Weisheit der Woche: christliche Identität

Ganz ähnlich wie Juden und Muslime können Christen nie in erster Linie Asiaten oder Amerikaner, Kroaten, Russen oder Tutsis sein, und erst dann Christen. Im Kern christlicher Identität liegt ein alles umfassender Loyalitätswechsel, von einer bestehenden Kultur und ihren Göttern hin zu dem Gott aller Kulturen.

Mirolsav Volf, Exclusion & Embrace, S. 40

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Fürs Protokoll

Es ist ja schon vielen Weisen und Heiligen untergejubelt worden, aber das bekannte „Gelassenheitsgebet“ stammt höchstwahrscheinlich von dem deutsch-amerikanischen Theologen Reinhold H. Niebuhr (1892-1971). Hier ist es, falls jemand es noch nicht kennt:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Und nochmal auf englisch:

God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
Courage to change the things I can,
And wisdom to know the difference.
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Beten unterm Davidstern?

Vor kurzem warf ich einen Blick in den Gottesdienstraum einer Freikirche und sah dort einen großen Davidstern an der Wand. Und kam ins Grübeln darüber, wie angemessen dieses Symbol dort nun eigentlich ist.

Das Hexagramm hatte ursprünglich auch keinen exklusiven Bezug zum Judentum, im Mittelalter wurde es von verschiedenen Glaubensrichtungen als Talisman verwendet, verrät die Wikipedia. Ab dem 18. Jahrhundert wurde der Davidstern dann zum Symbol des Judentum, um dann von den Zionisten als eher säkulares Symbol benutzt zu werden. Mittlerweile ziert er die Nationalflagge des Staates Israel.

Was sagt es dann also aus, wenn man einen Davidsstern in einen Gemeindesaal hängt? Manche kirchlichen Traditionen sind ja symbolisch etwas verarmt, und nun ist man bei der Nachrüstung vielleicht nicht sehr wählerisch. Und weil das Geschichtsbewusstsein mancher junger Gemeinden nicht sehr entwickelt ist, rutscht nun ein Talisman hinein, obwohl man sonst alles Magische peinlichst meidet.

Vielleicht will man das positive Verhältnis zwischen Christen und Juden (historisch keineswegs eine Selbstverständlichkeit in unseren Breiten) betonen, oder sogar die Identifikation mit den Opfern des dritten Reichs, die den „Judenstern“ als Zeichen tragen mussten. Aber das könnten Juden ja auch als respektlose Vereinnahmung empfinden, wie das etwa bei der Pesach-Feier der Fall ist.

Will man dem Staat Israel damit seiner Solidarität versichern? Aber es ist seinem Selbstverständnis nach ein säkularer Staat, und nicht einmal alle Strömungen im Judentum sehen den uneingeschränkt positiv. Noch etwas direkter gefragt: Erhebt man mit dem Davidstern an der Wand nicht qua Symbolsprache den Zionismus zum offiziellen Glaubensgegenstand? Und wie lässt sich das damit verbinden, dass Jesus die nationale Agenda seiner Zeitgenossen extrem kritisch kommentierte?

Oder soll es, etwas unglücklich und höchst missverständlich symbolisiert, nur sagen, was die EKD hier so formuliert hat: „Christen kommen durch Jesus Christus zu dem Gott, der sich unverbrüchlich mit Israel verbündet hat“?

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Es ist noch kein Messias vom Himmel gefallen

Diese Woche hat mich die Geschichte von Simeon und Hanna aus Lukas 2,25ff begleitet. Weihnachten, der Messias und Gottes neue Welt sind nicht nur etwas für junge Mütter und Babys, sondern auch für die Alten. Allerdings begegnet uns hier nicht die Sorte alter Menschen, die in der Vergangenheit leben und störrisch behaupten, früher sei alles besser gewesen. Sondern zwei Alte, aus denen Gottes Geist zu den jungen Eltern spricht über ihren Sohn, der nicht ihnen gehört, sondern Gott. Zwei Propheten, die in der Erwartung des Neuen leben und denen es geschenkt ist, schon in seinen winzigen und bescheidenen Anfängen die ganze Bedeutung und Herrlichkeit zu erkennen. Weil das auch Hochbetagte noch können, braucht uns das Älterwerden also nicht zu schrecken.

