbrechlichkeit menschlicher Bindungen“ und der „Launenhaftigkeit von Regeln, die sich schon vor Spielende wieder ändern“ – gekennzeichnet ist.

Ungewissheit postmodernen Typs zeugt nicht von einem Bedarf an Religion, sie bewirkt vielmehr eine ständig steigende Nachfrage für Identitätsexperten. Wen die Ungewissheit postmodernen Typs quält, der braucht keine Prediger, die ihm etwas über die Schwäche des Menschen und die Unzulänglichkeit menschlichen Vermögens erzählen. Er braucht die Bestätigung, dass er/sie es schaffen kann – und Anleitung, wie dies anzustellen sei.

Ich kann nicht auf alles eingehen, was Bauman hier anreißt, aber mich hat seine Analyse insofern überrascht, als ich im Blick auf seine jüdische Herkunft erwartet hätte, dass er den Kern des Glaubens und damit von Religion nicht in der Frage nach Tod und Jenseits sieht, wie es dann im katholischen Spätmittelalter der Fall war. Zu Beginn des Essays, aus dem ich zitiert habe, beschreibt er noch sehr treffend die Unmöglichkeit einer umfassenden Definition von Religion, nur um das alles mit einem Satz von Tisch zu wischen und festzustellen, Religion sei „schließlich nichts anderes […] als das intuitive Wissen um die Grenzen dessen, was wir Menschen als solche tun und verstehen können“, Religiosität bestehe mithin im „Bewusstsein menschlicher Unzulänglichkeit und dem Eingeständnis der Schwäche“, die er im Folgenden dann strikt auf Tod und Transzendenz bezieht.

Für den Alttestamentler Walter Dietrich hingegen (und das hätte ich bei Bauman eigentlich erwartet, weil es ja sein Ur-Anliegen darstellt) ist der rote Faden der hebräischen Bibel die Frage nach Gerechtigkeit, der „Herstellung und Wahrung lebensfreundlicher Verhältnisse gerade für die in ihrer Existenz oder ihrem Wohl Bedrohten […]. Für Israel kennzeichnend ist dabei, dass sich religiöse Motivation und politische Aktion untrennbar miteinander verbinden“ (Der rote Faden des Alten Testaments, in: Ders., Theopolitik. Studien zur Theologie und Ethik des Alten Testaments, S. 21)

Für mein Empfinden gilt diese Aussage ebenso für das Christentum und Jesu Botschaft vom Reich Gottes. Besonders auch in dem Sinn, dass Jesu Eintreten für Gerechtigkeit ihn zum Märtyrer und Opfer eines Justizmordes machte – ein Ereignis, an dem deutlich wird, dass sich derjenige ganz besonders mit dem Tod beschäftigen muss, der die sozialen Verhältnisse verändern will. Dazu kommt das für die ersten Christen völlig unerwartete Geschehen der Auferweckung, in dem erkennbar wird, dass der Tod als die Summe und endgültige Festschreibung aller lebensfeindlichen Verhältnisse und Bedrohungen auf eine völlig andere Art und Weise und von anderer Seite relativiert wurde, als es im Projekt der Moderne geschah und geschieht. Wer sich gegen Großkonzerne, Geheimdienste, Diktatoren, rechte Todesschwadronen oder mafiöse Strukturen stellt, darf keine Angst vor dem Tod haben und wird ihn schwerlich durch den Konsum von Popcorn und Actionkino ausblenden können.

Ein „aktuelles“ Evangelium, das sich auf Identitätsmanagement reduzieren lässt und zu diesem Zweck die Ur-Angst postmoderner Menschen beschwichtigt, in den ständigen Wahlzwängen Entscheidendes zu verpassen, ist ebenso ungenügend wie ein traditionelles, dass sich auf Schuld und Tod reduzieren lässt. Wer mutig vom Tod reden kann, hat auch in Sachen Gerechtigkeit etwas zu sagen. Wer sich vor dem Tod in Wellness flüchtet, wird auch davor zurückschrecken, sich den Mächten dieser Welt tapfer entgegenzustellen.

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Frauwillige Selbstkontrolle, oder: mit St. Patrick dem Zwang zur Perfektion trotzen

Ich kam letzte Woche nicht mehr dazu, auf dieses Interview des SZ-Magazins mit der britischen (schottischen!) Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie hinzuweisen. Sie spricht davon, dass Frauen in der neoliberalen Gesellschaft anders unter Druck stehen als in traditionellen Umgebungen, und dass diese neuen Anforderungen und Erwartungen ebenso verinnerlicht werden wie frühere Klischees und Rollenbilder, und wie das alles unter einer Schicht Ironie halbherzig relativiert wird, im Grunde aber doch ungebrochen gilt. Den folgenden Satz fand ich sehr erhellend (und so schrecklich weit sind Männer von diesen Dingen auch nicht entfernt, wie mir scheint), weil sie zeigt, wie verdeckt und zugleich  hier Macht und Ansprüche wirken

Im Gegensatz zu Männern müssen Frauen darüber hinaus noch sich selbst und allen anderen ständig beweisen, wie perfekt sie sind. Sie haben es verinnerlicht, sich den ganzen Tag zu fragen: Bin ich schön genug, dünn genug? Ihre Selbstkontrolle ist strenger als jede Kontrolle von außen. Damit sind sie die perfekten Mitglieder einer neoliberalen Gesellschaft.

