Beim Durchackern von Henri Nouwen, der ja nicht nur sieben Monate im Trappistenkloster gelebt und geistliche Literatur gelesen und verfasst hat, sondern sich auch der l’Arche in Rochmond Hill bei Toronto anschloss oder zuvor schon Gustavo Gutierrez und die Armen in Lateinamerika besuchte, bin ich wieder auf die Frage gestoßen, ob soziales Engagement und kontemplative Spiritualität (mehr als andere Prägungen?) in einem direkten und konstruktiven Zusammenhang stehen – etwa als Pole, die einander ergänzen oder auf einander bezogen sind.
Nouwen ist ja nicht der einzige. Welche Beispiele kennt Ihr noch?
Technorati Tags: Kontemplation, Aktion, soziales Engagement
Wenn du soziales Engagement weiter fassen möchtest als Suppenküche – im Sinne von „Dasein für die Menschen“ – dann gilt das ja vielleicht sogar für große Teile der Mönchtumsgeschichte.
Z.B. Antonius, einer der ersten Eremiten, der sagte, dass man sich gerade nicht in die Einsamkeit zurückziehen solle, um den Menschen zu entfliehen, denn wer mit Menschen nicht zurechtkommt, kommt auch in der Einsamkeit nicht klar.
Oder Benedikt, für den Gastfreundschaft und die Liebe für den Fremden zu den wichtigsten Werten überhaupt zählt. Zuerst bekommt der Fremde etwas zu essen, dann wird nach seinem Namen gefragt, weil nicht entscheidend ist, ob der andere jemand Besonderes ist.
Dann Franziskus und seine Anhänger, die sich besonders den Kranken/Aussätzigen zuwandten.
In unserer Zeit fand ich auch das gerade in Taize beeindruckend, dass zurückgezogenes Leben und Dasein für andere (in diesem Fall Jugendliche) hier eng zusammen gehören.
Mein Leib- und Magen- katholischer Schriftsteller Richard Rohr (der wilde Mann, der nackte Gott u.v.m.). Seine Kommunität hieß zuerst New Jerusalem (gar nicht anmaßend, wie er einmal selbstkritisch bemerkte), dann wurde das ganze zum Center for action and contemplation. Und so kann man es auch in seinen Büchern nachlesen, dieser Zusammenhang zwischen Engagement und Kontemplation. In dieser Spannung liegt wohl eine eigene Kraft…
A propos Taize: Dort hat man das Selbstverständnis – wohl in Abwandlung von „ora et labora“ – eine Zeit lang mit „Kampf und Kontemplation“ formuliert.
„Kampf“ verstanden auch als Kampf für die Menschen bzw. gegen das, was Menschen kaputt macht. Dazu gehören „soziale“ Aktionen wie Projekte in Slums genau so wie „politische“ Aktionen, z. B. die Kritik an ungerechten (Macht-)Strukturen.
ich würde weder den alten wüstenasketismus noch das benediktinische ordenscharisma als „engagiert“ vereinnahmen. heute muss man ja immer „holistic“ und so sein. aber die wüstenväter haben nun mal solche merksprüche wie „fliehe – schweige – ruhe [in gott]“. und ihr asketismus ist streng weltabgewandt. dass aber dann leute zu *ihnen gekommen sind (und nicht umgekehrt: sie zur welt) – das ist das markante.
zum benediktinischen charisma: sie haben ihre mauer. und dort drin soll sich alles finden, damit der mönch diesen ort überhaupt nicht verlassen muss. lasst doch die kontemplativen orden kontemplativ sein und sonst gar nichts. man muss nicht immer alles machen, oder?
manchmal habe ich den eindruck, kontemplative sind immer sehr schnell dabei zu sagen: „jaja, wir sind auch engagiert.“ – weil hinter einem engagierten leben so etwas wie eine „daseinsberechtigung“ noch zu stecken scheint. aber *nur kontemplativ sein, das ist ja gar nichts wert.
vielleicht ist dieser versuch, aktion und kontemplation zu verbinden, wirklich eine neue entwicklung in einer monastischen tradition.
aber so vorbilder fallen mir auch nicht ein. gandhi?
Vielleicht lässt sich anders herum eher Land gewinnen: Wie viele Aktivisten (Gandhi ist da sicher ein Vorbild) haben einen Bezug zur Mystik?
Und was die Orden angeht, stimme ich zu: Weder die Wüstenväter noch die Benediktiner hatten so etwas wie Gesellschaftstransformation im Sinn. Wenn es passierte, war es eine Art Abfallprodukt. Bei den Bettelorden dagegen sieht es schon anders aus, und (in aller Ambivalenz, wenn man an die Gegenreformation denkt) auch bei den Jesuiten.
noch etwas ist mir eingefallen: vielleicht ist die zeit auch vorbei, auf personen als vorbilder zu schauen. das könnte auch ein grund dafür sein, dass einem wenig einfällt. – deswegen wird ja auch „taizé“ genannt als beispiel und nicht „fr. roger“.