Für den kleinen Jesus gilt, was mutatis mutandis für alle Christen gilt: Es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden (1.Joh 3,2) – noch kein Auge hat gesehen, was Gott vorbereitet hat (1.Kor 2,9). Nicht aus der Vergangenheit, sondern erst aus Gottes Zukunft heraus wird deutlich, wer er ist. Er wächst in diese Rolle hinein im Gegenüber zu anderen Menschen, das müssen die Eltern verstehen. Simeon spricht davon, dass es Streit um Jesus geben wird und dass das auch für die Familie schmerzlich wird. Mit begrenztem Erfolg: In Markus 3 können wir verfolgen, wie die Familie den abtrünnigen Sohn wieder einfangen will und die Schriftgelehrten ihn für einen teuflischen Verführer halten. Jesus sagt sich von seiner Familie los. Und er bricht mit den Erwartungen, die die religiösen Autoritäten an ihn herantragen.

In Dtn 21,18f das im Hintergrund der Aktion von Mk 3,21 steht, folgt übrigens am Ende der Hinweis auf den Tod des Verfluchten am Holz. In genau diese Richtung bewegt sich Jesus mit der eigenwilligen Interpretation der Messias-Rolle. Er wird dieser Messias im Gegenüber zu Gott, der in der Taufe seinen Geist auf ihn kommen lässt und den er mit dem intimen „Abba“ anredet, und der neuen messianischen Gemeinschaft seiner Schwestern und Brüder. Simeon und Hanna sind eine Vorwegnahme dieser Gemeinschaft, und auch durch sie spricht Gottes Geist. Ein paar Verse weiter deutet Jesus schon einmal kurz an, dass sein Zuhause (also seine Identität) nicht in Nazareth liegt, sondern bei Gott dem Vater. Jürgen Moltmann hat in „Der Weg Jesu Christi“ geschrieben, dass Jesus in gewisser Weise auch für sich selbst ein Geheimnis bleibt.

Im Unterschied zu Jesus, für den es kein Vorbild gab, haben wir Christen in ihm einen „Prototypen“, an dem wir erkennen können, in welche Richtung unser Werden verläuft. Dennoch ist auch dieser Prozess nicht rückwärts gewandt. Er fordert von uns die Lösung von den Erwartungen und Traditionen unserer Herkunftsfamilien, sozialen Milieus, der politischen und religiösen (auch christlich-religiösen) Autoritäten; und er bindet uns an Gott, den Vater, und an einander als die Menschen des Weges. Der Jesus, dem wir ähnlich werden wollen, ist uns auf dem Weg vorausgeeilt. Wir finden ihn nicht in der Vergangenheit. Wir finden ihm, indem wir seinem Geist folgen und uns leiten lassen. Und weiter darum beten und darauf vertrauen, dass sein Friedensreich kommt. Das biologische Alter spielt dabei keine Rolle:

Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten! , er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi. Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt. (…) Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert. (2. Kor 4,6-7.16)

Es ist noch kein Messias vom Himmel gefallen, könnte man sagen. Und auch wir haben Zeit, in Gottes Absichten und Möglichkeiten hineinzuwachsen und uns von anderen Einflüssen freizuschwimmen. Maria hat im Laufe der Zeit offenbar auch verstanden, was Simeon und Hanna damals gemeint hatten, als es um das Licht für die Völker der Welt ging. In diesem Sinne: Ein Geist-reiches und gesegnetes Jahr 2011!

