Ein junges Evangelium

Passend zu manchen Diskussionen der letzten Wochen und Monate stieß ich heute auf diese Präsentation zur Frage, wie die derzeit umlaufenden Versionen des Evangeliums auf junge Erwachsene wirken und was ihr Interesse wieder wecken könnte – danke an Krish Kandiah für den Hinweis!

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Die Krise hinter der Krise

KugelDer renommierte italienische Denker Giorgio Agamben spricht im Interview mit der Feuilleton der FAZ über divergierende Vorstellungen eines gemeinsamen Europas. Deutschland als derzeit prägende Kraft in der EU ist aus seiner Sicht unfähig, „ein Europa zu denken, das nicht allein auf Euro und Wirtschaft beruht.“ Was die gegenwärtige Regierungskoalition angeht, sicher ein Volltreffer.

Die Reduktion auf die Ökonomie überdeckt, dass die eigentlich nötige demokratische Legitimierung europäischer Politik immer noch fehlt und dass entscheidende Dimensionen des Zusammenlebens auf der Strecke bleiben, die Europa einzigartig machen, zum Beispiel ein ganz bestimmtes Bewusstsein von Kultur und Geschichte – die Vielfalt der Lebensformen ist bedroht:

Im Mittelalter wusste man wenigstens, dass eine Einheit verschiedener politischer Gesellschaften mehr bedeuten muss als eine rein politische Gesellschaft. Damals suchte man das einigende Band im Christentum. Heute glaube ich, dass man diese Legitimation in Europas Geschichte und seinen kulturellen Traditionen suchen muss. Im Unterschied zu Asiaten und Amerikanern, für die Geschichte etwas ganz anderes bedeutet, begegnen Europäer ihrer Wahrheit immer im Dialog mit ihrer Vergangenheit.

Dabei verdeckt, sagt Agamben, vor allem die permanente Krisenstimmung, wo überall nach fragwürdigen Kriterien über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden wird, und wem das letztendlich nützt. Über diesen Gedanken, dass wir alle unter dem Diktat ökonomischer Zwänge zusehends entmündigt werden, lohnt es sich nun wirklich eine Weile nachzudenken:

Heute ist die Krise zum Herrschaftsinstrument geworden. Sie dient dazu, politische und ökonomische Entscheidungen zu legitimieren, die faktisch die Bürger enteignen und ihnen jede Entscheidungsmöglichkeit nehmen. In Italien sieht man das deutlich. Hier hat man im Namen der Krise eine Regierung gebildet und Berlusconi wieder an die Macht gebracht, obwohl das grundlegend dem Willen der Wähler widerspricht. Diese Regierung ist ebenso illegitim wie die sogenannte europäische Verfassung. Die europäischen Bürger müssen sich klarmachen, dass diese unendliche Krise – genau wie der Ausnahmezustand – mit der Demokratie inkompatibel ist.

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Ketzervergleich

Brandan Robertson, der mit seinem Blog Revangelical daran arbeitet, die evangelikale Bewegung in den USA vom neoreformierten Fundamentalismus (oder wie auch immer man das bezeichnen mag) zu lösen, hat einen sehr interessanten Blogpost über C.S. Lewis geschrieben, in dem er Lewis‘ theologische Positionen beleuchtet und nebenbei Vergleiche zieht zu N.T. Wright, Rob Bell und Brian McLaren, die von vielen Rechtsevangelikalen wie Al Mohler derzeit mit allerlei Polemik überzogen werden.

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Der Post ist mit Lewis-Zitaten gespickt und allein deswegen schon sehr interessant zu lesen. Das Fazit lautet:

Bei einem Durchgang durch eine kurze Liste von Lewis-Zitaten können wir sehen, dass Lewis nicht glaubte, die Bibel sei unfehlbar, dass er es für möglich hielt, dass es universales Heil (Allversöhnung) geben könnte, dass er an die Evolution glaubte, dass er der Ansicht war, menschliche Sprache könne Gott nicht beschreiben, dass er an ein Fegefeuer glaubte und dass er die evangelikale Anschauung ablehnte, das Evangelium sei gleichbedeutend mit der Lehre vom stellvertretenden Strafleiden.

