Mein Problem mit dem Problem

Heute las ich in der Vorbereitung auf die Konfigruppe einen Vorschlag für einen Einstieg ins Gespräch, der ungefähr so aussah:

  • Wir malen einen großen Kreis in die Mitte und schreiben dort hinein, was in unserer Welt alles schief läuft bzw. nicht in Ordnung ist.
  • Dann überlegen wir, was man dagegen tun kann und schreiben das auf, außen herum.
  • Schließlich fragen wir, ob diese Maßnahmen denn wohl ausreichen würden, um die Probleme zu beheben

Die Antwort lautet selbstverständlich „nein“, und daher müssen wir dann auf das Thema Sünde und Erlösung zu sprechen kommen. Doch das Problem ist für mein Empfinden auf eine fatale Weise falsch gestellt. So, wie es hier aufgezogen wird, werden fast zwangsläufig „geistliche“ Lösungen gegen praktische und politische ausgespielt. Als ob es wichtiger wäre, dafür zu sorgen, dass Menschen Christen werden, statt den Armen zu helfen. Die alten Scheinalternativen lassen grüßen: Die einen beten, die anderen protestieren und reformieren…

Nicht unbedingt glaubwürdiger wird die „geistliche“ Lösung, wenn man sich eingesteht, dass sich viele reiche Christen um die Armen nicht allzu sehr sorgen und sich als Friedensstifter auch nicht gerade sehr profilieren. Rechtgläubigkeit per se führt leider keineswegs immer zu einem spürbar verbesserten Sozialverhalten. Manche sitzen im Kokon ihrer Subkultur, klagen über die böse Welt und warten auf die Entrückung – oder was auch immer.

Wenn schon, dann müsste die Frage doch lauten: Wenn wir wissen (und das tun wir ja, wenn auch nicht lückenlos und natürlich nicht über Nacht), wie wir die Erderwärmung begrenzen, Frieden fördern, Korruption eindämmen und den Hunger beenden könnten, warum tun wir es nicht einfach? Dann würde deutlich werden, dass eine Revolution der Herzen ebenso wichtig ist wie eine Revolution der Strukturen und Verhältnisse, aber keines von beiden ohne das andere bleiben darf. So wird ein Schuh draus.

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18 Antworten auf „Mein Problem mit dem Problem“

  1. Den Armen zu helfen ist sehr sehr wichtig und wird leider häufig nicht getan. Trotzdem ist es wichtiger Menschen zu Christen zu machen, als Armen zu helfen, obwohl es Hand in Hand geht. Der Körper lebt vielleicht 100 Jahre, die Seele lebt jedoch ewig, bei Gott oder ohne Gott. „Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?“ (Mk 8,36).

  2. @Nik: Was mich nur wundert, wenn man Mt 25 liest, dass es Gott ganz anders sieht. Bei den Armen versteht er keinen Spaß, aber nach Bekehrungen wird gar nicht gefragt…?

  3. Peter wofür bräuchten wir dann den Glauben, das Gebet, die Anbetung, das Bibelstudium, usw.? Engagement und Nächstenliebe würden für den Himmel ja reichen.

  4. Musst Du Jesus fragen. Meine Vermutung wäre: wir brauchen diese Dinge, weil sie uns helfen, Gott und den Nächsten zu lieben und dann das Richtige zu tun…

  5. Menschen zu Christen machen kann ich nicht. Das ist auch nicht meine Aufgabe als Christ. Aber als ein Zeuge Jesu Christi zu leben beinhaltet beides – dem anderen gegenüber in Wort und Tat zu zeigen, dass es etwas anderes gibt, als es die meisten jeden Tag erfahren – das Wort vom Kreuz wird da seinen Platz finden, aber auch das praktische Handeln. Und nur dort, wo dieses Zeugnis „lebendig“ ist, glaubwürdig… wird man auch glauben… Ja – klingt fast unmöglich, weil wir ja auch viel zu viele Fehler haben… Da hoffe ich darauf, dass Gott in Seiner Gnade trotzdem aus unserem „bißchen“ etwas Gutes machen kann…

  6. Ich weiß zwar was du meinst, aber wenn ich den Satz „als ob es wichtiger wäre..“ lese, klingt das Christentum schon sehr banalisiert.
    Vielleicht ist an die Zielgruppe der („eh schon geretteten“) Christen so eine Botschaft wichtig, aber als Nichtgläubiger habe ich ja eigentlich keinen Anlass, den Armen zu helfen etc.?