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Advent 2010 (3): Unterwegs zum Sehen

(Hier gibt es den gesamten Text der letzten drei Posts als PDF)

In dem Abschnitt (siehe letzter Post) Jes 52,7-10 erscheint der unsichtbare Gott, der im Kommen ist, nie direkt. Er spiegelt sich nur in den Schritten des Boten, der Stimme der Wächter und der Erwartung, dass sogar die Steine in Jubel ausbrechen. Ganz am Ende ist davon die Rede, dass er seinen mächtigen Arm entblößt: Er krempelt die Ärmel hoch und lässt die Muskeln spielen.

Bleiben wir noch einen Moment bei Gottes Unsichtbarkeit. Man muss sie ernst nehmen, um richtig davon reden zu können, dass Gott in der menschlichen Geschichte erschienen ist. Und es gibt zwei verwandte Stimmen, auf die zu hören sich dabei lohnt. Das eine ist die Stimme der Atheisten. Tomas Halik schreibt ja davon, dass hier eine existenzielle Wahrheit hörbar wird, nämlich die der Abwesenheit Gottes. Und die erfahren nicht auf die eine oder andere Art alle Menschen zu bestimmten Zeiten. Für Christen ist es eine wirkliche, wenn auch vorläufige Wahrheit. Sie ist aber nur in der Hoffnung aufgehoben, nicht in unserer täglichen Erfahrung. Da taucht die immer wieder auf, und wir können nachfühlen, was der „tolle Mensch“ in Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft sagt:

Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?

Die andere Wahrheit, die uns herausfordert, ist die des Judentums, das sich nicht zu Jesus als dem Messias bekennen kann, wie etwa Martin Buber und Schalom Ben-Chorin sagen. Und man muss die Begründung ernst nehmen, auch wenn sie nur ein vorläufiges Nein zu Jesu messianischem Anspruch ist:

Der Jude weiß zutiefst um die Unerlöstheit der Welt und er erkennt und anerkennt inmitten dieser Unerlöstheit keine Enklaven der Erlösung. Die Konzeption der erlösten Seele inmitten einer unerlösten Welt ist ihm fremd, urfremd, von Urgrund seiner Existenz her unzugänglich. (…) Erlösung heißt jüdisch gesehen, Erlösung von allem Übel. Übel des Leibes und der Seele, Übel der Schöpfung und der Kultur.

Die eine Stimme sagt uns also: Es wird nichts mehr kommen. Die andere sagt uns: es ist noch nichts geschehen. Christen teilen die Erfahrungen des leeren Raumes und der unerfüllten Hoffnung, und doch reden wir vom Kommen Gottes. Der Grund dafür liegt in den Versen, die sich am Ende von Jesaja 52 anschließen und den Auftakt für das berühmte Gottesknechtslied in Jes 53 bilden:

Seht, mein Knecht hat Erfolg, er wird groß sein und hoch erhaben. Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen. Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, Könige müssen vor ihm verstummen. Denn was man ihnen noch nie erzählt hat, das sehen sie nun; was sie niemals hörten, das erfahren sie jetzt. (Jes 52,13-15)

Hier finden wir diese gewaltige Spannung zwischen er unauffälligen, ja abstoßenden Gestalt dessen, den Gott sendet, um das Schicksal Israels zu wenden, und der Erwartung, dass diese Wende dennoch nicht nur die Innerlichkeit betrifft, sondern das ganze Leben grundlegend auf den Kopf stellt. Dann versteht man auch endlich, warum so viele Worte und Gleichnisse Jesu damit zu tun haben, dass man das Kommen Gottes (beziehungsweise des Menschensohnes) verpassen kann. Das sind keine Warnungen vor dem, was wir manchmal den „jüngsten Tag“ nennen. Seine Wiederkehr in Herrlichkeit wird niemand verpassen, dann werden die Steine schreien und die Trümmer jubeln. Aber das erste, unscheinbare, verkleidete Kommen, das konnte man sehr wohl verpassen. Es war missverständlich, und dennoch nötig. Gott markiert damit seinen Eintrittspunkt in die Geschichte: Draußen, unten, am Rande. Nicht etabliert, oben, im Zentrum. Und er erduldet die Ablehnung der Welt, statt sie zu ersticken und zu übertrumpfen. Nur so werden neben den Übeln von Leib und Seele auch die der Kultur überwunden.