Obwohl Lewis mehr „Ketzereien“ verzapfte als seine aktuellen Nachfahren, wird er bis heute in vielen konservativen Institutionen gelesen und verehrt. Robertson fragt nun, ob sich daraus nicht auch die Möglichkeit ergibt, anderen mit derselben Aufgeschlossenheit zu begegnen. Die entsprechende Weite war also schon einmal da, sie ist auch für Evangelikale grundsätzlich möglich, die Tendenzen der Abschottung sind weder logisch noch notwendig (freilich werden die richtigen Hardliner nun wohl eher auf Lewis losgehen als ihre Engführungen in Frage zu stellen).

Insofern hat es doch etwas Erfrischendes und Mutmachendes, in den mal mehr, mal weniger radikalen Lewis-Zitaten zu stöbern.

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Die Verklärung des Gestrigen

Kaum etwas kann peinlicher sein als die Revolution von vorvorgestern. Aktuell ist im Bereich einiger Burschenschaften abzulesen, wie aus einer einst revolutionären Bewegung ein reaktionärer, exklusiver Haufen geworden ist, der an überholten Idealen (hier: Volk und Rasse) festhält, die nun wirklich keinen positiven Beitrag zum gesellschaftlichen Leben mehr darstellen.

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In Frankreich erschoss sich diese Woche ein bekannter Rechter am Altar von Notre Dame, während 1.500 Besucher die Kathedrale besichtigten. Vor einer Weile hatte er neue Formen des Protestes gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften angekündigt. Sein Land hat sich anscheinend so verändert, dass er es nicht mehr miterleben will, nun soll wohl sein Tod genug Aufruhr schüren, dass andere die Rolle rückwärts schaffen. Sogar Marine Le Pen von der FN fand es inzwischen opportun, sich zu distanzieren.

Zugegeben, das sind sehr extreme Beispiele, aber diese Radikalisierungen finden derzeit eben mehrheitlich im konservativen Spektrum statt. Oft genug funktioniert die Logik des Konservativismus nach dem Motto: „Prüft das Gute, aber behaltet alles.“ Erst einmal muss alles Vertraute und Bewährte gesichert werden, Neues hingegen darf das Bestehende nicht zu sehr erschüttern – und ein Umbruch wird nur unter großen Schmerzen erduldet. Zwischenzeitliches Chaos birgt keine Chance zum Guten, es ist also tunlichst zu vermeiden.

Wie man dagegen mit Traditionen richtig umgeht und das Erbe der Väter richtig ehrt – ganz ohne Kulturkampfgehabe – zeigt Martin Buber. Über die Leistungen der Menschen vor uns schreibt er, und meint damit auch und gerade Glaubensgemeinschaften mit ihrer Neigung, das Gestrige zu verklären:

Wir sollen es [ihr Werk] verehren, wir sollen davon lernen, aber wir sollen es nicht nachmachen. Was Großes und Heiliges getan worden ist, ist für uns beispielhaft, aber es ist kein Modell, das wir nachzuzeichnen hätten. Wie Geringes wir auch zustande zu bringen vermögen, wenn wir es an dem Maße der Taten der Väter messen, es hat seinen Wert darin, dass wir es aus eigner Art und eigner Kraft zustande bringen.

… Dieses Einzige und Einmalige ist es, was jedem vor allem auszubilden uns ins Werk zu setzen aufgetragen ist, nicht aber, noch einmal zu tun, was ein anderer, und sei es der größte, schon verwirklicht hat.

Das Befreiende an diesen Gedanken ist, dass es den einzelnen, aber auch eine ganze Gemeinschaft, dazu befreit, sich weder im Positiven noch im Negativen durch Vergleich oder Kontrast zum Früheren zu definieren. Weder muss ich den anderen alles nachmachen, noch muss ich um jeden Preis alles anders machen. Ich kann vielmehr fragen, was das eine ist, das ich gerade hier und jetzt beitragen kann. Und eben darin bleibe ich dem Geist treu, der die Mütter und Väter schon inspiriert hat, das Ihre zu tun.

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Tod einer Subkultur?

Schon vor ein paar Monaten fragte Tony Campolo in diesem Blogpost, ob der Evangelikalismus vor der Spaltung stünde. Die Differenzen sieht er in der Frage nach dem sozialen Engagement in der Gesellschaft vs. einer Ausrichtung auf das ewige Heil (und die zu dessen Erlangung nötige Moral!), im strengen oder weniger streng wörtlichen Bibelverständnis, in Fragen der Liturgie und in der unterschiedlichen Haltung zur Politik der republikanischen Partei.

