Ich sitze gerade am Thema der Allianz-Gebetswoche für Donnerstag. Epheser 2,13ff spricht von der Wand der Feindschaft, die durch den Tod Christi eingerissen wurde. Am Kreuz offenbart sich, dass Juden und Heiden gemeinsam den Tod Gottes herbeiführen und daher in gleichem Maße vergebungsbedürftig sind. Es zeigt sich auch, dass das Wissen um Gottes Gesetz Israel nicht besser gemacht hatte als andere Völker und Kulturen. Und dass eine neue Menschheit, die sich nicht mehr durch Ausgrenzung der jeweils anderen definiert, und die Gewalt nicht durch die Vernichtung des Feindes, sondern im eigenen Inneren besiegen will, nur durch den Geist Gottes entstehen kann, der allen geschenkt wird, die Gottes Friedensangebot annehmen.
Passend dazu las ich heute in einem Bericht über einen Vortrag des Schriftstellers Wendell Berry bei einer Pastorenkonferenz von Baptisten in den USA dies:
Die Verurteilung nach Kategorisierungen ist die niedrigste Form von Hass, denn sie ist kaltherzig und abstrakt, ihr fehlt sogar der Mut, persönlich zu hassen (…) Kategorische Verurteilung ist der Hass des Mobs. Er macht Feiglinge tapfer. Und es gibt nichts Furchterregenderes als einen religiösen Mob, einen Mob, der vor Gerechtigkeit strotzt – wie bei der Kreuzigung, wie davor und seither. Das kann erst dann geschehen, wenn wir Freundlichkeit kategorisch verweigern: gegenüber Ketzern, Ausländern, Feinden oder jeder anderen Gruppe, die anders ist als wir selbst.
Wendell Berry bezog sich dabei konkret auf die Diskussion über gleichgeschlechtliche Ehen und Partnerschaften in den USA und die Positionen konservativer Christen. Während Berry kirchliche Einflussversuche auf staatliche Gesetzgebung kritisiert, hat Steve Chalke, einer der prominentesten Evangelikalen Großbritanniens, die Inklusion Homosexueller als eine Frage der Integrität bezeichnet. Die Furcht vor Ablehnung hätte für viele homosexuelle Christen schlimme Folgen gehabt. Er sei sich bewusst, dass es unterschiedliche Interpretationen und Positionen in dieser Frage gebe, schreibt Chalke in dieser ausführlichen Stellungnahme, und kommt zu dem Schluss:
I believe that […] I am called to offer support, protection, and blessing in the name of Christ, the definition of justice, reconciliation, and inclusion, who beckons each one of us out of isolation into the joy of faithful relationship.
Rather than condemn and exclude, can we dare to create an environment for homosexual people where issues of self-esteem and wellbeing can be talked about; where the virtues of loyalty, respect, interdependence and faithfulness can be nurtured, and where exclusive and permanent same-sex relationships can be supported?
Das Irritierende an der Inklusionsdebatte ist freilich die Erfahrung, dass Vertreter eines exklusiven Kurses in dem Moment, wo sie kritisiert werden, nun ihrerseits vehement über Ausgrenzung klagen (so wie manche Männer sich von Frauenquoten schlimm diskriminiert fühlen, umgekehrt aber nie ein Problembewusstsein an den Tag gelegt hatten). Dabei, so schreibt Michael Kimpan aus aktuellem Anlass für redletter christians, ernten sie am Ende nur das, was sie über Jahre und Jahrzehnte selbst gesät haben. Statt Armeen aufzustellen sollte man lieber Brücken bauen.
Ist die Haltung gegenüber Homosexualität (oder die geschlechtliche Orientierung) heute das, was damals zur Zeit des Epheserbriefes das jüdische Gesetz war? Für wie viel Unterschiedlichkeit ist Platz unter Christen, wie kann man damit konstruktiv umgehen und wo sind tatsächlich Grenzen erreicht, etwa im Tolerieren von Intoleranz? Lässt sich das überhaupt abstrakt definieren, oder muss man sich in die konkrete Auseinandersetzung begeben, das Risiko von Blessuren eingehen und mitten in dem ganzen inneren und äußeren Aufruhr immer wieder neu fragen, was dem Frieden Christi in der jeweiligen Situation dient?