Wir leben im Glauben, sagt Paulus, und noch nicht im Schauen. Und doch ist es nicht weniger ganzheitlich. Der irdische Jesus, schreibt Jürgen Moltmann, war auf dem Weg zur Offenbarung seiner Messianiät. Der auferstandene Herr ist auf dem Weg zu seiner Herrschaft, die der ganzen Welt umfassenden Frieden bringt. Aber er ist eben noch auf dem Weg – auch auf dem Weg mit uns, die wir bei jeder Feier des Abendmahls mit Paulus sagen: „So oft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ (1.Kor 11,26)

Hat das erste Kommen des Messias die Welt verändert? Nietzsches „toller Mensch“ (der einzig „normale“ in einer verrückten Welt) hat einen interessanten Gedanken dazu, der sich nicht nur auf das „Ereignis“ des vermeintlichen, von uns Menschen herbeigeführten Todes Gottes beziehen lässt, sondern vielleicht eben auch auf seine Auferstehung:

Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Thaten brauchen Zeit, auch nachdem sie gethan sind, um gesehen und gehört zu werden.

Das ungeheure (Christus-) Ereignis ist noch unterwegs. Wenn das keine Adventsbotschaft ist! Etwas spekulativ gefragt: Beschreibt Jesaja 52 vielleicht einen geschichtlichen Prozess in dem Sinne, dass die Apostel und die ersten Christen der Bote auf den Bergen waren, spätere Generationen (uns eingeschlossen) den Wächtern auf der Mauer entsprechen und wir den Einzug in die Stadt und den Gesang der Trümmer erst noch vor uns haben und dann gemeinsam feiern – mit Juden und Atheisten und allen Menschen, denen er nämlich auch gilt, und zwar zum Heil, nicht zum Unheil?

Was kann man damit praktisch tun? Nur eins: Vor-läufig schon jetzt so leben, als wäre das die einzige, alles bestimmende Wirklichkeit. Frohe Weihnachten!

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Advent 2010 (2): Ungewohnte Geräusche

(Teil 1 ist hier zu finden)

Alles beginnt mit einer Stille, so stelle ich mir das zumindest vor. Während alle beschäftigt sind, das Rad am Laufen zu halten, gibt es auch ein paar Überflüssige, ins Abseits geratene, die in den Ruinen des einstmals stolzen Jerusalem hausen. Für sie und über sie dichtet der namenlose Prophet ein Leid voller Hoffnung. Es dringt durch die Grabesstille, durch das bedrückte Schweigen (Jes 52,7-10):

Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König.

Horch, deine Wächter erheben die Stimme, sie beginnen alle zu jubeln. Denn sie sehen mit eigenen Augen, wie der Herr nach Zion zurückkehrt.

Brecht in Jubel aus, jauchzt alle zusammen, ihr Trümmer Jerusalems! Denn der Herr tröstet sein Volk, er erlöst Jerusalem.

Der Herr macht seinen heiligen Arm frei vor den Augen aller Völker. Alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes.

Das erste, was wir hören, sind Schritte.

Ein Bote kommt gelaufen. Wenn es ein Film wäre, dann sähen wir eine Hügelkette mit Jerusalem in der Ferne, und einen Weg, der den Kamm erreicht. Auf diesem Weg sähen wir federnd ein paar Füße laufen, nicht mit schweren Soldatenstiefeln. Jemand fliegt fast dahin und hat doch noch genug Luft, vom Frieden zu sprechen dabei. Anders als der legendäre Marathonläufer stirbt er auch nicht am Ziel. Er eilt dem nahenden König voraus, Waffen und Gepäck hat er abgeworfen, weil er weiß, er wird nie wieder kämpfen müssen. Friede ist eingekehrt: Nicht zu einer Stippvisite, sondern er bleibt.

Das zweite, was wir hören, sind Stimmen.