[…] Einer der Wege, wie Macht heutzutage wirkt, wie sie die Menschen durchdringt und kontrolliert, ist die Selbstbeurteilung: Frauen beobachten und beurteilen sich ständig selbst – aber auch die Frauen um sie herum. Sie stehen in Konkurrenz. Diese Kontrolle stärkt gleichzeitig das Stereotyp, dass Frauen eben nicht solidarisch untereinander sind, sondern boshaft und zickig. Ich glaube, nur durch eine gemeinsame Politik, durch ein gemeinsames Wir-Gefühl, kann diese Selbstbeurteilungskultur durchbrochen werden.

Und so funktioniert diese freiwillige Selbstkontrolle unter den Leistungsbereiten und Aufstiegswilligen, während all jene mit Missbilligung und Argwohn betrachtet werden, die sie verweigern – die „gefallenen Frauen“ von heute sind die, die nichts (oder nicht genug) aus sich machen:

Die neoliberale Gesellschaft bestraft Frauen, denen das Management ihres Lebens nicht gelingt: die alleinerziehende Mutter; die Frau, die Kinder von verschiedenen Männern hat; die Frau, die nicht arbeitet und auf Kosten anderer lebt. Und natürlich die Frau, die nicht auf sich achtet oder nicht das Beste aus sich macht.

Bei Männern würde man von Losertypen reden, allerdings müssen die sich schon viele Unvollkommenheiten leisten, um in dieser Schublade zu landen. Sieben Wochen ohne Runtermachen, so heißt die aktuelle Fastenaktion passenderweise, sind bestimmt ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auch da liegt erst einmal die Verantwortung bei jeder und jedem einzelnen. Das „Wir-Gefühl“ und die „gemeinsame Politik“ zur Überwindung der Selbstbeurteilungskultur kommt nicht von selbst. Manchmal habe ich den Eindruck, Christen versuchen sich durch noch rigorosere Selbstbeurteilungen abzuheben anstatt das zu tun, was die Lehre von der Rechtfertigung uns eigentlich anbietet: dankbar und fröhlich auf alle Perfektion zu pfeifen.

Weil heute St. Patrick’s Day ist, schließe ich mit einem Zitat aus seinem Bekenntnis. Der Mann war sich seiner offensichtlichen Defizite schmerzhaft bewusst, aber er ließ sich von ihnen nicht abhalten, Großes zu vollbringen. Seine irisch-rustikale Art hat tausendfach Nachahmer gefunden. Wer ein grünes Getränk zur Hand hat, darf dem Heiligen heute dankbar zuprosten.

Ich war noch jung, ja fast noch ein unmündiges Kind, als ich in Gefangenschaft geriet, und noch wusste ich nicht, was ich suchen und was ich meiden sollte. Dafür schäme ich mich bis heute und ich habe größte Hemmungen, meinen Mangel an Bildung offenzulegen, denn ich vermag mich nicht sprachgewandt in der geforderten Kürze auszudrücken, so wie ich es vom Verstand und vom Herzen her gerne würde, und so, dass der Sinn meiner Worte dem entspräche, was ich sagen möchte.

Aber selbst wenn mir gegeben wäre, wie es anderen gegeben ist, ich könnte nicht schweigen, weil ich Dank sagen will. Mag ich manchen auch angesichts meiner Unwissenheit und lahmen Zunge überheblich erscheinen, so steht es doch geschrieben, dass die Zungen der Stammelnden schnell lernen werden, von Frieden zu sprechen. Um so mehr müssen wir es versuchen, als dass wir, wie es heißt, ein Brief von Christus sind, um das Heil bis an die Enden der Welt zu tragen. Und wenn dieser Brief auch nicht wohlfeil verfasst worden ist, so ist er doch aufrichtig und mit fester Überzeugung in eure Herzen eingeschrieben, nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes. Und der Geist selbst bezeugt es ja auch, dass die Schlichtheit des Ackers vom Allerhöchsten geschaffen worden ist.

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Galaktisch gesegnet

Vor gut neun Jahren war ich für eine Predigt auf der Suche nach einem griffigen Synonym zu dem Satz: „Das Reich Gottes ist nahe“. Wie haben sich die jüdischen Zeitgenossen Jesu das praktisch vorgestellt, wenn Gottes Reich anbricht? Damals fiel mir folgende Analogie ein (vgl. Jesaja 35):

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Jahre später stelle ich anlässlich des Todes von Spock-Darsteller Leonard Nimoy also nun fest, dass in der Tat ein enger inhaltlicher Zusammenhang besteht: Der vermeintlich vulkanische Gruß (die meisten traditionellen Grußformeln sind ja Segensworte) zeigt den hebräischen Buchstaben „Schin“, mit dem so gewichtige Worte wie Schaddai, Schalom und Schechinah beginnen. Nimoy hat die Segensgeste mit der gespreizten Hand als Kind im Synagogengottesdienst kennengelernt, wie er in dem folgenden Video verrät, das Michael Blume diese Woche postete:

Nun, da ich den Hintergrund kenne, werde ich das Beispiel sicher wieder öfter verwenden. Und dabei immer an diesen besonderen Menschen denken, der (verständlicherweise) so lange brauchte, mit seinen deutschen Fans und deren Land Frieden zu schließen. Es ist ihm aber doch gelungen, und der Segen wird ihn überdauern. 

