Liturgie – was predigt eigentlich unser Gottesdienst?

Im charismatischen Lager ist „Liturgie“ lange ein böses Wort gewesen. Die Implikation war, dass hier der Geist in Formeln gepresst wird und Erstarrung und Unmündigkeit die Folgen sind. Inzwischen ist klar, dass man auch im charismatisch-freien Stil gepflegt erstarren und unmündig werden kann. Wie konnte es dazu kommen, bei all den guten Vorsätzen und hohen Erwartungen?

Das spätcharismatische Gottesdienstmodell (Lobpreis – Predigt – ggf. Segnung) predigt, wie auch die evangelikale Spiritualität aus Gebet und Bibellese, zwei Dinge: Es ist normal, Gott zu loben und es ist normal, in irgendeiner vermittelten Form auf ihn zu hören, sei es durch eine(n) Prediger(in) oder prophetische Beiträge. Textlich und musikalisch konnte dies auf recht unterschiedlichen Niveau stattfinden. Nicht normal dagegen sind Elemente wie Klage, Fürbitte, Schweigen. In Hauskreisen wird dieser Zweischritt noch um den persönlichen Austausch erweitert und das Gebet für einander. Nicht „normal“ im Sinne einer selbstverständlichen regelmäßigen Praxis bleibt auch hier das aktive Zugehen auf andere Menschen, um ihnen Gottes Liebe in Wort und Tat näherzubringen. Das ist die Kür. Und sie findet deshalb nicht statt, weil wir uns nicht dazu verabreden, sondern es jedem einzelnen überlassen. Und dann komme ich vor lauter Stress eben nicht mehr dazu, weil ich nicht zu den drei Prozent Naturtalenten gehören, die gar nicht anders können. Ich fühle mich verständlicherweise unsicher und ungeübt.

Es gab etliche Ansätze für „Lobpreistheorien“, die populärste davon folgte der Analogie des jüdischen Tempels: Vorhof, Heiligtum, Allerheiligstes. Sprich: Man holt die Leute mit ein paar flotten, fröhlichen Liedern ab und geleitet sie dann in eine zunehmend intime Begegnung mit Gott. Das wurde oft mit dem Begriff „Anbetung“ (langes „e“ und Betonung auf der zweiten Silbe) beschrieben. In der liturgischen Umsetzung hatten hier Liebeslieder mit einfachen Text ihren Ort, der sich mit geschlossenen Augen und vielen Wiederholungen singen lässt.

So weit, so gut. Die Probleme dieses Ansatzes sind: Wenn man erstens das Ziel der außergewöhnlichen Intimität „verfehlt“, entsteht eine gewisse Frustration. Zweitens befindet man sich nach dem emotional-spirituellen Gipfelerlebnis, wenn es denn eintritt, im weiteren Verlauf eines Gottesdienstes schon wieder auf dem Abstieg. Es sei denn, ein Prediger schafft es, mit wesentlich beschränkteren Mitteln als die Lobpreis-Crew, noch einmal geistliche Gänsehaut zu erzeugen. Nun bin ich durchaus zu haben für den Gedanken, Gottes Gegenwart zweckfrei zu genießen. Ich bestreite aber, dass dies der einzige „Zweck“ (da ist er schon wieder…) eines Gottesdienstes ist. Ich denke, es ist nicht einmal der Hauptzweck, bestimmte Erlebnisse zu vermitteln. Vielmehr geht es darum, dass wir uns an Gottes große Taten erinnern und einander auf dem alltäglichen Weg der Nachfolge bestärken: Wir nehmen die große Geschichte in den Blick, finden unseren Platz in ihr und bekräftigen das.

Dazu wäre es immens hilfreich, wenn unsere Gottesdienste regelmäßig – statt dem Weg ins „Allerheiligste“ – den gesamten Bogen der Heilsgeschichte (und damit – das ist der Punkt – der missio dei ) abschreiten würde, dessen Horizont die Erneuerung der Welt ist, nicht nur die Rettung und Heil(ig)ung einzelner. Der Akzent darf dabei durchaus wandern (das wäre der Sinn des Kirchenjahres), und die Methoden dürfen vielfältig sein. Verschiedene Leute werden an verschiedenen Stellen tiefer berührt werden und an anderen weniger. Nur ist das Liedgut aus dem Lobpreis-Repertoire dafür bestenfalls bedingt geeignet, wie wir an Weihnachten und Ostern immer wieder feststellen, wenn uns die Songs ausgehen oder über stereotype Formeln nicht hinauskommen. Aber es gibt hoffnungsvolle Ansätze, das zu ändern.

Es geht nicht um einen Gott der statischen Gegenwart (das suggeriert der Tempel – so richtig es auch ist, dass wir Gott immer nur in unserer Gegenwart begegnen können), sondern um Gott, der sich aufgemacht hat und der in jedem Moment unserer Gegenwart kommt, um uns und diese Welt auf seine Zukunft vorzubereiten. Insofern ist jeder Gottesdienst ein Stück Advent – unabhängig davon, ob wir das nun akut gespürt haben oder nicht. Wir müssen uns von der Überforderung befreien, zu viel erleben und empfinden zu müssen. Sie ist der Tod der meisten geistlichen Übungen. Die leben davon, dass wir bestimmte Dinge in festen Rhythmen tun und nicht ständig fragen, was es nun gebracht hat (und sie gegebenenfalls dann bleiben lassen). Das wäre dann wirklich zweckfrei, weil es uns von der Fixierung auf unsere eigenen Erwartungen und Bedürfnisse, unseren persönlichen Zwecken, befreit.

Wie also könnte ein Gottesdienst ablaufen, der den Bogen der missio dei aufspannt und uns in Gottes Zweck und Absichten einbettet und die deutlich macht, dass der entscheidende Gottesdienst sich im Alltag abspielt?

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4 Antworten auf „Liturgie – was predigt eigentlich unser Gottesdienst?“

  1. Lieber Peter,
    kannst du nochmals kurz erläutern, worauf sich deine Aussage „Und dann komme ich vor lauter Stress eben nicht mehr dazu, weil ich nicht zu den drei Prozent Naturtalenten gehören, die gar nicht anders können. Ich fühle mich verständlicherweise unsicher und ungeübt“ bezog? Meintest du das aktive Zugehen auf andere Menschen?

  2. Danke; ich hatte deine „ich“s im Text als autobiographische Notiz und nicht als „man“ verstanden, daher meine neugierige Nachfrage 😉

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