„Horch!“, sagt der Prophet (was zeigt: er muss Franke gewesen sein!). Die Wächter schlafen oder arbeiten nicht wie andere, sie halten die Augen offen. Und so sehen sie als erste den Tross heranrücken, dessen Banner die richtige Farbe hat. Ihre Stimmen wecken Jerusalem aus seinem Dornröschenschlaf. Die Wächter sehen schon, was die anderen erst zu hören bekommen. Und sie jubeln.

Das dritte, was wir hören, sind die Steine.

Ja, richtig, die Steine. Während in meinem Film zu Jesaja 52 der König (er bleibt für uns unsichtbar – wir „sehen“ hier nur die Reaktionen) durch die Straßen reitet und sein Schatten auf Pflaster- und Mauersteine fällt, brechen auch die Trümmer Jerusalems in Jubel aus. Nicht nur die Menschen müssen erlöst werden, auch die Strukturen, in denen sie leben: Die Straßen, die sie verbinden und auf denen sie sich treffen, die Mauern, die sie beschützen und ihnen nachts die Wärme erhalten und am Tage Schatten spenden. Die Trümmer, die das sichtbare Symbol dafür waren, dass Gott seine Hand von Juda abgezogen hatte, sie sollen jetzt jubeln. So wie ein paar Kapitel später die Bäume in der Hände klatschen. Wenn diese (seine Jünger) schweigen, sagt Jesus am Palmsonntag den Kritikern, dann werden die Steine schreien: Diese Steine.

All diese Stimmen trösten die niedergeschlagene Stadt. Aber selbst 2500 Jahre später fragen wir uns beim Lesen: Nehmen sie den Mund nicht ganz schön voll? Ist die Antwort auf drohende Resignation denn blauäugiger Triumphalismus?

(Teil 3 gibt es morgen)

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Advent 2010 (1): Das ewig alte Lied?

Unser Podcast hatte diese Woche ein technisches Problem, da habe ich beschlossen, die Predigt vom Sonntag in mehreren Abschnitten zu posten, für alle, die es nochmal nachlesen wollen, wenn -hören schon nicht geht. Morgen geht es weiter mit Teil 2.

In diesen Tagen ist die Frage ja erlaubt: Wartet die Welt auf irgendetwas? Alle wirken so beschäftigt. Die Mächtigen wollen, dass alles so bleibt, wie es war. Die Pyramiden, auf denen ihre Macht beruht, sollen halten. Bestenfalls rutscht der einzelne einen Platz nach oben. Und selbst viele, die unten sind in den Pyramiden, träumen nur vom Aufstieg, nicht vom Abbruch dieser Konstruktionen – ein armseliger Traum mit tragischen Folgen. Religion und Militär hatten aus der Sicht der Pyramidenkönige schon immer den Zweck, diese zu sichern und dafür zu sorgen, dass alles beim Alten bleibt. Das war schon im Alten Orient so. Das Symbol dafür war neben der Pyramide das Rad: Es dreht sich immer im Kreis. Einzelne Menschen kommen und gehen, werden geboren und sterben, aber das Volk bleibt und das Großreich mit seinem Gottkönig auch. Es konnte nichts Neues geben. Das Neue kann nur ein Irrtum sein. Wirklich Bestand hat nur das ewige Jetzt.

Nur einer sprang ab vom ewigen Rad. Ein Verrückter, der die Stimme eines Unsichtbaren gehört hatte, eines Gottes, der weder Namen noch Adresse an einer der Prachtstraßen Mesopotamiens vorzuweisen hatte. Abram verlässt Ur und folgt der Verheißung des Neuen. Später hört Mose die Stimme des unbekannten Gottes, von dem es keine Bilder geben durfte, und führte Israel aus dem Schatten der Pyramiden Ägyptens in das Land der Verheißung. Ein Volk von Propheten, das von dem her lebte, was erst noch kommen sollte. Eine Oase der Möglichkeiten in der Wüste ewiger, unerbittlicher Notwendigkeit und Schicksalhaftigkeit.