  7. Schon sehr merkwürdig die ganze Diskussion hier, scheint keiner so richtig zu merken, das wir uns bezüglich des ganzen geistigen Überbaus des Christentums seit fast 2000 Jahren im Kreis drehen. Für mich ein weiterer Hinweis dafür, daß dies alles nur spätantiker Unsimm ist.

  8. @ mychie: Ich verstehe nicht, worauf Du hinaus willst – der Anlass ist immer da, nämlich die Not, und viele reagieren darauf ja auch, ob Christen oder nicht. Kann schon sein, dass das trivial ist…

  9. @ Peter: Wobei gerade bei Mt 25 exegetisch für mich sehr Vieles dafür spricht, dass Jesus hier nicht von den Armen in der Welt redet, sondern das damals von Vielen erwartete 3 teilige Finale „Gott erscheint – Die Nationen werden danach gemessen, wie sie mit Israel umgegangen sind – Vernichtung der widergöttlichen Mächte im „ewigen Feuer“ in Szene 2 dahin gehend zuspitzt, dass der Umgang der Nationen mit seinen geringsten Brüdern, den Jüngern, dem neuen Israel, von Bedeutung sein wird.
    Was die Bedeutung der Armen anbelangt, bin ich 100% d’accord, Mt 25 ist jedoch für mich eine der klassichen Stellen, wo es sich bemerkbar macht, dass uns das Jüdische sehr fremd geworden ist. Die Armen der Welt im Fokus zu haben spiegelt für mich eine Geisteshaltung wider, die frühestens seit der Aufklärung zu finden ist, und von den meisten heutigen Auslegern in eine Zeit zurückgelesen wird, die so wahrscheinlich nicht gedacht hat. Soweit wir heute wissen, waren für keinen Juden zur Zeit des zweiten Tempels die Armen der Welt im Focus …

    Was denkst du?

    1. @ Michael: Für mich ist das Entscheidende, dass „Arm“ hier nicht eingegrenzt wird – also nicht gute Arme und schlechte Arme, jüdische, christliche oder heidnische Arme unterschieden werden. Die Auslegungsvariante, die Du vorschlägst, läuft Gefahr, dass sie eher problematische Tendenzen („wir sind der Augapfel Gottes“) verstärkt. Die nächste Parallele dazu wäre wohl das „Saul, warum verfolgst du mich“ aus Apg 9.

      Jesus hatte ja diese Art Israels, ethnozentrisch zu denken, stark untergraben. In Mk 13, auf das Mt 25 wohl aufbaut, dreht er die Gerichtserwartung um und wendet sie gegen Israel. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass Jesus den jüdischen Denkrahmen immer wieder auf den Kopf stellt. Und eine Warnung an die Völker der Welt, mit den Christen pfleglich umzugehen, würde in diesem Kontext nicht viel Sinn machen.

      Von der Auslegungsgeschichte her würde ich schließlich sagen, dass es spätestens das Hochmittelalter und die Franziskaner waren, die die Armen der (damals natürlich sehr christlichen) Welt in den Blick nahmen. Und heute halte ich es ohnehin für zwingend, den Begriff des Nächsten global zu verstehen, wie immer das auch damals gemeint gewesen war…

  10. Hmm, überzeugt mich nicht wirklich; ich seh‘ schon, eine gemütliche Cappucino-Stunde ist wieder angesagt 😉
    Ich seh‘ im Gegenteil bei deiner Argumentation das Problem, dass erkennbare und ernstzunehmende Probleme von heute zm Kriterium dafür werden, wie Jesu Aussagen im damaligen Kontext gemeint sein könnten, und dass unabhängig von der ursprünglichen Intention Deutungen schon deswegen nicht sein können, weil sie problematische Tendenzen verstärken. Dass Jesus seine Jünger an die Stelle Israels gesetzt hat und in der Tat damit gemeint hat, dass dieser kleine Haufen eine größere Rolle spielt, als gemeinhin erwartet wird, ist denke ich schon ein roter Faden, der die Evangelienberichte durchzieht. Und der große Bogen, der sich von Mt 23-25 zieht, ist den jüdischen zu ähnlich (äthiop. Henoch) um nicht von Jesus absichtlich als Hintergrund seiner Rede gedient zu haben. Schließlich geht seine Mahnung ja auch nicht an die Völker der Welt, sondern betrifft das Selbstverständnis (des ethnischen) Israels. Was wir daraus gemacht haben, steht nochmal auf einem ganz anderen Blatt …

    1. Ich fürchte, über diese Differenz hilft auch kein Cappuccino (gegen den ich natürlich grundsätzlich keinen Einwand habe) hinweg: Wieso sollten die Armen/Kranken/Häftlinge ein Problem der heutigen Zeit sein? Der einzige Anhaltspunkt für Deine Auslegung ist der Begriff „Brüder“ (fehlt in einigen Mss), der Rest ergibt sich nur, wenn man bestimmte Bezüge schon als gegeben voraussetzt, die ich jetzt nicht für so selbstverständlich halte, oder Parallelen strikt durchziehen will.