@ Peter: Jetzt verstehe ich glaube ich schon etwas besser, was du mit sozialem Engagement meinst – wenn es um Gesellschaftstransformation im derzeit populären Sinn geht, dann stimm ich da völlig zu, dass die von mir angeführten Beispiele nicht besonders zum Thema passen.
Manchmal kommt es mir allerdings so vor, dass wir etwas zu schnell über die Transformation der ganzen Gesellschaft reden. Da werden dann die ganz großen Themen in den Blick genommen. Aber mir ist gar nicht so recht klar, wie das dann letztlich gehen soll, wenn ich nicht anfange, in meinem eigenen kleinen Umfeld sozial engagiert zu sein und was heißt das denn wiederum anderes als meine Mitmenschen zu lieben und ihnen zu dienen. Und dabei eben insbesondere die Armen, die Fremden, die Andersartigen.
Du schreibt, dass es dann bei den Wüstenvätern und Benediktinern höchstens eine Art Abfallprodukt war, wenn soziales Engagement entstand. Ich würde da in gewisser Weise zustimmen, es aber positiv wenden: Vielleicht ist das gerade die Stärke der Kontemplativen, dass ihr soziales Engagement sich aus einer Art Über-Fluss ihrer innigen Gottesbeziehung heraus entwickelt und gerade nicht als Selbstzweck. Vielleicht ist ein wirkliches Für-andere-Dasein besonders da authentisch und echt, wo ich mich nicht auf dieses soziale Engagement als solches fokussiere, sondern wo es aus einer solch reichen Erfahrung des Geliebtseins von Gott her geboren wird.
Und noch einmal: Wenn wir jetzt unter sozialem Engagement nur noch die Bewahrung der Schöpfung, fairen Handel und soziale Marktwirtschaft verstehen, dann fehlen mir soziale Kompetenten wie das Dasein für meinen kranken Nachbarn, das Zuhören auf die Lebensgeschichte eines anderen, das Gästezimmer für den Fremden, das Leben mit den Ausgestossenen. Und da glaube ich nach wie vor, dass wir einiges bei Antonius, Benedikt und Franziskus lernen können.
Oder hab ich dich immer noch irgendwie mißverstanden?
@ Simon: Irgendwie schon! Warum sollte ich diese Dinge nicht meinen – sie gehören zu Gesellschaftstransformation doch dazu, wenn Du das nicht platt auf „Politik“ reduzieren willst. Dasein für Menschen ist sicher gesellschaftliches Engagement auf einer elementaren Stufe. Ich denke aber, dass heute aufgrund der komplexen Verflechtungen der „Nächste“ eben weiter gefasst und mehr über strukturelles Übel und Unrecht nachgedacht werden muss als früher vielleicht. Falsche Alternativen helfen keinem.
Ich wollte nur sagen, dass nicht alle Kontemplativen automatisch auch Aktivisten waren oder werden. Da gibt es Unterschiede in Zielsetzung und Selbstverständnis. Ebenso, wie nicht alle Aktivisten Kontemplation schätzen. Wo beides zusammenkommt, entsteht aber eine besondere Dynamik. Daher eher Franziskus als Antonius, denn der blieb in den Städten und bei den Armen.
ich hab jetzt nicht jeden der vorangegangenen kommentare gelesen … doch fällt mir zu dem thema ein, dass bernhard von clairveaux (der gründer des zisterzienserordens) echte kontemplation nur dann anerkannte, wenn sie in die aktion, also in weltzuwendung jeder form mündete … armenspeisung, seelsorge usw … als er einmal in seiner kammer von seinen brüdern gestört wurde, wollte er sie zuerst zurechtweisen und sein recht auf stille zeit einfordern … jedoch: schnell besann er sich und ermutigte sie, ihn immer zu stören, wenn sie nur ihre fragen stellen und darauf antworten von ihm bekommen könnten … hauptsache, ihr werdet gerettet, sagte er … was ich von jesus bekommen habe, das gebe ich doch gern weiter … wir sollen keine geistlichen staudämme werden … vielmehr sollen von uns ströme lebendige wassers ausgehen … mit grüßen martin
Danke, Martin. Das kannte ich noch nicht.
oh nee! deshalb also bernhards begeisterung für kreuzzüge und sein engagement für kreuzzeugspropaganda! da wird mal was gemacht!
an den beisassen … warum „deshalb“? gibt´s da einen zusammenhang? kontemplation und kreuzzug? =) dass bernhard in dieser frage ganz schön vom wege abirrte, ist leider so … aber ist deshalb der ganze bernhard zu verwerfen? was sind die gute dinge, von denen auch du lernen kannst? ignatius von loyola ist mit seinem orden auch nicht ohne und doch sind hilfreiche gedanken in seinen geistlichen übungen zu finden … und was könnte man, wenn man auf dein leben schaut, kritisch anmerken?