Aber auch Israel bekommt Probleme. Seine Könige bauen die Pyramiden nach, die sie verlassen hatten. Sie stellen Armeen auf, sie instrumentalisieren die Priester und das Heiligtum, sie bürden den Armen hohe Abgaben auf und bevorzugen die Reichen. Sie verstopfen ihre Ohren gegen die Klagen des Volkes und die Stimmen der Propheten. Am Ende werden Israel und Juda überrollt. Die Militärmaschinen der Assyrer und Babylonier walzen über es hinweg. Es kommt unter das Rad der Geschichte, die offenbar immer eine Geschichte der Großen ist.

Die Revolution ist beendet. Die Reformer sind gestrauchelt.

Das Experiment ist gescheitert. Die Utopie ist gestorben.

Die Lieder von der verheißenen Freiheit sind verstummt.

Die Kriegsmaschinen und Kultbetriebe der Großen drehen sich ungestört weiter und ihr gleichbleibendes Summen scheint zu sagen: Selig die nichts mehr erwarten, denn sie können nicht enttäuscht werden.

Bei uns sind dieses Jahr die Reichen wieder um viele Millionen reicher geworden und die Armen bekommen … 5 Euro mehr Hartz IV – vielleicht. Banker beziehen wieder unanständig hohe Boni, Herr Berlusconi hat wieder ein Misstrauensvotum überlebt. Wir Deutschen sind der drittgrößte Waffenexporteur der Welt, die Wirtschaft brummt auch deshalb und die Bundeswehr verteidigt unverklemmt die Handelswege. Alles bliebt beim Alten: Firmen verlagern Jobs und vergiften weiter Arbeiter und Umwelt, die Eliten verlagern ihre Konten und verachten die Armen, Scharfmacher hier und anderswo gießen Öl ins Feuer der Konflikte, weil man so mehr Bücher, Waffen, Menschen oder Rohstoffe verkaufen kann. Und selbst in den Oasen des Wohlstands: Menschen fühlen sich wie die Zahnräder des Systems: Sie stehen neben sich, sie werden gelebt, alle positive Leidenschaft für einen Beruf, mit dem man sich identifizieren kann, für Menschen, an die man sich mit Haut und Haaren verschenkt, scheint blockiert. Es fehlt den Dingen der Glanz, nichts leuchtet mehr.

Damals wie heute – das Alte scheint so übermächtig. Gott scheint so

… schwach

… abwesend

… desinteressiert?

Ehrlich: Was soll man da noch erwarten? Es müsste schon ein Prophet kommen, um den verhangenen Horizont aufzureißen…

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Glaube zum Anfassen

Ich bin noch eine Weile in dem „Menschenfischerkapitel“ Markus 1 hängengeblieben. Jesus hält keine Reden dort, sondern er gibt kurze Ansagen (wie den Ruf, Menschenfischer zu werden) und dann handelt er. Denen, die um sein Handeln ein großes Palaver veranstalten, die zwar die „Wahrheit“ über ihn sagen würden, aber in einem falschen Kontext und zur Unzeit, denen verbietet der den Mund – im Falle des Besessenen in der Synagoge mit mehr, im Falle des geheilten Aussätzigen mal mit weniger Erfolg. Man kann das Evangelium offenbar auch zerreden.

Aber es fällt auf, welche Rolle Berührungen hier spielen. Als Jesus vom Fieber der Schwiegermutter des Petrus hört, nimmt er einfach nur ihre Hand und richtet sie wortlos auf. Und zu dem Aussätzigen sagt er nur einen kurzen Satz, aber er berührt ihn, obwohl der unrein ist.

Kranke besuchen und berühren würde ich auch öfter, wenn ich sicher wäre, dass sie danach gesund sind, dachte ich mir beim Lesen – um mich gleich darauf zu fragen, wo mich Berührungsängste davon abhalten, die Hand eines anderen zu ergreifen oder mich zumindest nicht zurückzuziehen, um meiner eigenen Hilflosigkeit nicht so ausgesetzt zu sein. Das auszuhalten, vermute ich, ist in der Aufgabenbeschreibung für Menschenfischer auch enthalten.