Konflikte zu übergehen und totzuschweigen jedenfalls gehört vermutlich nicht dazu. Vielleicht aber ist Wendell Berrys Hinweis auf die Kategorisierungen (oder Pauschalisierungen) der beste Ansatzpunkt zum Weiterdenken.
PS: Wen’s interessiert – ein paar Gedanken zum schwierigen Hintergrund der (Nicht-)Debatte habe ich im Laufe des Dezembers hier, hier und hier gepostet
PPS: Habe ich diesen Klassiker von Miroslav Volf zum Thema schon erwähnt? 😉
Hmm. Muss man das Thema nicht unter zwei Aspekten betrachten?
(1) Was sagt die Bibel zu einem Verhalten?
-> Ist es Sünde / keine Sünde?
-> Gibt es dazu überhaupt eine eindeutige Aussage?
-> Ist es evtl. kulturbedingt / abhängig von vorherrschender Kultur?
Das ist je nach Thema nicht leicht zu beantworten.
Hier können wir Christen ja durchaus unterschiedlicher Meinung sein.
(2) Wie verhalten wir uns Menschen gegenüber, die ein bestimmtes Verhalten ausüben?
Immer in Liebe und Annahme.
Immer unter Beachtung, „wie weit“ derjenige ist auf seinem Weg mit Gott.
Aber sollten wir, wenn wir erkannt haben, dass eine Praxis nicht richtig ist, trotzdem Klarheit schaffen? Wie weit gehen wir, z.B. Mitgliedschaft (soweit es so etwas überhaupt in der Gemeinde gibt), geistliche Leitung,…? Haben wir ein Bild davon, wie Gott uns Menschen sieht und ? Schaffen wir womöglich unklare Beliebigkeit? Deckt Gottes Liebe einfach alles zu?
Noch ein Aspekt, weil die aktuellen Beispiele oft sehr eindimensional sind: Gehen wir an alle Themen mit gleichem Maßstab heran, z.B. (hypothetisches Beispiel) Homosexualität, weil gerade so ein Hype-Thema und wichtig für unsere Gesellschaftsakzeptanz wird akzeptiert, während jemand, der meine „postmodernes Gottesbild“ bzw. meine „postmoderne Theologie“ nicht teilt, abgelehnt wird?
@johannes:
„Klarheit schaffen“ scheint die einfachste Lösung, vor allem wenn es unter dem Namen Gottes oder einer politischen Ideologie geschieht. Dabei meint sich der Interpretierende resp. Überzeugte im Recht und abgesichert.
Auch ich war einer von ihnen. Im Grunde einer von beiden. Ein Betroffener und einer der (sich selbst) verdammt hat und seit Kindertagen überzeugt von Gottes Wort und seinem Wirken ist.
Leider sind die Folgen dieser Klarheitschaffung veheerend. (Selbst-) Verdamnis zerstört resp. tötet. Seelisch und nicht selten physisch.
Liegt die Ursache wirklich in der Schrift? Möglicherweise hängt sie mit der Angst um eine scheinbare „Beliebigkeit“ zusammen – dem eigenen Umgang damit und möglicherweise der eigenen gelebten Freiheit (in Christus).
Ich darf aus eigener Erfahrung, und der vieler gleichempfindenden Christen, erwähnen, dass die Orientierung bei bi- oder homosexuellen Menschen nicht „in“ einem sexuellen Verhalten liegt, welches gedanklich „entschieden“ werden könnte, vielmehr von innerpsychischen Zusammenhängen, wie es bei Heterosexuellen ohne eine bewusste Steuerung ebenso geschieht.
