Gestern saß ich mit ein paar Leuten zusammen, um einen Titel für eine Veranstaltung zu finden. In einem Vorschlag kam die Formulierung “Vom lieblosen Umgang mit uns selbst und anderen” vor. Ich habe dann erklärt, dass ich dabei etwas Bauchweh habe, und wir hatten ein ziemlich interessantes Gespräch. Um Leute dort abzuholen, wo sie stehen, kann so eine Formulierung durchaus geeignet sein. Aber dass hinter dem Konzept “Selbstliebe” eigentlich das Annehmen der Liebe Gottes stand, wurde bald deutlich.
Ich habe das Thema hier ja schon vor einiger Zeit mal angerissen. Hier also noch ein paar Nachträge meinerseits zur Entwirrung der Begrifflichkeit wie des Sachverhalts:
Technorati Tags: Liebe, Narzissmus, Psychologie
Erstens setzt der Begriff “Liebe” für mein Empfinden ein Gegenüber voraus. Die Formulierung im Doppelgebot liegt doch eher auf der pragmatischen Linie der goldenen Regel: Meinen Nächsten zu lieben, heißt ihn so zu behandeln, wie ich mir das selbst umgekehrt auch wünschen würde. Dass jemand sich selbst nicht lieben könnte (und daher auch nicht seinen Nächsten) kommt hier gar nicht erst in den Blick. Es ist zudem aufschlussreich, dass Gott nie als einer beschrieben wird, der sich selbst liebt. Nur da, wo die Unterschiedlichkeit von Vater und Sohn im Blick ist, kommt Liebe ins Spiel. Insofern kann ein strenger Monotheismus wie im Islam eigentlich nie sagen “Gott ist Liebe”. Und genau das tut er ja auch nicht…
Zweitens: Verschiedene Zivilisationen bringen verschiedenartige Neurosen hervor – darauf hat z.B. auch Richard Sennett hingewiesen. Im 19. Jahrhundert waren das eher “hysterische” Phänomene, für uns liegen sie eher im Bereich des Narzissmus, einer krankhaften Selbstbespiegelung. Die allgegenwärtige (und damit, wenn Sennett recht hat, verbundene) Psychologisierung der Weltsicht liefert uns also nicht nur eine Begrifflichkeit für bestimmte Störungen, sondern sie produziert sie sogar. Erwin McManus hat einmal darauf hingewiesen, dass Eskimos (pardon: Inuit…) zahlreiche Wörter für Schnee haben, weil es dort so viel davon gibt. Und dann fragte er, was das über unsere Gesellschaft aussagt, dass wir so viele Termini für psychische Probleme kennen. Zur Zeit des Neuen Testaments war das ganz offenbar anders. Viele unserer Begriffe gab es damals nicht, die Schreiber waren an “Psychologie” nicht interessiert und ihre Texte erlauben uns keine Rekonstruktion des Innenlebens der Protagonisten, keine Ferndiagnosen, keine Retrojektion heutiger Problemstellungen.
Drittens: Auch wenn “Selbsthass” heute ein Problem ist, wäre das theologisch angemessene Gegenstück nicht “Selbstliebe”. Sondern eher das “Sterben” des alten Menschen und die Existenz des neuen Menschen “in Christus”, der von der Last befreit ist, sich zu sich selbst zu verhalten, im positiven Sinn also selbstvergessen Gott und anderen dienen kann und psychologisch gesehen das Problem der “Hyperreflexion”, wie es etwa Viktor Frankl beschreibt, ausschaltet.
The ebb and flow
Of love and opponent
Of other and self
Of later and moment
Takes the sould on a road
with twists and turns
the further the journey
toward God.