Nun hat Roger Olson in einem ausführlichen Artikel erläutert, dass es die evangelikale Bewegung nicht mehr gibt, nur noch ein evangelikales „Ethos“. Theologisch ist der Dialog zwischen den unterschiedlichen Richtungen, die sich in den letzten 20 Jahren entwickelt haben, praktisch zum Erliegen gekommen. Konkret nennt er

  • die Neofundamentalisten, etwa der Gospel Coalition (dt: Evangelium 21)
  • eine Mittelpartei, deren Sprachrohr Christianity Today ist (das wäre in Deutschland vielleicht „Aufatmen“)
  • und schließlich postkonservative Evangelikale (z.B. Scot McKnight, Frost und Hirsch wären sicher auch in dieser „Schublade“)

Das evangelikale Ethos besteht für Olson – stichwortartig formuliert – aus Bibelfrömmigkeit, Bekehrungsglauben, Kreuzestheologie und sozialem/missionarischem Aktivismus plus einer hohen Achtung der reformatorischen Tradition. Es reicht aber nicht mehr aus, um einheitlich in der Öffentlichkeit aufzutreten oder sonst irgendwie an einem Strang zu ziehen.

Zuletzt hat sich nun Rob Bell zu den Wandlungen und Spannungen geäußert. In einem Interview bei der Grace Cathedral in San Francisco sagte er:

Ich denke, wir sind Zeugen des Todes einer bestimmten Subkultur, die nicht funktioniert. Ich denke, es ist eine sehr enge, politisch verfilzte, kulturell abgeschottete evangelikale Subkultur, der man gesagt hatte „wir verändern das Ding“, aber es kam anders. Und das hat viele Leute abgeschreckt. Und ich denke, wenn man einer Subkultur angehört, die im Sterben liegt, macht man viel mehr Lärm, weil es so weh tut.

Entweder stirbt man, oder man passt sich an. Und wenn man sich anpasst, bedeutet das, dass man sich der Art und Weise stellt, wie wir über Gott geredet haben, und die Menschen eigentlich nicht liebevoller und barmherziger hat werden lassen. Wir haben politische Maßnahmen und Weltbilder gefördert, die in Wahrheit destruktiv sind. Und wir haben das im Namen Gottes getan und müssen uns davon abwenden.

In Deutschland ist die Lage anders und überschaubarer, aber eben nicht völlig anders. Sterbe- und Anpassungsprozesse gibt es auch hier. Wie die jedoch verlaufen, das wird eine spannende Frage sein in den nächsten Jahren.

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Wenn Schweigen nicht weiter hilft

Und noch eine Gesprächsrunde mit Miroslav Volf in Berlin. Viele spannende Fragen wurden aufgeworfen. Zwischendurch spricht einer aus der Runde die demnächst zu erwartende Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften an und bemerkt, dass viele Christen gar keine Stellung nehmen und dass die wenigen konservativeren Stimmen, die öffentlich sagen, dass sie da nicht mitkönnen, in den Medien heftig Prügel beziehen. Wie sollten sich Christen in dieser Situation verhalten?

Es war nicht die Frage nach der „richtigen“ und der „falschen“ Position, sondern eher das Erschrecken über die Sprachlosigkeit in einer Frage, die gerade ganz Europa (und die USA) bewegt: Kürzlich berichtete SPON, dass laut ARD Deutschlandttrend sogar die Mehrheit der CSU-Anhänger für die „Homo-Ehe“ sei. Die Parteiführung positioniert sich (momentan – das muss man bei Horst Seehofer ja immer einschränkend dazu sagen) jedoch dagegen, mit Rücksicht auf ihre konservativeren Wähler. Wohl um zu verhindern, dass diese an der schwankenden Haltung der Union verzweifeln, hat es CSU-General Dobrindt dann auch gleich wieder in gewohnter Manier krachen lassen. Den Satz mit der „schrillen Minderheit“ hat er wohl beim politischen Aschermittwoch nicht mehr im Manuskript unterbringen können (nebenbei ist eine ganz eigene Problematik dabei in der katholischen Kirchen entstanden, wie dieser Artikel von David Berger bei Zeit Online zeigt).