Wenn hier allerdings von einem Trend oder einer sexuellen Experimentierens einer nicht angelegten Ausrichtung gesprochen wird (was sicherlich nicht von Dritten beurteilt werden kann), dann scheint mir das nicht das Thema des Berichts wie ich ihn verstehe.
@Ronny: Danke für den Beitrag. Eine der Schwierigkeiten ist ja, dass Paulus mit den Begriffen „natürlich“ und „unnatürlich“ arbeitet. Da hat sich (wie an anderen Punkten auch) die gängige Auffassung inzwischen erkennbar verändert.
Die Frage ist nun, ob man biblizistisch argumentiert („der Mensch kann und darf diese Frage gar nicht selbst entscheiden, das kann nur Gott, und darüber entscheidet allein der Wortlaut der Schrift“) und dem Urteil des Paulus damit göttliche Autorität zuschreiben möchte – auch das ist freilich eine Auslegung –, oder ob man sagt, wir müssen von dem aus urteilen, was wir heute in Zeiten empirischer Naturwissenschaft als „natürlich“ ansehen, das Menschenbild (z.B. unsere Vorstellung der menschlichen „Seele“ und ihrer Kräfte und Möglichkeiten) hat sich seit der Antike in verschiedenen Punkten verändert. Dann haben wir eine ganz andere Diskussion.
An anderen Stellen (heliozentrisches Weltbild) klappt das inzwischen so gut, dass Biblizisten die empirische Erkenntnis so konsequent in die Schrift hineinlesen, dass ihnen jegliches Bewusstsein eines Widerspruchs verloren gegangen ist. Dafür hatten sie inzwischen freilich gut vier Jahrhunderte Zeit…
„die gängige Auffassung“ – was ist denn die gängige Auffassung? Ist eine Auffassung, die gängig ist, automatisch immer die richtige? Was ist die „empirische Wissenschaft“? Und kann man das Beispiel des heliozentrischen Weltbilds (das ja nun keine praktische Bedeutugn für uns hat) mit dem „Zeitgeist“ vergleichen?
Die Aufgabe des heliozentrischen Weltbilds lag doch nicht darin begründet, dass es keine praktische Rolle spielt, sondern dass an dieser Stelle empirische Beobachtung die Oberhand über den Wortlaut der Bibel nach päpstlicher und reformatorischer Auslegung gewann. Naturforschung löste sich endgültig aus religiöser Bevormundung. Daher der zähe Streit. Seither schlagen die meisten von uns nicht zuerst in der Bibel nach, wenn es um Physik, Chemie, Biologie oder Medizin geht. Was „natürlich“ ist, das ermitteln wir normalerweise im Dialog mit den Wissenschaften – das war mein Punkt. Und kommen so immer wieder einmal zu anderen Ergebnissen als frühere Kulturen.
Zum Beispiel wissen wir, wie Infektionskrankheiten übertragen werden und dass weder Magie noch Strafe dabei die entscheidende Rolle spielen. Wir haben uns auch von bestimmten patriarchalischen Stereotypen über Frauen verabschiedet, die in der biblisch-christlichen Tradition herumspukten. Darauf weist Steve Chalke ja auch hin.
Wenn man das alles nun als „Zeitgeist“ abtut und jede vom eigenen Verständnis abweichende Sicht der Dinge nur als Gefahr (und nicht als potenzielle Bereicherung) betrachtet, dann kann man an der lebendigen und durchaus vielschichtigen Diskussion kaum noch teilnehmen, weil ja immer schon feststeht, was am Ende herauszukommen hat. Daher auch die ganzen frommen Verschwörungstheorien an der Stelle, fürchte ich.
Hi Peter, bitte lege mir bezüglich „Zeitgeist“ nichts in den Mund, was ich nicht gesagt habe. Von welchen Verschörungstheorien sprichst du?
