Menschen existieren nur als Mitglieder von Gemeinschaften, die eine gemeinsame Sprache haben, Gebräuche, Wege das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zu ordnen, Wege, ihre Welt zu verstehen und mit ihr fertig zu werden. Wenn das Evangelium verstanden werden soll, wenn es angenommen werden soll als etwas, das Wahrheit über die wirkliche Situation des Menschen vermittelt, wenn es, wie wir sagen, einen Sinn ergeben soll, dann muss es in der Sprache derer kommuniziert werden, an die es sich richtet und in Symbole gefasst werden, die für sie eine Bedeutung haben. Und das das Evangelium nicht als körperlose Botschaft daherkommt, sondern als Botschaft einer Gemeinschaft, die den Anspruch erhebt, danach zu leben und andere einlädt, sich dem anzuschließen, muss das Leben dieser Gemeinschaft so eingerichtet sein, dass es “einen Sinn ergibt” für jene, die man einlädt.
Ob in der Nachbarschaft oder in einer fremden Kultur, die Herausforderung bleibt dieselbe. Jesuitische Missionare im Indien des 17. Jahrhunderts rieten den indischen Christen, im Kastenwesen zu bleiben. Andere Christen und vor allem die Christen in Indien heute empfanden das als Verrat am Evangelium. Heute stehen die Europäer für die koloniale Mission und die kulturelle Domestizierung des Evangeliums in der Kritik während in manchen früheren Kolonien Theologien entstehen, die sich anschicken, dieselben Fehler in anderer Form zu wiederholen.
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Es gibt das Evangelium nicht in “Reinform”, sondern es stammt aus der hebräischen Kultur. Nun kann es nicht darum gehen, diese Kultur weltweit zur Norm zu machen. Die ersten Christen verstanden, dass man nicht Jude werden muss, um Christ zu sein. Es gibt keine unveränderlichen sozialen Grundmuster und Verhaltensregeln. Fast alle für einen Juden kennzeichnenden Dinge wie Beschneidung und Reinheitsvorschriften sind hier unwesentlich. Andererseits lässt sich das Evangelium nicht einfach auf abstrakte Schlagwörter wie Liebe, Freiheit oder Gerechtigkeit reduzieren.
Mission hat, so sagt Newbigin mit Roland Allen, ihre Aufgabe dann erfüllt, wenn eine Gemeinde existiert, die die Bibel und die Sakramente gebraucht und den apostolischen Dienst ausübt, der andere in die Nachfolge Christi ruft. Von da ab kann sie selbständig lernen, wie sie das Evangelium mitten in ihrer Kultur leben kann. Diese Gemeinschaft geht allen ethischen oder politischen Prinzipien und allen konkreten Kulturen und Lebensweisen voraus. In allen kontroversen Diskussionen und allen Irrwegen setzt sich die Geschichte, die diese Gemeinschaft feiert und aus der heraus sie lebt, immer wieder durch.
Eine Hermeneutik des Verdachts, die in den biblischen (und allen anderen Texten) interessengeleitete Dokumente der jeweils Mächtigen sieht, vertauscht bei allen berechtigten Fragen nur die Parteilichkeit mit den “da oben” gegen die Parteinahme für die “da unten”. Der Kampf der Armen um ihr Recht wird als die Mitte der Schrift verstanden. Doch wenn man das Anliegen für die Armen nicht schon an die Schrift heranträgt, sondern aus ihr entwickelt, stellt man auch fest, dass Jesus sich in den sozialen Konflikten nicht einfach auf die Seite einer Partei stellte, sich damit alle zu Feinden machte und am Kreuz von allen verlassen wurde – auch von den Unterprivilegierten.
Lebt die Kirche aus dieser Geschichte heraus (und richtet sich nicht primär nach den Erwartungen und Bedürfnissen der einen oder anderen sozialen Gruppe), dann kann sie sich für die wahren Nöte und Bedürfnisse ihrer Umwelt öffnen. Wahre Kontextualisierung geht immer davon aus, dass das Evangelium innerhalb einer gegebenen Kultur Gnade und Gericht, ein “Ja” und ein “Nein” sagen wird. Gottes Geschichte dient so als Korrektiv und ermöglicht, zwischen selbstsüchtigen und selbstlosen (Gruppen-)Interessen zu unterscheiden. Dazu muss Kirche wahrhaft lokal sein in der Situation und Kultur vor Ort verwurzelt und wahrhaft ökumenisch, indem sie den Kontakt zur Weite der Weltchristenheit (geographisch, kulturell und zeitlich!) sucht und von anderen Traditionen lernt bzw. sich korrigieren lässt. Das Evangelium ist mehr als der Schlüssel zur Lösung vorhandener Probleme (die wir längst nicht immer richtig einschätzen) und damit auch kein Hilfsmittel, um Ziele zu erreichen, die man sich selbst gesteckt hat. Der Ausgangspunkt bleibt Gottes Offenbarung, die in der Schrift bezeugt ist, und das Wirken seines Geistes in der Gemeinschaft der Nachfolger Christi.
Ich schätze diese ausführliche Rezension sehr. Vielen Dank.