In der Gruppe ließ sich das Ganze nicht mehr ausdiskutieren, auch nicht die verschiedenen Ausgrenzungstendenzen, die es allerorts befördert. Nachdem unser Oberthema jedoch die Versöhnung war in diesen Tagen habe ich mich gefragt, ob es nicht ein echter Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion wäre, wenn Christen ihre unterschiedlichen Positionen untereinander in aller Offenheit, mit der angemessenen intellektuellen Redlichkeit und Sorgfalt und in versöhnlichem Ton diskutieren könnten, ohne dass der Konservative gleich als „homophob“ betitelt wird und ohne dass der Progressive (ich weiß, die Kategorien sind unbefriedigend) sich anhören muss, er habe die „biblische Wahrheit“ verraten.

Die Differenzen in der Sache werden wir damit ziemlich sicher nicht lösen, aber vielleicht braucht unsere Gesellschaft auch viel dringender ein Modell, wie man Streitfragen respektvoll behandelt, als eine „richtige“ Antwort, mit der man gleich wieder siegesgewiss auf andere losgehen kann? Mehrheitsbeschlüsse sind eine Sache, die andere ist, wie man einen Raum schafft, in dem ein echter Konsens entstehen kann, wenn der bisherige nicht mehr trägt. Und hoffentlich gelingt das dann besser als Dobrindt und Seehofer das in bewährt taktierender good-cop/bad-cop-Manier derzeit vorführen, weil mal wieder Wahlen anstehen.

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Soziale Netze: Wie man schlank und glücklich wird

Facebook verursacht bei vielen schlechte Laune, war jüngst zu lesen. Andere posten dort bevorzugt Nachrichten über ihre Erfolge und Fotos von exotischen oder exklusiven Urlaubsorten, und bei genug Freunden ist immer jemand irgendwo, wo es schön ist und irgendwem gelingt immer etwas Außergewöhnliches.

Wer sich dann vergleicht, hat schon verloren: Er wird unzufrieden mit sich selbst und neigt in der Folge dazu, die schönen Seiten des eigenen Lebens in ein besonders vorteilhaftes Licht zu rücken, um mithalten zu können mit dem zur Schau gestellten Glück der anderen. Und weil viele dieser Tendenz erliegen, dreht sich die Spirale der Differenz zwischen real erlebter Existenz und Facebookfassade immer weiter. So berichten es Wissenschaftler der Humboldt-Uni Berlin und der TU Darmstadt.

Aber es gibt nicht nur Schlechtes zu vermelden über soziale Netzwerke: Wer zu seiner Diät nebenher twittert, der nimmt zuverlässiger ab, das hat Gabrielle Turner-McGrievy ermittelt. Twittern macht also schlank! Facebook dagegen hat keine positiven Folgen für Abnehmwillige. Vermutlich ist schürt es, nach allem was wir inzwischen wissen, den Hang zum Frustessen.

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Fieser Vergleich?

Die Empörung kam bei mir zuerst an: Prominente Evangelikale reagierten verärgert über ein Interview in Christ und Welt, in dem der Wiener Religionswissenschaftler Rüdiger Lohlker Salafisten als „Evangelikale des Islam“ bezeichnete. Ob es so geschickt war, dies auch gleich zur Überschrift zu machen, ist die eine Frage. Die andere ist, ob hier schlicht unverantwortlich geschrieben und verglichen wird. Ein Leserkommentar beim Pro Medienmagazin fordert auch prompt die Bastonade für den Provokateur. Sarkasmus?

Evangelikale hatten ja keine ganz schlechte Presse in letzter Zeit. Das Thema Christenverfolgung traf dieses Jahr auf deutlich positiveres Echo als früher, Aktionen zum Thema Menschenhandel wurden in den letzten Tagen sehr positiv kommentiert. Erfolgt nun ein Gegenschlag, ist das gar der Versuch einer erneuten Ausgrenzung? Ich war neugierig und habe nachgelesen.

Zunächst einmal wird der Salafismus beschrieben und erklärt, dass es eine quietistische, eine politische und eine militante Richtung gibt und vor allem letztere der Anlass war, diese Strömung zum Feindbild umzufunktionieren. Dabei sei der Salafismus erst einmal eine weltweite Frömmigkeitsbewegung. Und genau an diesem Punkt – weltweite Frömmigkeitsbewegung – zieht Lohlker nun den Vergleich, von dem er schon ahnt, dass er Empörung auslösen wird, und den er selbst gleich vorab als „überspitzt“ bezeichnet und damit auch schon ein Stück relativiert.