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Menschenfischer

Bei unserer Büroandacht stießen wir gestern auf das Wort Jesu an seine ersten Jünger, sie sollten „Menschenfischer“ sein. Das weckt ganz unterschiedliche Assoziationen: Vor dem Hintergrund der rücksichtslosen industriellen Ausbeutung und Überfischung der Meere erscheint die Metapher als unpassend. Wer – beziehungsweise: was hier „gefischt“ wird, den erwartet der Tod und nur der Tod, nicht die „Fülle des Lebens“. Von daher ist es unglücklich, wie dieser Ruf manchmal etwas plump und ohne großes Problembewusstsein zur Begründung dieser oder jener evangelistischen Methodik und Strategie benutzt wurde, in der Menschen eher als Objekte erscheinen.

Wenn das aber vermutlich nicht gemeint war, knüpft dann Jesus mit dem Begriff am Beruf und der Kompetenz von Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes an? Erscheint damit Nachfolge als etwas, auf das Gott sie schon vorbereitet hat? Was würde Jesus einem Metzger, einem Taxifahrer oder einem Informatiker dann sagen?

Vielleicht ist da auch etwas dran. Ich denke aber, man muss – wie so oft – ein paar Seiten zurückblättern in der Bibel. Dann findet man die folgenden Verse:

Darum seht, es werden Tage kommen — Spruch des Herrn -, da sagt man nicht mehr: „So wahr der Herr lebt, der die Söhne Israels aus Ägypten heraufgeführt hat!“, sondern: „So wahr der Herr lebt, der die Söhne Israels aus dem Nordland und aus allen Ländern, in die er sie verstoßen hatte, heraufgeführt hat.“ Ich bringe sie zurück in ihr Heimatland, das ich ihren Vätern gegeben habe. Seht, ich hole viele Fischer — Spruch des Herrn -, die sollen sie fangen (Jer 16,14-16)

Die Menschenfischer sammeln Gottes Volk aus der Zerstreuung und symbolisieren das Ende des Exils. Anders gesagt, sie sind das erkennbare Zeichen dafür, dass Gottes Schweigen in Israels Geschichte und seine Abwesenheit ein Ende haben, dass seine Herrschaft anbricht und für das zwischenzeitlich verstoßene Israel wie für die ganze Welt Heilung bedeutet.

Die Menschenfischer sind unterwegs mit der Botschaft von der großen Heimkehr. Sie erinnern Menschen an ihre möglicherweise schon fast vergessene Bestimmung. Und wer sich erinnern lässt, ist damit schon selbst zum Menschenfischer geworden.

Vergleichen kann man das, sagt Jeremia, eigentlich nur mit dem Exodus zur Zeit Moses. Aber der wird von dieser Befreiungsaktion locker überboten. Und Jesus weitet das auch gleich noch universal aus: In seiner Verkündigung fehlt der Bezug auf das Land, den es bei Jeremia noch gab: Auch die Heiden werden kommen und bei Gott zu Tisch sitzen. Viele werden es sein.

Wenn das keine adventliche Botschaft ist…

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Gute Wahl

Der künftige Landesbischof von Hannover, Ralf Meister, gibt ein kurzes Interview und spricht sich für eine Stärkung des Erwachsenenkatechumenats aus – für Glaubenskurse also. Man spricht da über grundlegende Glaubensfragen, verbindet das gern mit einem Essen und fährt auch mal einen Tag zusammen weg, sagt er.

