Allianzgebetswoche 2016: Jesus, zwei Brüder und die Spaltung

„Ein Mensch hatte zwei Söhne“. So kurz und unspektakulär fiel der Predigttext zum Auftakt der Allianz-Gebetswoche dieses Jahr aus. Und lenkte damit meinen Blick auf ein paar Zusammenhänge, die das fast schon abgedroschene Gleichnis von verlorenen Sohn in einem neuen Licht erscheinen lassen.

Jesus erzählt hier nämlich keine neue Geschichte, und auch keine erfundene Geschichte, sondern er erzählt alte Geschichten neu. Es gibt ja schon eine biblische Geschichte von zwei Brüdern, von denen der jüngere in die Fremde zieht und dort ausgebeutet wird, bis er irgendwann reumütig zurückkehrt und überraschend freundlich aufgenommen wird. Es ist die Geschichte von Jakob, dem Stammvater Israels, und seinem Bruder Esau.

Aber damit nicht genug. Dass hier nicht „ein Vater“ sondern „ein Mensch“ steht, kann man als Hinweis auf die biblische Urgeschichte lesen. Adam – der Mensch – hat zwei Söhne: Kain und Abel. Der Ältere denkt, dass ihm der Jüngere vorgezogen wird, aus gekränktem Stolz wird Zorn, Hass und Gewalt, der Bruder wird zum Feind, und schließlich wird Kain verstoßen und zieht in die Fremde.

Jesus spricht in diesem Gleichnis von Israel. Israel ist Gottes Sohn, aber er benimmt sich nicht wie ein Sohn und verlässt seinen Vater. In Jeremia 2,13f heißt es: “Denn mein Volk hat doppeltes Unrecht verübt: Mich hat es verlassen, den Quell des lebendigen Wassers, um sich Zisternen zu graben, Zisternen mit Rissen, die das Wasser nicht halten. Ist Israel denn ein Knecht oder ein im Haus geborener Sklave?“ Und etwas später sagt der Prophet: „Wie ihr mich verlassen und fremden Göttern in eurem Land gedient habt, so müsst ihr Fremden dienen in einem Land, das euch nicht gehört.“ Niemand anders als Israel ist der Sohn, der den Vater verlässt, und deshalb in der Fremde und in der Knechtschaft landet.

Die Erwartung zur Zeit Jesu war, dass die verheißene Erlösung aus der Knechtschaft und die Rückkehr aus der Fremde wenn überhaupt, dann bestenfalls unvollständig eingetreten war. Wenn Jesus vom Kommen des Reiches Gottes spricht, dann spricht er diese Erwartung an. Und sein Ruf „kehrt um“ kann im Hebräischen auch „kehrt zurück“ heißen. Wenn sein Reich anbricht, dann sammelt Gott sein Volk und stellt es wieder her.

Jesus beschreibt in diesem Gleichnis, wie sich unter dem Eindruck seiner Verkündigung eine Spaltung vollzieht: Die einen gehen dankbar und freudig überrascht auf seine Einladung ein (wohl wissend, dass sie nichts vorzuweisen haben), die anderen sehen ihre privilegierte Stellung in Gefahr, weil Jesus in ihren Augen die falschen Leute einlädt und die Einladung an falsche oder unzureichende Bedingungen knüpft. Jesus ist also der nachgiebige Vater, der seinem zerlumpten Sohn entgegenrennt und auf jede autoritäre Pose und jedes tadelnde Wort pfeift.

Der Vater hat sich entschieden, das Fest ist schon im Gang. Am Ende der Geschichte steht eine offene Frage an den älteren Sohn: Kommt er doch noch zum Fest oder bleibt er draußen, weil ihm die Gästeliste nicht passt?

Das Schöne an Gleichnissen ist, dass man durch sie den eigenen Lebenskontext betrachten kann. Wir Deutsche befinden uns in einer Situation, in der statt des Vaters „Mutti“ sich bittere Klagen anhören muss, weil sie zu viele und viel zu fremde Menschen an unseren reich gedeckten Tisch eingeladen hat. Auch da hat sich im vergangenen Jahr eine tiefe Spaltung offenbart.

Spaltung ist auch das Stichwort im Blick auf die Evangelische Allianz selber. Symbolisiert wird das durch zwei „Brüder“: Michael Diener, der in einem Interview mit der „Welt“ sagte, er achte und betrachte auch diejenigen als Brüder und Schwestern, die seine (konservative) Position im Hinblick auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht teilen. Und (tatsächlich der Ältere…) Ulrich Parzany, der sich nur denen verbunden fühlt und über den Weg traut, die sich von denselben Leuten distanzieren und fern halten wie er selbst.

Aktueller könnte die Textbasis dieser Gebetswoche doch gar nicht sein!

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3 Antworten auf „Allianzgebetswoche 2016: Jesus, zwei Brüder und die Spaltung“

  1. Hallo Peter,
    erstmal vielen Dank für diese fein- und scharfsinnigen Beobachtungen.

    Immer, wenn ich diese Seite aufrufe, startet automatisch das Video mit der Bundeskanzlerin, die sagt, ob das noch ihr Land ist, aus dem „Liebes Europa“-Text. Auf einmal höre ich sie, während ich eigentlich z.B. diesen Text hier lesen wollte. Wollte es als Kommentar da anhängen, aber die sind da geschlossen. Darum hier, weil’s am schnellsten geht. Lässt sich das abstellen?

    1. Hm, ich müsste es entweder ganz löschen oder es erledigt sich von selbst, wenn der Post weiter nach unten rutscht, hinter den nächsten Umbruch. Was ist besser?

      1. Vielen Dank für die schnelle Reaktion.
        Im Moment weiß ich, wenn ich Deine Seite öffne, dass ich die Lautsprecher ausschalten muss.
        Andere Videos starten hier ja auch nur auf Klick. Aber wenn es zu dieser Aussage nur so ein Video gibt, warte ich gern ab, bis es hinter den Umbruch rutscht. Wäre sonst doch schade drum.

Kommentare sind geschlossen.