Er führt die Parallelen dann weiter aus: Bekehrungserlebnisse und Erweckungserfahrungen, bewusste Glaubensentscheidung, konservative Kritik an der Moderne, die sich der neuen Medien bedient, eine Art Gleichheitsideal wie das „Priestertum aller Gläubigen“ – und das war es auch schon. So weit ich das beurteilen kann, ist das als Beschreibung des Evangelikalismus (so uneinheitlich dieser auch ist) weder falsch noch gehässig.

Richtig auf die Barrikaden gehen müssten auch die Kirchen der Reformation, wenn Lohlker später Parallelen zu Luther und Calvin zieht und den Reformatoren das Anliegen zuschreibt, die Religion durchaus mit einem gewissen Eifer von Verweltlichung reinigen zu wollen. Endgültig entfallen schließlich alle Vergleiche zu irgendwelchen christlichen Richtungen der Gegenwart, wenn es um das Bild eines strafenden und verbietenden Gottes geht (dazu wären nicht nur mir durchaus noch einzelne Stimmen eingefallen…) und um gewaltbereite Anhänger.

Mein persönlicher Eindruck ist, dass Lohlker hier nicht Evangelikale mit Salafisten vergleicht, sondern Salafisten mit Evangelikalen und Reformatoren. Das ist insofern ein Unterschied, als er damit voraussetzt, dass Evangelikale erstens bekannt und zweitens in Kirche und Gesellschaft integriert sind, und mit dem Vergleich für mein Empfinden zeigen möchte, dass Salafismus (wie Evangelikalismus auch) nicht zum Schreckgespenst taugt, dass es sogar denkbar ist, dieser ambivalenten Bewegung vielleicht konstruktiver zu begegnen, als es bisher gelungen ist.

In einem Atemzug mit Salafisten genannt zu werden, ist natürlich schon deshalb für niemanden schmeichelhaft, weil das stereotype Feindbild des bombenwerfen Bartträgers sich bei uns schon so festgesetzt hat. Wenn die Aufregung nun dazu führt, dass Evangelikale sich gegenüber Muslimen im Allgemeinen und Salafisten im Besonderen um größtmögliche Differenzierung und Fairness bemühen (und etliche, wenn auch nicht alle, tun das ja längst!), dann hätte das auch etwas Gutes für unsere Gesellschaft und auf längere Sicht auch für die ersehnte und nachhaltige Wahrnehmung evangelikaler Christen als einer Gruppe, die den gesellschaftlichen Frieden fördert.

Nachtrag: Michael Diener antwortet auf Christ und Welt mit diesem Artikel. Die innerevangelikalen Spannungen und Akzentverschiebungen aus jüngerer Zeit diskutieren Andreas Malessa und Michael Diener in diesem Beitrag auf hr2, der auch Stimmen aus den Landeskirchen sammelt. Unter anderem kommt auch EKD-Präses Nikolaus Schneider zu Wort.

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Das missbrauchte Massaker

Kann man so jemand noch ernst nehmen? Wenn ja, dann darf man ihm das nicht ohne Widerspruch durchgehen lassen: Der religiöse Rechtsaußen James Dobson wendet einen beliebten Trick an, den wir schon aus anderen Zusammenhängen kennen (Nero und der Brand von Rom, Goebbels und das Feuer im Reichstag von 1933):

  • Man nehme eine Katastrophe, die die Gemüter bewegt (hier: das Blutbad von Sandy Hill)
  • Man finde jemanden, mit dem man noch eine Rechnung offen hat (hier: die pluralistische Gesellschaft, die Demokratische Partei, liberales Christentum)
  • Man behaupte einen direkten Zusammenhang zwischen der Katastrophe und dem Verhalten der Gegner (hier: Gottes Gericht für deren Sünden, namentlich die Abtreibungsgesetze und die Relativierung der Ehe von Mann und Frau)
  • Man achte darauf, dass die wahren Hintergründe (z.B. die irrationale Besessenheit der eigenen Nation von Waffen und Gewalt) und die mögliche eigene Verstrickung (mit der Waffenlobby hat Dobson sich m.W. nie angelegt) darin tunlichst im Dunkel bleiben

Dobson nutzt die Katastrophe, um sich in der eigenen Selbstgerechtigkeit zu bestärken und die anderen so schlecht wie möglich zu machen. Er kritisiert, was er schon immer kritisiert hat und beschuldigt die, die er schon immer beschuldigt hat, nur jetzt mit apokalyptischen Obertönen. Unter den Kommentaren zu dieser Meldung fand ich ein schönes Zitat von Anne Lamott:

“You can safely assume you’ve created God in your own image when it turns out that God hates all the same people you do.”