Ich bin auch dafür, Dinge neu zu durchdenken und zu überlegen, wie wir etwas in die heutige Zeit übertragen können. Ich bitte aber auch um die Fairness, etwas, was gerade diskutiert wird und populär erscheint, in Frage zu stellen. Nicht immer heißt neu auch gleichzeitig gut. Auf den Vorwurf: „Du liest das in den Text hinein, weil du es so lesen willst aufgrund deiner Prägung / Herkunft / überkommenen kulturellen Herkunft / klassischen Theorien / Dogmen“ kann man genausogut sagen „Du interpretierst den Text genauso, wie du ihn gerne aufgrund des aktuellen Zeitgeistes lesen willst“. Die oft gefallene Begründung, damit dem orientalischen / ursprünglichen Textverständnis viel mehr gerecht zu werden, ist oft ziemlich dürftig und hält oft einer kritischen Analyse nicht stand (und das meine ich jetzt nicht pauschal verurteilend).
„Dieser Baum hat im Frühjahr wunderschöne grüne Blätter“
„Hmm… Aus heutiger Sicht kann man das so nicht sagen“
„Warum? Schau doch mal genau hin: Die Blätter sind richtig grasgrün!“
„Das interpretierst du jetzt aber da hinein, weil du es nicht anders kennst. Schau, das Wort grün in seiner ursprünglichen Bedeutung hat etwas ganz anderes im Sinn gehabt. Es ist sicher kein Zufall, dass es mit dem gleichen Buchstaben wie das Wort gelb beginnt. Es trägt also etwas gelbes in sich. Schauen wir uns den Baum einmal ganzheitlich an. Unter der Baumrinde gibt es jede Menge gelbes Holz. Insgesamt ist der Baum also vielmehr gelb als grün. Es macht also an dieser Stelle keinen Sinn, das Wort grün hier in dieser wörtlichen Bedeutung zu verwenden. Hier kann eigentlich nur gelb gemeint sein. Das erschließt sich aus dem Zusammenhang.“
„Meinst du?“
„Ja, wahrscheinlich. Vielleicht ist aber auch braun aufgrund der sehr braunen Rinde gemeint. Das müssen wir in den nächsten Jahren versuchen, herauszubekommen. Ich bin gespannt auf die Diskussion dazu.“
„Warum können wir es nicht bei grün belassen?“
„Weil das eine völlig überkommen Vorstellung von einem Baum ist, die heute so nicht mehr vertreten wird. Gelb ist aktuell die allgemein anerkannte Farbe. Außerdem passt grün nicht in das ganzheitliche Erscheinungsbild des Baumes. Wenn das so gemeint wäre, dann wären doch die Wurzeln auch grün, oder?“
„Ja, da hast du wohl recht…“
@Johannes: Wir können die Verschwörungstheorien auch beiseite lassen, das war nicht auf Dich gemünzt. Was Du mit dem Baum-Beispiel jetzt eigentlich sagen willst, verstehe ich nicht. Von solchen Wortklaubereien habe ich oben nichts geschrieben.
Peter, du hast Recht, das Baum-Beispiel passt hier nicht wirklich, das müsste woanders hin. Mir ist nur in der letzten Zeit gelegentlich aufgefallen, dass manche Neuinterpretation von Bibelversen im emergenten Umfeld etwas, nun ja, gewollt in die gewünschte Richtung gedrückt wird. Davon ist natürlich niemand gefeit, wie gesagt, es fiel mir nur auf.
Mir ging es oben um die Problemanzeige, dass Paulus ein vorwissenschaftliches Verständnis von „natürlich“ hat, während unseres von allerlei Erträgen der Wissenschaft beeinflusst wurde. Das ist erst einmal eine neutrale Feststellung und keine Wertung. Nur können wir ja auch nicht einfach hinter diese Entwicklung zurück. Es entsteht ein Interpretationsbedarf und ein Interpretationsspielraum. Wie weit man den fasst, darum dreht sich der Streit. Ich gebe gern zu, dass ich ihn im großen und Ganzen nicht so eng stecken würde, weil ich keine Angst habe, dass sich damit alles in völlige Beliebigkeit auflöst.
