Drei Sätze über die Freiheit

Im Zuge der Diskussion um (auflagensteigernde) Mohammed-Karikaturen und einen nicht etwa islamkritischen, sondern doch eher den Islam diffamierenden Film wird immer wieder über die Grenzen von Freiheit diskutiert. Ich frage mich, ob das überhaupt der richtige Ansatz ist.

Drei Sätze paulinischer Ethik deuten in eine andere Richtung:

Erstens: Es ist alles, erlaubt, aber es nützt nicht alles (1.Kor 6,12). Es gibt einen eher pubertären Umgang mit Freiheit, der darin besteht, ständig an deren Grenzen zu gehen. Ständige Provokation, die testet, wie weit man gehen kann, bis eine Autorität einschreitet oder ein anderer zurückschlägt. Wer aber ständig an den Grenzen operiert, ist sich seiner Freiheit nicht sicher, ähnlich wie ein Staat, der ständig alle Truppen an den Grenzen patrouillieren lässt. Wir „haben“ unsere Presse- und Meinungsfreiheit noch gar nicht richtig, wenn wir sie ins Extrem ausreizen müssen und dabei in Kauf nehmen, andere zu verletzen, sprich: Beziehungen zu beschädigen, weil wir lieber Prinzipien reiten.

Ken Wilber hat das mit dem Stichwort „Boomeritis“ bezeichnet: Da versteckt sich narzisstisches, egozentrisches Denken hinter emanzipatorischen Begriffen und Posen. Nichts ins Extrem zu gehen ist nicht etwa der Verzicht, sondern der Gebrauch von Freiheit. Auf Empfindsamkeit anderer zu achten, ist nicht Schwäche und Einknicken vor deren (unsouveränen) Drohgebärden, sondern Stärke. Freiheit zu gebrauchen bedeutet, auch sich selbst gegenüber die Freiheit zu haben, sich zurückzunehmen. Das ungefähr dürfte Paulus meinen, wenn er – zweitens – in Galater 5,13 schreibt: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch.“ Freiheit bedeutet, genug Distanz zu sich selbst zu haben, um solchen Reflexen, so verständlich sie manchmal sein mögen, nicht nachzugeben. Das wäre ein erwachsener Umgang mit Freiheit.

Drittens schreibt Paulus 1Kor 8,9: „Doch gebt Acht, dass diese eure Freiheit nicht den Schwachen zum Anstoß wird.“ Nicht weil die „Schwachen“ Recht hätten, nicht aus Furcht, sondern weil sie für manche Denkprozesse Zeit und Geduld brauchen. Wer den Bogen überspannt, mag formal Recht behalten, er verliert aber den anderen.

Freilich haben sowohl Jesus als auch Paulus provoziert mit ihrer Verkündigung. Aber zugleich sind beide immer einen Schritt auf die „anderen“ zu gegangen und sich das (nicht die Kritik, sondern die Beziehung) viel kosten lassen. Sie konnten ihrem Gegenüber einen Spiegel vorhalten, und das konnte durchaus schmerzhaft sein. Jesu Gleichnisse überlassen es den Hörern, wo sie sich wiederfinden wollen, und sie sind frei von aller Häme.

Es darf keine Diktatur der Schwachen geben. Man muss ab und zu die Regeln brechen. Man darf nicht in Ehrfurcht erstarren vor jeder heiligen Kuh. Aber vermutlich kann das nur der richtig, der (und das wäre jetzt meine vierte Paulus-Referenz, der „Bonus“ sozusagen) insofern ein „gebrochenes“ Verhältnis zu sich selbst hat, als er „mit Christus gekreuzigt“ ist und aus dieser Verbindung heraus „im Glauben“ lebt – im gelassenen Vertrauen darauf, dass er Gott die Durchsetzung des eigenen Rechts überlassen kann, selbst wenn das etwas länger dauern sollte. Die großen Heiligen der christlichen Kirche hatten dieses Geheimnis verstanden und vielleicht deshalb schon zu Lebzeiten mehr bewirkt als viele andere. Vielleicht kann man sogar sagen: Das Kreuz ist das Zentrum der Freiheit.

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13 Antworten auf „Drei Sätze über die Freiheit“

  1. Hallo Peter!

    Sehe ich anders! Jesus hat massiv die Konfrontation gesucht aber nur verbal (abgesehen von der „Tempelreinigung“). Und er nahm keine Rücksicht auf eitle Gefühle seines Gegenüber. Zusagen (direkt oder indirekt) die Gewaltausbrüche währen durch die Karikaturen oder „Schmähfilme“ zu entschuldigen, argumentiere wie der Polizist, der sagte, das eine Frau die sich provokativ kleidet, für ihre Vergewaltigung selbst verantwortlich ist (Stichwort Slutwalk. Wenn man dieser Argumentation folgt, dann kann man sich auch nicht mehr über das Urteil gegen Pussy Riot entrüsten. Weil da wurden ja auch (vermeidlich) religiöse Gefühle verletzt.

