Das Freizeitgehirn

In Hans Blumenbergs (1920-1996) „Beschreibung des Menschen“ habe ich diese Woche viele originelle Gedanken und Formulierungen gefunden, darunter auch diese Überlegung zum menschlichen Gehirn als biologischem „Universalwerkzeug“ und der bangen Frage, welche Rolle in unserer Kultur das Denken zukünftig noch spielt:

Es wäre denkbar, dass die durch das Werkzeug der Werkzeuge realisierte Werkzeugkultur das zentrale biologische Organ so weit entlastet hat und weiter entlasten wird – etwa in einer vollautomatischen Computerwelt –, dass trotz fortschreitender endogener Entwicklung dieses Organs ihm keine akuten Leistungen mehr abgefordert werden. Das Potential würde nicht aktualisiert. Es wäre ein Freizeitgehirn geworden, welches sich luxurierend in Funktion erhält, aber gerade darin, dass es sich ausschließlich der Funktionslust anheimgegeben sieht, der Herrschaft des Realitätsprinzips entgleitet, also den Bezug zur Wirklichkeit verliert.

… Die Gefahr deutet sich heute bereits in freischwebenden Theorien vom Wirtschaftsleben und von den Ausbildungsbedürfnissen des praktischen Lebens an.

Blumenberg hat diese Andeutungen leider nicht näher ausgeführt. In Zeiten von Virtualisierung und „Augmented Reality“ ist dieser Gedanke ja nicht völlig abwegig. Und es gibt immer wieder mal Situationen, hinter denen sich eigentlich nur ein „Freizeitgehirn“ vermuten lässt.

Um so schöner, wenn es immer wieder Orte und Menschen gibt, an und mit denen man sich gründlich die Köpfe zerbrechen kann!

 

Share

2 Antworten auf „Das Freizeitgehirn“

  1. Alternativ könnte es auch sein, dass das Gehirn nach Entlastung mehr Fähigkeiten gewinnt, um z. B. das Gedächtnis zu verbessern, also die Informationen die gespeichert aber für uns praktisch nicht abrufbar sind zugänglich(er) zu machen.
    Insgesamt finde ich das Zitat hauptsächlich rückwärtsgewandt. Wer immer glaubt, dass eine fortschreitende Computerisierung weniger Denken erfordert sieht nur einen Teil des Ganzen. Ich würde sagen: Das Denken wird durch IT-Unterstützung nicht weniger, aber es verändert sich. Unter anderem verlangt es wesentlich mehr Strukturierungs- und Abstraktionsvermögen.

Kommentare sind geschlossen.