Peter, ich würde gerne verstehen, was hier für ein Interpretationsspielraum ist (Röm 1,26-28):
„26 Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen;
27 desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihrer Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen.
28 Und wie sie es für nichts geachtet haben, Gott zu erkennen, hat sie Gott dahingegeben in verkehrten Sinn, sodass sie tun, was nicht recht ist“
Ich habe sehr hohen Respekt vor Homosexuellen, kenne selbst einige, sehr freundliche und sympathische Menschen. Muss ich es deswegen für richtig halten, wenn sie ihre Neigung ausleben? Katholische Priester geben freiwillig ein Gelübde ab. Finde ich nicht richtig, aber wer das nicht möchte, sollte kein Priester werden. Auch ich habe vor der Ehe enthaltsam gelebt (auch wenn das sicher nicht einfach war). Sorry, wenn das jetzt überheblich klingt. Ich habe vollstes Verständnis, wenn man in diesem Bereich einmal fällt, wenn wir zu Gott kommen, steht uns vollste Vergebung zu. Es gibt keine schlimme und weniger schlimme Sünde, jeder hat sein Päckchen zu tragen und „einen Stachel im Fleisch“. Trotzdem steht es uns nicht zu, Sünde nicht beim Namen zu nennen.
Dass Paulus das, was er beschreibt, nicht gut findet, ist m.E. nicht bestreitbar. Ob das, was er beschreibt, allen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften heute entspricht, ist Stoff für Diskussionen. Wenn ich es richtig sehe, entwickeln sie sich vor allem um unser Verständnis von „natürlich“.
Paulus versteht in sexueller Hinsicht nur den Verkehr zwischen Mann und Frau als „natürlich“, moderne Naturwissenschaft versteht unter „natürlich“ alles, was es in der Natur gibt.
Paulus wertet den Begriff „Natur“ / „natürlich“ positiv (an fast allen Stellen, wo er „physis“ / „physikos“ benutzt, sind nicht so viele, an den übrigen ist es neutral, Röm 11,24 ist m.E. ein Sonderfall, weil Bildsprache), die Wissenschaft tut es nicht, sondern beschreibt nur.
(Eine Überschneidung gibt es höchstens mit Teilen der Evolutionsbiologie, die alles, was die Arterhaltung behindert, als „Defekt“ sieht, aber eben als ganz natürlichen ohne wertende Implikation).
Das Problem unseres heutigen „Natürlichkeitsbegriffs“ ist es, dass wir größtenteils aus der Naturwissenschaft die Definition (alles, was es in der Natur gibt, ist natürlich), aber aus der Bibel die ethische Wertung (alles, was natürlich ist, ist gut) übernommen haben.
Das Ergebnis ist eine ethische Wertung „alles, was es in der Natur gibt, ist gut“, die weder von Paulus noch aus der Naturwissenschaft stammt.
Volker Becks irritierende, aber anregende Interpretation, dass ein von Geburt homosexueller Mensch, der dann heterosexuell verkehrt, den natürlichen Verkehr verlässt und sich so versündigt, ist unter dieser Prämisse völlig plausibel. Wenn seinen Kritikern nichts besseres einfällt, als die die Existenz angeborener Homosexualität bestreiten, stimmen sie damit der Grundthese „was es gibt, ist auch gut“ unkritisch zu.
Will man bestreiten, dass alles, was es in der Natur gibt, gut ist (und da fällt mir eher radikaler Sozialdarwinismus ein), dann kann man nicht wie Paulus mit dem Begriff der „Natur“ argumentieren, sondern muss eine andere Bewertungsgröße haben.
Lieber Andreas,
nun, Paulus verwendet den Begriff „natürlich“ auch unterschiedlich – und mitnichten nur für etwas, was gut ist, z.B.:
1. Korinther 2,14: „Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden.“
Das ist das genaue Gegenteil von gut. Sünde ist demnach eher „natürlichen“ Ursprungs in einer gefallenen Schöpfung.