    Peter deine Ratschläge mögen innerhalb einer Gemeinschaft vielleicht seine Berechtigung haben. Gesellschaftlich, politisch und theologisch ist es die Büchse der Pandora die du da öffnest. Es hat Jahrhunderte unsäglichen Leides gekostet, bis wir angekommen sind bei der Erklärung der allgemeinen Menschenrechte der UN. Das werde ich nie mals aufgeben. Nur über meine Leiche. Da werden keine durchgeknallten Muslimen, keine lukrativen Handelsbeziehungen mit den Puttin und kein angepisster Papst etwas daran ändern.

    Ich hab da auch gestern schon was zu gebloggt zu:
    Mit den „Christdemokraten“ zurück ins Mittelalter

    Viele Grüße

    Olaf

    1. @Olaf: 1. Darfst Du natürlich gern anders sehen.
      2. Ich gebe – anders als Du unterstellst – nirgends in diesem Post dem Opfer einer Gewalttat die (Mit-)Schuld an dem Gewaltakt.
      3. Ich plädiere auch nicht für Blasphemiegesetze oder -prozesse, auch die drehen sich um die Grenzen der Freiheit oder Unfreiheit.
      4. Ich gebe schon gar nicht die Menschenrechte und den zivilisatorischen Fortschritt auf – und kann an diesem Punkt nun wirklich überhaupt nicht mehr nachvollziehen, wie Du das aus meinem Text herauslesen konntest.

      1. Hallo Peter!

        Natürlich habe verstanden, das du den Opfern nicht die schuld gibst. Der Text ist aber fokussiert auf Die die sich vermeintlich oder tatsächlich zu viel Freiheit genehmigen. Die sehe ich aber aktuell nicht als Problem. Die die das Problem darstellen, kommen aber nicht in den Fokus deiner Überlegungen. Daraus (aus der Nichterwähnung) könne man Schlüsse ziehen die falsch sind. Also mutmaßen und unterstellen.

        Viele Grüße

        Olaf

        1. Hi Olaf,
          nein, auch so war es nicht gemeint. Meine Frage war nicht die nach den Grenzen, also auch nicht nach dem „zu viel“, sondern nach dem Kern des christlichen Verständnisses von Freiheit, und da begegnet man einer eigenartigen Verschränkung, ähnlich wie sie Luther später auf den Nenner bringt: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist in dienstbarer Knecht aller und jedermann untertan“. Der erste Satz ohne den zweiten ist genauso falsch wie umgekehrt.

          1. Und schließlich wäre da noch die Frage, wie man eigentlich damit im relativ sicheren Frankreich oder Kalifornien lebt (demnächst vielleicht mit staatlich finanziertem Personenschutz), dass man eine bewusste Provokation (auch darüber gibt es ja kaum einen Zweifel) in die Welt setzt, die andere Menschen das Leben kostet oder in große Schwierigkeiten bringt. Anders gefragt: Was sagt eigentlich der Produzent des Films, wenn er die Frau oder Kinder des getöteten Botschafters trifft? Den Preis für seine Freiheit bezahlen ja andere, die auch nicht gefragt wurden…
            Und nochmal: das entschuldigt nicht die Gewalttäter. Sie begehen ein Verbrechen.

            1. Hi !

              Dann könnte man auch Argumentieren: Die Modemagazine würden Frauen in ihr Unglück stürzen wenn sie das tragen von Miniröcken anpreisen.

              Was glaubst du, was ein Redaktion einer Frauenzeitschrift sagt, wenn sie auf eine Frau trifft, deren Vergewaltigen zur Verteidigung gesagt hat, sie hätte zu kurze Röcke getragen? Soll sich die Redaktion dann schuldig fühlen?

              Das ist exakt die selbe Logik.

              Gruß

              Olaf

  2. @0f318f9ee63bef0fa1ae41e35c422440:disqus – Darf ich vorschlagen Du liest dir mal Artikel 5 vom Grundgesetz durch, speziell Paragraph 2 und da speziell der letzte Abschnitt 🙂

    1. Hi Andreas!

      Ich bezog mich bewusst nicht auf das GG sondern auf die

      Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der

      Vereinte Nationen, in der 193 Staaten Mitglied sind. Diese AEdM ist viel Visionär als das GG.

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