Leider muss man fürchten, dass Dobson nicht der einzige ist, der auf diesen plumpen Mechanismus der Projektion hereinfällt. Zu viele Leute suchen nach einem Blitzableiter für ihren Frust und ihre Verbitterung und fragen nicht lange, wenn man ihnen ein „geeignetes“ Ziel präsentiert. Und manche von denen besitzen Schusswaffen…

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Schnuckeliger #

Hoffen wir doch mal, dass dieser Trend bei der Namensgebung von Kindern aus dem angelsächsischen Sprachraum bei uns nicht durchsetzt: Die SZ berichtet

Ende November soll in den USA die kleine „Hashtag“ geboren worden sein. „Sie wiegt acht Pfund, und ich liebe sie so sehr!“, schreibt die Mutter des Mädchens auf ihrer Facebook-Seite.

Andere Kinder heißen Mac und Siri, oder die Eltern haben sich in den Klatschspalten („Pippa“) oder bei garantiert nobelpreisunverdächtiger Literatur wie Shades of Grey bedient. Kann gut sein, dass die ihren Eltern irgendwann einen Schatten attestieren für diese Entscheidungen.

Wieder andere heißen – immer mit Vornamen! – Reagan, Carter oder Lincoln, bei uns kämen dafür analog Kohl, Schröder oder Heinemann in Frage.

Was ganz nebenbei die Frage aufwirft: Wäre „Merkel“ nun ein Jungen- oder ein Mädchenname?

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Die Ohnmacht der Mächtigen

201211261137.jpg Das Emergent Forum am kommenden Wochenende steht unter dem Motto „Die Macht der Ohnmächtigen“ und unser Basistext wird das Magnificat sein. Aber die Perspektive lässt sich auch umdrehen. Zwar haben viele Mächtige nicht nur alle möglichen Annehmlichkeiten, sie können ihre Position auch benutzen, um Kritikern und Konkurrenten das Leben schwer zu machen.

Ob das allerdings bedeutet, dass sie frei sind, steht auf einem ganz anderen Blatt. Denn das System, dem sie ihre Macht verdanken, lässt ihnen keineswegs unbeschränkte Freiheit. Sie können im Grunde nur systemkonform handeln: materielle und finanzielle Vorteile mitnehmen, sich gegen Kritik immunisieren, Lob und Schmeicheleien entgegennehmen, Sanktionen verhängen.

Dagegen wird es immer schwerer, sich den gedanklichen Zwängen des Systems zu entziehen, die Wirklichkeit ohne die alten Filter und Schablonen wahrzunehmen, die eigene Identität zu unterscheiden von der gesellschaftlichen Funktion und die Verantwortung für sein geborgtes Reich wieder loszulassen. Das gelingt nur wenigen. Viele verschmelzen mit ihrer Rolle. Ihre Entscheidungen haben nichts Individuelles mehr an sich, sondern sie werden von „Sachzwängen“ diktiert. Jede(r) andere hätte an ihrer Stelle mehr oder weniger dasselbe getan. Nicht systemkonform zu agieren würde dagegen in den meisten Fällen nicht zu einer Veränderung des Systems, sondern zum Verlust der Machtposition des Einzelnen führen. Extremstes Beispiel: Der Mafiaboss, der Abtrünnige nicht drakonisch bestrafen lässt, verspielt seine Autorität, die nämlich auf dem Schrecken beruht, den er verbreitet. Die Macht zu verzeihen hat er im Grunde gar nicht. Etwas banaler: In einem ausbeuterischen Wirtschaftssystem mit gnadenloser Konkurrenz hat auch ein wohlwollender Chef nur begrenzte Spielräume für höhere Löhne. Angela Merkel gilt als die mächtigste Frau der Welt, aber zum Regieren braucht sie Horst Seehofer und die FDP…

Auf einer etwas simpleren Ebene finden wir diesen Unterschied schon zwischen Kindern und Eltern. Vermutlich träumt jedes Kind, dem die Eltern gerade etwas verbieten, davon, dass es irgendwann groß ist und endlich tun kann, was es will. Ist es dann so weit, stellt der Mensch fest, dass diese Freiheit nur eine theoretische ist: Erstens will man manche Dinge nicht mehr, die man als Kind noch toll fand, zweitens hat man mehr zu verlieren und mehr Verpflichtungen einzuhalten, und man weiß zudem, dass manche Wünsche beträchtliche unerwünschte Nebenwirkungen hätten – für einen selbst oder für andere.

