In den letzten Wochen habe ich von Joshua Cooper Ramo The Age of the Unthinkable: Why the new world disorder constantly surprises us and what to do about it gelesen (deutsch: Das Zeitalter des Undenkbaren). Die Anregung hatte ich im Blog von Alan Roxburgh gefunden. Es erinnert etwas an die Bücher von Malcolm Gladwell wie Blink!: Die Macht des Moments und Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können , nur geht es um viel ernstere Fragen: Wie überleben wir in einer immer unberechen- und unbeherrschbaren Welt?
Vielleicht finde ich die Zeit, einige der Punkte, die Cooper Ramo stets mit Anekdötchen garniert serviert, zu rekapitulieren. Er geht der Frage nach, warum Militäraktionen im Irak und Afghanistan scheitern, warum Israel die Hisbollah mit seinen Angriffen stärkt statt schwächt und was man gegen die Bankenkrise hätte unternehmen können.
Notgedrungen stammen viele Themen aus dem Bereich Militär und Sicherheit. An einem bin ich als Theologe jedoch hängen geblieben. Er beschreibt die Diskussion unter Nato-Strategen über eine indirekte Kriegsführung: Statt die Truppen des Feindes direkt zu treffen, bombardiert man die Treibstofflager. Oder wirft Metallstreifen über Belgrad ab und blendet die serbische Flugabwehr, um als nächstes die Stromversorgung zu treffen und die Lichter auszuknipsen. Die Idee ist nicht neu, schon der chinesische Stratege Sunzi hat um 500 v.Chr. ähnliche Ideen und riet unter anderem, die direkte Konfrontation nach Möglichkeit zu vermeiden. Hingegen konzentriert sich westliches Denken und Strategie fast ausschließlich auf den direkten Schlag.
Nachdem mich das Thema diese Woche schon anderweitig beschäftigt hatte, habe ich mich gefragt, ob man nicht den Sieg Christi am Kreuz nicht ähnlich verstehen kann. Ein „direkter Schlag“ hätte den Palast des Kaiphas, die Präfektur des Pilatus und das Kapitol in Rom treffen können, aber einem Hohenpriester wäre ein weiterer gefolgt, ebenso einem Kaiser ein anderer und der Statthalter wäre noch leichter zu ersetzen gewesen. Die feindlichen Systeme hätten sich regeneriert, nichts hätte sich verändert. Alle ausradieren wäre auch keine Alternative gewesen, aber das ist ja zum Glück seit Noah schon klar.
Stattdessen zielt Gott indirekt – und gewinnt. Wenn wir Kolosser 2,15 lesen, dann bekommen wir einen Eindruck davon, was geschah:
Erstens entzieht Gott den „Mächten“ (und das verstehen wir eben am besten systemisch) die Legitimation. Er entzaubert sie, er nimmt ihnen den göttlichen Nimbus, der das Kaisertum (und die Tempelhierarchie) umgab. Denn er erklärt durch die Auferweckung das ergangene Urteil für null und nichtig. Bis dahin war es so etwas wie ein säkularer Staat praktisch undenkbar. Seither kann kein Herrscher, kein Regime, keine Institution mehr uneingeschränkte göttliche Autorität beanspruchen ohne sich damit zugleich als Götze zu entlarven.
Zweitens nimmt er den Mächten ihre entscheidende Waffe. Bislang konnten sie mit Verbannung und dem Tod drohen. Wer gegen die Staatsräson handelte, wurde geächtet, musste ins Exil oder wurde gewaltsam beseitigt. Nun fehlt dem Tod der Stachel, die Drohgebärde wird hohl. Denn außen vor dem Tor der Stadt wartet der auferstandene Christus bei den Vogelfreien und an den Gräbern der Dissidenten.
Wer bisher empfand, dass er keine Wahl hatte, hat sie nun zurückbekommen. Wir können mit den Mächten gegen Gott kämpfen und verlieren, oder gegen die Mächte verlieren und mit Gott gewinnen. Und hin und wieder werden wir Zeugen, wie eine dieser Mächte ins Stolpern gerät, strauchelt, und in sich zusammenfällt. Beispiele gab es genug in der Geschichte.
Das Kreuz – wenn wir es denn verstehen – immunisiert Menschen gegen den Anspruch der Mächte unser Leben letztgültig zu bestimmen, wie auch gegen die Angst, die sie verbreiten. Sie sind zu Pappkameraden geworden. Gott greift das Böse nicht frontal an, aber er gräbt ihm das Wasser ab. Allerdings geht der Kampf weiter. Eine andere Geschichte, die Cooper Ramo erzählt, ist die von Dr. Tony Moll, der in Tugela Ferry bei Durban ein AIDS-Projekt leitet. Der Erfolg rührt daher, dass er HIV-Infizierte als Trainer einsetzt. Oft sind sie selbst Analphabeten, aber sie helfen anderen Patienten, die Wirkung der AIDS-Medikamente zu verstehen und wir richtig anzuwenden. Dagegen haben teure, staatlich organisierte Programme gegen TB häufig versagt, weil sie auf Profis und Spezialisten setzen und den Patienten wenig zutrauen und zumuten.
Christen – egal welche – sind in gewisser Hinsicht wie die Patienten von Dr. Moll. Sie kennen die Krankheit, sie sind im Prozess der Heiljung begriffen und nehmen die Medizin selbst immer noch. Daher können (oder sollte ich das im Konjunktiv schreiben?) sie anderen auch ganz gut erklären, wie sie selbst kuriert werden und sich ihrerseits für eine gesunde Welt einsetzen.