„Entweltlichung“ – neuer Papst, neuer Ansatz

Den Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Papst, wenn es um die Rolle der Kirche in der Welt und das Verhältnis beider Größen zu einander geht, hat der Mainzer Sozialethiker Gerhard Kruip in einem Beitrag auf der Website der Caritas wunderbar griffig und treffend beschrieben. Da es im Protestantismus ganz ähnliche Differenzen gibt, lohnt sich auch für Nichtkatholiken ein kurzer Blick, hier ein Auszug:

Papst Benedikts Forderung nach Entweltlichung ist geprägt von einer dualistischen Gegenüberstellung von Welt und Kirche, wobei der Welt der negative, der Kirche der positive Part zukommt. Zwar soll sich die Kirche nicht aus der Welt zurückziehen, aber die Kirche hat von der Welt nichts zu lernen, braucht nicht in einen Dialog mit ihr einzutreten, braucht in ihr nicht nach Zeichen der Gegenwart Gottes zu suchen, weil sie selbst dieses Zeichen schon ist. Alles Negative in der Kirche wird auf Einflüsse der Welt zurückgeführt, so auch die Missbrauchsfälle, und das, obwohl es ja auch gerade „die Welt“ war, die die Kirche dazu gezwungen hat, ihre Praxis der Vertuschung zu überwinden. Auch Jorge Mario Bergoglio hatte am 9. März im Vorkonklave von einer „weltlichen“ oder „verweltlichten“ Kirche gesprochen (in manchen Übersetzungen mit „mondäner Kirche“ wiedergegeben) und meinte damit eine „narzisstische“, „selbstbezügliche“ Kirche, die „in sich, von sich und für sich“ lebt, die glaubt, selbst das Licht zu sein, während das Gegenteil für ihn eine Kirche ist, „die aus sich selbst herausgeht, um zu evangelisieren“, die „bis an die Peripherien“ geht. Die Kritik der beiden Päpste an der Kirche mag ähnlich klingen, aber die vorgeschlagenen Heilmittel sind verschieden. Während der Papa emeritus, wie Michael Ebertz schreibt, eine Strategie der „elitären Minorisierung“ einschlug, die immer in der Gefahr steht, in Selbstbezüglichkeit zu münden, lässt sich das Anliegen von Papst Franziskus als armenorientierte Öffnung beschreiben. Während für Papst Benedikt der Bezug zur theologischen Wahrheit, wie sie die Kirche verkündet, zentral war, steht für Papst Franziskus die Praxis der Gerechtigkeit im Vordergrund.

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2 Antworten auf „„Entweltlichung“ – neuer Papst, neuer Ansatz“

  1. Die Freiburger Konzerthausrede des damaligen Papstes vom 25.9.2011 (http://www.papst-in-deutschland.de/) hinterlässt tatsächlich den Beigeschmack ‚gute Kirche – böse Welt‘ (wie sooft bei Benedikt). Dennoch trägt die benediktinische Entweltlichung sehr überraschende, geradezu mutige und unüberhörbar kirchenkritische Züge. Ich finde das bemerkenswert. Erzbischof Zollitsch hat zwar eine wörtliche, radikalere Lesart der Papstrede schnell als Missverständnis deklariert und auzuschließen versucht. Aber Benedikt hat zumindest die Möglichkeit einer schärferen Interpretation offen gelassen und ist in seiner Grundsätzlichkeit schillernd geblieben. Ich denke, er ahnt(e), dass die Kirche in nicht allzu ferner Zukunft vor einem Gestaltwandel stehen wird, der sich in den gesellschaftlichen Debatten ja bereits andeutet. Er versteht Entweltlichung zunächst als ein Widerfahrnis, das als Entzug von Privilegien usw von außen über die Kirche kommt. Diesen möglichen und erwartbaren Vorgang soll die Kirche geistlich annehmen und mitvollziehen, und sie kann es vom Evangelium her (theologia crucis). Die pessimistische Sicht auf Gesellschaft und Welt teile ich nicht, aber diesen Ansatz finde ich beachtenswert und überraschend. Benedikt sendet mit dieser Rede das Signal nach innen und außen: die Kirche kann und muss sich für diesen Gestaltwandel theologisch und geistlich bereit machen. Dabei zeichnet er ein Verhältnis zwischen Kirche und Gesellschaft, das nicht mit den gegenwärtigen bundesdeutschen Zuständen in Deckung zu bringen ist. Es bleibt zwar alles noch recht abstrakt und dogmatisch, aber gerade in dieser Grundsätzlichkeit macht er deutlich, dass eine veränderte gesellschaftliche Positionierung von Kirche für ihn eine begründbare und chancenreiche Option ist. Für das gesellschaftlich etablierte europäische Christentum, das weniger befreiungstheologisch geprägt ist als das südamerikanische, ist das sicher ein passender Impuls.

    1. Danke für den interessanten Hinweis. Ich denke, in dieser Frage – dem Verzicht auf Privilegien – dürften sich beide Päpste recht nahe stehen. Um so sympathischer, wenn man „Gegenkultur“ (um mal einen anderen Begriff ins Spiel zu bringen) in der offenen, anschlussfähigen, aber sich nicht anbiedernden Form vom Franziskus leben kann. Das ist ein schönes Thema für den Reformationstag!

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