Und in Römer 1,26: „Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen;“
geht es m.E. nicht vornehmlich um die Begriffe „natürlich“ und „widernatürlich“, sondern um die Bewertung davor: „Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften„. Diese Bewertung steht da so, und lässt sich m.E. nicht einfach weg-interpretieren.
In einer gefallenen Schöpfung passieren Dinge, die vor Gott falsch sind, und wir bezeichnen das als Sünde. Keiner von uns ist davon frei. Selbst die ganze Schöpfung selbst, so toll sie auch ist, ist gefallene Schöpfung. Ein Tier frisst das andere, Schmerz und Leid ist da. In Gottes neuer Welt wird all das nicht mehr sein, selbst die Tiere werden sich nichts mehr antun (ja, auch das können wir aus wissenschaftlicher Sicht nicht „begreifen“, denn es widerspricht den „natürlichen“, sogar für manche Tiere lebensnotwendigen Gegebenheiten). Ja, und wir haben den Auftrag, davon auch heute schon ein Stück Wirklichkeit werden zu lassen, wenn wir Jesus Liebesgebot befolgen.
Hi Johannes!
Ich habe mir erlaubt, den Grundtext zugrundezulegen. In Röm 1,26 steht für „natürlich“ das griechische Wort „physikos“, in 1. Kor 2,14, „psychikos“. „psychisch“ hat heute wieder eine ganz andere Bedeutung. Für das Wort aus Röm 1,26 stimmt das, was ich oben schrieb.
Im übrigen glaube ich, dass die gefallene Schöpfung als Kategorie zur ethischen Bewertung von dem, was natürlich ist, tatsächlich nicht zu vernachlässigen ist. Zumindest insofern sie die Regel „was es gibt, ist gut“ aushebelt.
Für Schöpfung benutzt Paulus übrigens wieder ein anderes Wort.
Niemand will die Bewertung „schändlich“ weginterpretieren, Johannes. Die Frage ist, ob wir sie in vollem Umfang mitvollziehen oder anders urteilen als frühere Generationen.
Die patriarchalisch eingefärbten Aussagen des Paulus über Frauen, da hat Steve Chalke völlig recht, hält heute auch nur ein Teil der Christenheit so aufrecht. Und die meisten Evangelikalen finden de facto auch seine Aufforderung, nach Möglichkeit doch lieber unverheiratet zu bleiben, nicht besonders nachahmenswert.
Der Begriff „schändlich“, den Du oben fett gedruckt hast, steht in 1.Kor 11,14 auch für Männer mit langen Haaren. Und auch hier wird mit dem Begriff „Natur“ (griechisch: Physis) argumentiert. Ich weiß nicht, wie das in Deiner Gemeinde ist, bei uns laufen ein paar „schändliche“ Männer ganz unbehelligt herum. Sogar Luther hatte lange Haare!
Warum also gilt ein und dieselbe Argumentation hier als unverrückbar und da als irrelevant?
Ach Peter, müssen wir diese beschwerliche Reise antreten?
In 1. Korinther 11 geht es um die Frau im Gottesdienst und einige andere Dinge, die damals Sitte waren, siehe 1. Kor. 11,16: „Ist aber jemand unter euch, der Lust hat, darüber zu streiten, so soll er wissen, dass wir diese Sitte nicht haben, die Gemeinden Gottes auch nicht.“. Darum fängt Paulus diesen Abschnitt auch mit „Folgt meinem Beispiel“ an. Und er fährt nach diesen Ausführungen (über die damals wohl auch trefflich diskutiert wurde), die in dem Vers oben münden, weiter in 1. Kor. 11,17: „Dies aber muss ich befehlen:…“. In Römer 1,26 steht außerdem: „Darum hat sie Gott dahingegeben…“. Da geht es um mehr als um die Sitte in 1. Kor. 11,1-16 und den achtlosen / lieblosen und nicht durch gegenseitige Unterstützung geprägten Umgang mit dem Abendmahl ab Vers 17. Denn da geht es um die Gottlosigkeit der Heiden, siehe Römer 1,18: „Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Wesen und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten“, und dies wird dann weiter ausgeführt.