Oder zwischen Bürgern und Politikern: „Die da oben“ haben aus ihrer Sicht oft nur die Wahl zwischen größeren und kleineren Übeln. Große Würfe und rapide Veränderungen sind in den Gremien und der Öffentlichkeit selten durchsetzbar, der Handlungsspielraum nicht nur vom Geld begrenzt. Echte Querdenker schaffen es selten bis ganz nach oben und manche Ex-Idealisten werden nach dem erfolgreichem Marsch durch die Institutionen plötzlich zu konservativen Exponenten des Systems, das sie nun repräsentieren.

Um nicht missverstanden zu werden: Freilich sind die Mächtigen nicht keine „Opfer“, und sie bleiben stets verantwortlich für Ihr Tun und Lassen. Aber damit jemand bereit ist, sich gegen das System zu wenden und zum Märtyrer zu werden, muss er von der Alternative wirklich überzeugt sein. Man braucht etwas Größeres, wofür zu „sterben“ (sprich: seinen guten Ruf, seine Karriere, seine Bequemlichkeit etc. zu opfern) sich lohnt. Und man braucht Menschen um sich her, die das mittragen.

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Die Trübsalblase

Eine Ursache der Wahlniederlage von Mitt Romney – oder besser: der Tatsache, dass sie seine Anhänger kalt erwischte – war die Eigendynamik des Medienkonsums im republikanischen Lager, zu dem unglücklicherweise auch viele konservative Christen gehören. Auf Politico beschreibt Jonathan Martin deren selbstgestrickten Medienkokon mit seinen Filtermechanismen so :

Facebook and Twitter feeds along with email in-boxes have taken the place of the old newspaper front page, except that the consumer is now entirely in charge of what he or she sees each day and can largely shut out dissenting voices. It’s the great irony of the Internet era: People have more access than ever to an array of viewpoints, but also the technological ability to screen out anything that doesn’t reinforce their views.

Nun bekommt diese Parallelwelt erste Risse. freilich werden ihre Bewohner nicht gleich ausziehen. Manche wehren sich mit Händen und Füßen dagegen.

Bange Frage: Muss ich ab jetzt auch immer Welt Online (oder alternativ Jan Fleischhauers rabenschwarze Spiegel-Kolumne) lesen, um nicht derselben Problematik zu erliegen? Erhellendes dazu liefert glücklicherweise der Postillon.

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Zum Heulen…

Nach der verlorenen Wahl herrscht trübe Stimmung bei den US-Republikanern. Romney – jetzt darf er ja – klagt schon wieder über die ominösen 47% seiner Landsleute und der Rest der Garde findet, das ist nicht mehr ihr gutes, altes Amerika, wenn eine Wahl so ausgehen darf. So viel Selbstmitleid ist ein gefundenes Fressen für Comedians wie Jon Stewart, der gleich eine kleine, aber sehr feine Geschichtsstunde draus macht:

In der Zwischenzeit macht sich Jim Wallis hier Gedanken darüber, dass „evangelikal“ nicht mehr automatisch synonym ist mit der Religiösen Rechten. Bis die Erkenntnis sich durchsetzt, wird es aber vermutlich noch dauern.

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Wohin mit ihm?

Der Evening Standard beleuchtet den Hintergrund des neuen Erzbischofs von Canterbury, Justin Welby. Er wird als neues „Alphatier“ der Anglikanischen Kirche betitelt, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Umbruch vom Ölmanager zum Theologen erfolgte, während er dort Gemeindeglied und ehrenamtlicher Mitarbeiter von Holy Trinity Brompton (bekannt für „happy clappy services“ und „squeaky clean living“, wie der Autor süffisant anmerkt) war – und dort an einem Alpha-Kurs teilgenommen hatte.

Aber es scheint nicht so leicht zu sein, den Neuen in eine bestimmte Schublade zu stecken. Für die einen ist er ein „posh Evangelical“ (nicht postevangelikal!), für ganz Konservative ist er womöglich aber schon wieder zu liberal, weil er Frauen ordiniert, demnächst wohl auch die erste Bischöfín der C of E.

(Nachtrag: vom Duktus her ganz ähnlich ist dieser Beitrag im Guardian)

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