Der amerikanische Psychiater Daniel Siegel hat mit „Mindsight“ ein kluges und spannendes Buch über das Zusammenspiel von Geist und Gehirn geschrieben, das sich wohltuend abhebt vom Determinismus mancher Neurobiologen wie auch vom allgegenwärtigen, marktkonformen Optimierungswahn. Wenn wir uns beim Denken beobachten, dann finden wir in kritischen Momenten auch die Freiheit, Kurzschlusshandlungen zu vermeiden und Entscheidungen zu treffen, die nicht nur für uns selbst gut sind, sondern auch für andere.
Drei Begriffe spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle, sie fangen im Englischen alle mit einem „O“ an: Openness, Observation und Objectivity. Es geht also erstens um die Offenheit, sich mit dem zu befassen, was tatsächlich ist (statt mit dem, was sein sollte oder müsste), und zwar so, wie es ist. Zweitens gelingen uns Dinge besser, wenn wir eine gewisse Distanz zu uns selbst und den unwillkürlichen Impulsen finden, die sich als Reaktion auf das einstellen, was wir antreffen – wir stecken den Rahmen der Beobachtung weiter und schließen uns selbst mit ein. Drittens hilft (der Begriff ist freilich missverständlich) Objektivität dabei, die eigenen spontanen Empfindungen zu relativieren: Sie sind vorübergehende Phänomene (morgen könnte es schon anders sein), sie sind nur ein Teilaspekt von uns (ich gehe also in meinem Ärger oder Kummer nicht komplett auf), sie werden der komplexen Situation nicht immer gerecht.
Ganz ähnlich sind die drei deutschen Begriffe, mit denen Maria-Anne Gallen und Hans Neidhardt in Das Enneagramm unserer Beziehungen den „inneren Beobachter“ charakterisieren: Absichtslos statt zweckgerichtet und ergebnisfixiert, akzeptierend statt wertend und beurteilend – aufmerksam statt indifferent, zerstreut und abgestumpft – man kann es auch eine kontemplative Grundhaltung nennen, oder nicht-duales Denken.
Der mögliche Gewinn: Ich kann von der Bühne meines Lebens in den Zuschauerraum wechseln. Und mit dem, was ich von da aus sehe, bin ich nicht mehr nur Darsteller in diesem Stück, sondern ich werde zum Regisseur. So bekommt die Figur auf der Bühne neue Spielräume.
Was mir am Sonntag zum Thema „Selbstoptimierung“ noch auffiel ist, dass dieses Prinzip unter dem Begriff „Heiligung“ (im Sinne von „Jesus ähnlicher werden“, ergo „perfekter werden“) eine lange (nicht nur) pietistische Tradition hat 😉
Das stimmt allerdings. Da lässt inzwischen die säkulare Moderne (bzw. der Turbokapitalismus) die Strenge von Francke und Wesley alt und fast liebenswert aussehen, denn bei denen gibt es wenigstens noch Vergebung, während der Markt nur straft und nie verzeiht…