Das klingt ja alles sehr vertraut

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Umkehr ohne Reue

Der indische Jesuit Anthony de Mello macht auf die Tatsache aufmerksam, dass Jesus an keine Stelle im Evangelium von den Sündern ein Zeichen der Reue einfordert, dass Reue für ihn im Prozess der Umkehr keinen Platz hat. Der Prozess ist ein durchaus freudiges Ereignis. Der Schmerz über die Sünde mischt sich mit der Freude und der Dankbarkeit über das Geschenk der Vergebung und der großzügigen Aufnahme. Schon allein die Tatsache, dass der Mensch sich seine Sündhaftigkeit bewusst wird, ist nur dann möglich, wenn er bereits außerhalb des dunklen Kerkers der Sünde steht; der Sünder sieht in der Regel seine Sünde nicht, oder er sieht sie nicht wahrheitsgetreu, er ist in ihrem Dunkel gefangen. Die eigene Sündhaftigkeit wirklich zu sehen, ist das Privileg der Heiligen.

Thomas Halik, Geduld mit Gott

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Der springende Punkt

Jesus spricht im Johannes Evangelium davon, dass er das Licht der Welt ist, und dass es darum geht. ihm nachzufolgen. Nun ist das etwas anderes als die Lichter der Werbung, die fest an den Fassaden angebracht sind oder zusammen mit dem Licht der Zerstreuung von Bildschrimen und Leinwänden flimmern. Es ist auch etwas anderes als das Licht der Sonne und Gestirne, die wie ein Uhrwerk (oder noch konstanter als jedes Uhrwerk) ihre Bahn ziehen.

Dieses Licht bewegt sich unberechenbar. Es blitzt irgendwo auf und ist im nächsten Moment schon wieder woanders. Vorzugsweise da, wo man es nicht vermutet. Das einzige, was man tun kann, ist, es nicht mehr aus den Augen zu lassen, wenn mal es einmal entdeckt hat. So wie diese Katzen den roten Punkt des Laserpointers.

Bestimmt findet mancher das Bild zu verspielt. Aber wer sagt eigentlich, dass Gott nicht auch mal spielt?

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Das sündige Haar in der wohltätigen Suppe

Stefan Klein schreibt in seinem neuen Buch Der Sinn des Gebens vom Streit der Verhaltensforscher über egoistische und altruistische Motivation. Uneigennütziges Verhalten wurde so lange angezweifelt und spekulativ hinterfragt, bis es endlich auch egoistisch erschien. Verdächtig war dabei vor allem, wenn die Leute das Gute gern taten. Klein zitiert einen Evolutionsbiologen, der sagt: „Kratze einen Altruisten und du siehst einen Heuchler bluten.“ Letzten Endes, unterstellen die Zyniker, sei es selbst jemand Mutter Theresa nur um sich und die eigenen Vorstellungen und Werte gegangen – am Ende will sie ja auch nur in dem Himmel kommen.

Mich hat die Diskussion daran erinnert, wie im Spätmittelalter und während der Reformation darüber nachgedacht wurde, ob in einem sündigen Menschen denn etwas Gutes stecken könnte, oder ob nicht gerade die vordergründig guten Taten nur die allerraffinierteste Verkleidung menschlicher Gottlosigkeit seien. Die Argumente gleichen sich doch stark, auch wenn damals natürlich menschliche Schuld und Erlösungsbedürftigkeit bewiesen und Heilsgewissheit erreicht werden sollte. Die anderen hängen nicht dem Dogma von der völligen Verkommenheit des Menschen, sondern Herbert Spencers liberaler Idee vom Survival of the Fittest an – und leiten daraus alle möglichen anderen „natürlichen“ Verhaltensweisen ab.

Dann musste ich an den barmherzigen Samariter denken und wie Jesus keine Anstalten unternahm, dessen Motivation zu sezieren und ein sündiges Haar in der wohltätigen Suppe zu suchen. Der Mann hat einfach das richtige getan. Und Jesu Fazit lautet: Mach es ihm nach.

Klein sagt, die Frage nach der Motivation lässt sich gar nicht schlüssig beantworten. Die Menschen, die (manchmal sogar heldenhaft) selbstlos handeln, wissen oft selbst nicht genau, warum sie das tun. Vielleicht ist das auch gut so.

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