  11. @Peter: Ich würde mich schon über eine Tasse Kaffe mit dir freuen, einfach weil sich für mich mit deiner Sicht (-die ich früher auch hatte-) zu viele Ungereimtheiten auftun die ich persönlich nicht miteinander in Einklang bringen kann. Im Gespräch kann ich bestimmt mehr von dir lernen kann als über die Posts. 🙂 Für mich hat jeder Mensch eine Schöpfungsgegebene Würde, aber ich kann nicht sehen, wieso der dreieinige Gott in jedem Menschen sichtbar sein soll, nur weil er in Not ist. Für mich ist es viel schlüssiger, Christus nur in denen zu begegnen, die ihn in ihr Leben eingelassen haben, und da wäre ich eben wieder bei dem „neuen Israel“. Würde mich also wirklich freuen, in Ruhe mal meine „Kopfzerbrecher“ mit dir zu besprechen. Im übrigen bin ohnehin ich diesmal mit bezahlen dran 😉
    LG Michael

    1. Nur kurz als Vorgriff auf den Kaffee (ich dachte, den letzten hattest schon Du bezahlt?): Wenn Gott uns in einem Gekreuzigten begegnen kann, warum dann nicht in diesen Leuten, die in irgendeiner Form leiden? Identifiziert Jesus sich da nicht mit allen Opfern von Gewalt und Unterdrückung, Gleichgültigkeit, Ausbeutung und Unrecht? Und verschenken wir nicht etwas von der Bedeutung des Kreuzes und der Universalität des kommenden Heils, wenn wir das ausschließen oder einschränken? Ich denke, diese Aussage wäre falsch verstanden, wenn sie bestimmte Menschen als etwas besonderes qualifiziert, aber sie ist in dieser Weite richtig verstanden, wenn wir uns fragen, wohin wir gesandt sind und wo wir erwarten können, Jesus zu begegnen. Quasi eine Form der vorauslaufenden Gnade uns und den Armen gegenüber. So nach dem Motto: Ich bin schon da – kommt ihr nach, Jungs?

      Denn wenn es so wäre, dass wir Jesus nur in den Leuten begegnen, die ihn ausdrücklich kennen, wozu dient dann in diesem Text der ausdrückliche Hinweis auf verschiedene Notlagen? Das kann man ja dann nur noch so lesen, dass es diesen Kreis (der Nachfolger) noch weiter einschränkt…? Und vor allem würde es die Überraschung der „Gerechten“ erklären, dass sie ohne es zu ahnen Jesus begegnet sind, weil diese Menschen eben gar keinen so offenkundigen Bezug zu ihm hatten.

  12. … um meine eigenen Gedanken hier noch vollständig festzuhalten: Die Leidenden sind (wie die Kinder) gewiss nicht die besseren Menschen.

    Aber wir sagen das ja ab und zu, dass sich das Wesen einer Gesellschaft daran zeigt, wie sie mit ihren schwächsten Gliedern umgeht. Vielleicht ist das ja schon ein christlich inspirierter Gedanke, vielleicht auch von Mt 25 her.

    Ich könnte mir vorstellen, dass das hier eben auch so gemeint ist: Gott misst uns nicht daran, wie wir die Reichen und Mächtigen dieser Welt behandelt haben, sondern die Ohnmächtigen. Dann aber darf man hier auf gar keinen Fall mehr unterscheiden in christliche Ohnmächtige mit Anspruch auf Beachtung und … andere.

  13. Sorry, dass ich dieses Thema so spät wieder aufgreife.

    Mt.28,18 Und Jesus trat zu ihnen und redete mit ihnen und sprach: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. 19 Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,
    20 und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.

    @ riaherz – Wir sollen die Menschen also doch zu Christen bzw. Jüngern machen, die Jesus lieben, Gott ehren und nach Gottes Maßstäben leben dh. ua. die Armen lieben.

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