Nervige Gottesdienste (4): Gottes großer Garten

(hier geht es zu Teil 1, Teil 2 und Teil 3)

Von Immunisierung war die Rede: Wir leben in einer abgestumpften Welt. Täglich werden wir mit Katastrophenmeldungen aus aller Welt bombardiert. Diese ständige Begleitmusik kann sensible und verantwortungsbewusste Menschen in die Erschöpfungsdepression stürzen. Bei vielen bewirkt sie aber auch genau das Gegenteil, nämlich eine resignative Teilnahmslosigkeit und ein Desinteresse an der Frage nach den Hintergründen und Ursachen gewaltsamer Konflikte, sozialer Ungleichheit oder des ökologischen Raubbaus, in die wir verstrickt sind, und die uns auch dann etwas angehen, wenn wir nicht überall anpacken können, wo gerade Hilfe gebraucht wird.

Welch ein Glücksfall also, wenn uns prophetische Stimmen stören und aufrütteln: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt“, hieß es in einem Flugblatt der Weißen Rose. Eine solche Kritik lässt sich freilich kaum ritualisieren und zum festen Bestandteil unserer mehr oder weniger formellen Liturgie umfunktionieren, sie muss je nach Situation stören und unterbrechen. Wir können allerdings darum bitten, dass solche Störungen geschehen.

Und dann es gibt es ja auch noch das: Ab und zu mutet die Perikopenordnung des Kirchenjahres uns einen sperrigen Text zu, an dem wir uns reiben können. Manchmal greift eine mutige Predigt den Anstoß auf. Das riskante Wagnis der Stille trägt dazu bei, dass wir unsere Selbsttäuschungen erkennen. Und gelegentlich findet man auch Lieder, die uns den Blick auf eine leidende Welt offen halten, zum Beispiel dieser Text der schottischen Pfarrerin Kathy Galloway aus dem Liederbuch der Iona Community:

Zieh dich nicht zurück in deine private Welt

jenen Ort der Sicherheit, geborgen vor dem Sturm

wo du deinen Garten pflegst und deine Seele suchst

und mit deinen Lieben am warmen Feuer ruhst.

Einen Garten zu pflegen ist etwa Kostbares

aber noch wertvoller ist der, den alle betreten dürfen

das Unkraut von Gift, Armut und Krieg

verlangt nach Deiner Aufmerksamkeit, wenn die Erde dein Zuhause ist.

Wir brauchen es also nicht ausschließlich den Propheten zu überlassen, uns immer wieder daran zu erinnern, dass wir in der Begegnung mit Gott nicht nur die Freude, sondern auch seinen Schmerz teilen, und dass wir dieser Begegnung mit seinem Schmerz nicht ausweichen können, wenn es uns um eine echte und tiefe Beziehung zu ihm geht.

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Die Lobpreis-Traditionen sind ja vergleichsweise jung. Vielleicht steckt ja noch Entwicklungspotenzial darin. Ich frage mich seit einigen Monaten, ob wir nicht über eine Erweiterung des Repertoires an Metaphern, Begriffen, theologischen Konzepten nachdenken müssten, die uns dabei helfen, Gottes und unseren Bezug zur Welt stärker in den Blick nehmen. Die Dank und Klage, Freude und Trauer, reines Herz und Hunger nach Gerechtigkeit verbinden. So dass am Ende alle den Gottesdienst verlassen, um draußen in der Stadt wie Mutter Theresas Schwestern zu schauen, wie Jesus sich heute wohl wieder verkleidet hat.

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