Nein Johannes, das müssen wir nicht – wenn diese Reise beschwerlich ist, dann lassen wir es bleiben. Unsere Agrumentationsmuster liegen so weit auseinander, dass es zu vieler Erklärungen bedarf, um nicht missverstanden zu werden.
Lieber Peter, der Seufzer bezog sich auf deine etwas simple Argumentation, und ich dachte, dass du doch die Antwort schon kennen müsstest. Darum meinte ich „beschwerliche Reise“. Dass du daraus nun ein so weit auseinanderliegendes Argumentationsmuster machst, wundert mich etwas – welches Argumentationsmuster habe ich denn, dass es so weit von deinem entfernt ist und zu vieler Erklärungen bedarf?
Ich dachte eigentlich immer, dass die Heilsgeschichte eine Sache ist, die man den Menschen ganz einfach weitergeben kann, die auch von Menschen mit sehr einfachen Denkstrukturen verstanden werden kann. Die emergente Bewegung, so scheint es mir, macht daraus eine sehr anspruchsvolle intellektuelle Denkaufgabe daraus, bei dem nur noch wenige folgen können (soweit sie überhaupt die Zeit haben, sich damit intensiv auseinanderzusetzen), andere völlig verwirrt werden. Ist Gott so kompliziert?
@Johannes: Für mich stellt sich im Verlauf dieser Diskussion heraus, dass die Fragen, die Du oben aufwirfst, für Dich alle schon längst beantwortet sind und dass alles ganz „klar“ und vor allem „einfach“ ist. Für mich ist es das keineswegs, was mir von Deiner Seite den Vorwurf intellektualistischer Spitzfindigkeit einbringt (zugleich aber auch wieder „simple Argumentation“, das wechselt je nach Gusto).
Du bestreitest – etwa mit den wiederholten Seufzern, den etwas herablassend wirkenden Hinweisen, das müsste ich doch alles längst wissen oder kapieren – die Legitimität meiner (und nicht nur meiner) Fragen. Zwischen meinen Fragen und Deinen Klarheiten gibt es so lange keine Verständigung, wie Du die Existenz meiner Fragen nicht ernst nehmen kannst. Dafür sehe ich bisher keinen Anhaltspunkt, Du scheinst zu denken, ich will mich nur vor der unausweichlichen Erkenntnis Deiner Wahrheit drücken.
Leider geht es jetzt nur noch um die Diskussionskultur.
Und leider stellst du das hier von mir vertretene falsch dar.
Ich bestriete mitnichten die Legitimität deiner Fragen. Wie käme ich dazu? Ich habe dazu nur meine persönliche Meinung, und die werde ich wohl noch äußern dürfen, auch wenn das für dich „herablassend“ wirken sollte, was ich nicht verstehe. Ich meinte damit nicht, dass du das kapieren müsstest, was ich sage, sondern: Du bist doch ein gebildeter Mensch der Theologie, und solltest wissen, welche Argumentationen von evangelikaler (wenn man schon mit Klisches arbeiten muss) Seite kommen. Ich hätte erwartet, dass du das schon implizierst, und deswegen eine weitreichendere Argumentationslinie bringst, die meine von dir erwartete Replik schon berücksichtigt. Aber wie sieht es denn mit einer Antwort auf meinen Beitrag vom 24.1. 18:22 aus?
Johannes – bei dieser Latte von Missverständnissen sehe ich kein Land und habe inzwischen auch einfach keine Lust mehr, in dem Stil weiter zu diskutieren.
Literatur zu den angerissenen Fragen gibt es meterweise, vielleicht schaust Du Dich da mal um, wenn Du dranbleiben willst.
Ich schreibe hier über Dinge, die mich beschäftigen, so lange und in der Art, wie sie mich beschäftigen. Wer damit klarkommt, kann gern mitreden. In diesem Sinne – noch ein schönes Wochenende.