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Lernen, wie man lebt

Mein Glaube war recht schlicht und direkt: Es ging nur um Jesus. Ich wollte wissen, wer dieser Jesus wirklich ist. Die Kirche war meine Zuflucht; ich lernte etwas über Jesus und sah an seinem Beispiel, wie man lebt. Sein Beispiel, wie man lebt, eröffnete mir eine neue Freiheit, die ich fühlte, noch bevor ich sie in Worte fassen konnte. Für alle, die sich selbst, so wie ich, als Christen bezeichnen, ist Jesus der Ursprung unseres Menschseins.

aus: Walter Wink, Just Jesus. My Struggle to Become Human

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„Love the hell out of them!“

Der 7. März war der 50. Jahrestag des „bloody Sunday“ von Selma. Im gleichnamigen Film, der momentan in den (anspruchsvolleren) Kinos läuft, kann man sich ein Bild davon machen, wie die schwarzen Demonstranten dort auf der Edmund Petrus Bridge von weißen Polizisten brutal niedergeknüppelt wurden. Dennoch war es ein Wendepunkt für die Bürgerrechtsbewegung in den USA. Zum nächsten Marsch fanden sich viele Sympathisanten ein, unter ihnen auch Walter Wink, dessen Lebensthema der gewaltfreie Widerstand nach Selma werden sollte, und der große Abraham Heschel, ein Freund von Martin Luther King.

Freilich kann so ein Film nicht alles zeigen. Heschels Tochter Susannah schildert hier, welche Bedeutung Selma für ihren Vater hatte, der vor den Nazis in die USA geflohen war. Für Heschel war der Protest ein prophetisches Ereignis:

My father arrived in 1940 as a refugee from Nazi Europe, where all too many Christian theologians were declaring Jesus an Aryan, not a Jew, and throwing the Old Testament out of the Christian Bible because it was a Jewish book. It seemed miraculous for him to discover Martin Luther King, Jr., placing the Exodus and the prophets of Israel at the center of the civil rights movement.

Marching out of Selma felt like a reenactment of the Exodus, but in a new way. Not only were the Israelites leaving Egypt, the place of enslavement, but also the Egyptians, because there was a hope at Selma that white America was repudiating its racism. My father had written, “The tragedy of Pharaoh was the failure to realize that the exodus from slavery could have spelled redemption for both Israel and Egypt. Would that Pharaoh and the Egyptians had joined the Israelites in the desert and together stood at the foot of Sinai.”

Wer Selma nicht gesehen hat, sollte trotz der Kritik von Heschel in den Film gehen, und sich dann weiter informieren. Etwa bei John Lewis, der am 7. März 1965 den Demonstrationszug anführte, und in diesem Interview mit Krista Tippett bewegende Einblicke gibt in die Haltung und Denkweise der Widerstandsgruppe. Die spirituelle Dimension, die im Film nur am Rande erscheint, wird hier ausführlich besprochen. Martin Luther King etwa rief in den Vorbereitungstreffen seinen Mitstreitern zu: „Love the hell out of them!“ (auf Deutsch könnte man in leidlich guter Entsprechung sagen: „Liebt sie auf Teufel komm raus!“).

John Lewis twitterte zum 50. Jahrestag der Niederschlagung der Proteste in Selma

Edmund Pettus, nach dem bis heute (!) die Brücke benannt ist, auf der sich alles abspielte, war übrigens General der Konföderierten im Sezessionskrieg und ein Großmeister des Ku-Klux-Klan. Wie nah uns diese Ereignisse sind, zeitlich wie räumlich, zeigen die Unruhen und der strukturelle Rassismus in Ferguson/Missouri oder die Tatsache, dass ein Ermittler des NSU-Terrors Kontakte zum KKK pflegten und Kollegen der 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter dem KKK angehörten.

Nachgebaut wurde ein teil der Brücke kürzlich für die Oscar-Verleihung. John Legend und Common traten dort mit dem Titelsong aus „Selma“ auf. King hatte am 25. März 1965 seine Rede nach dem Marsch von Selma nach Montgomery, der schließlich doch genehmigt wurde, und bei dem Heschel, Wink und viele andere dabei waren, mit einem Zitat aus der Battle Hymn of the Republic beendet. Darauf bezieht sich der Text von Glory, und hier kommt auch die religiöse Dimension des Protestes klar zum Vorschein. John Lewis sagte in dem Interview, man müsse auch an die Feinde glauben, nämlich an deren Fähigkeit und Bereitschaft, sich zu ändern.

„One son died, his spirit is revisitin’ us“ heißt es im Text. Das könnte ein Hinweis darauf sein, wo die Kraft und der Mut zum Kampf herkommen.

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