Vorra ist ein pittoresker kleiner Ort im Pegnitztal. Im Sommer machen Wanderer, Kletterer, Rad- und Kanufahrer dort Rast. Um die Dorfkirche stehen ein paar Läden und Wirtshäuser. Eins davon stand leer, dort sollten demnächst Flüchtlinge untergebracht werden. Es wurde letzte Woche angezündet, zusammen mit zwei weiteren Gebäuden im Ort, alle sind schwer beschädigt. Hakenkreuz-Schmierereien deuten auf rechtsextreme Täter hin, die Polizei ermittelt, noch ohne Ergebnis.
Gestern sammelten sich einige hundert Menschen am Bahnhof von Vorra, viele aus dem Ort und dem Umland: Ältere Menschen, Familien mit Kindern. Am Straßenrand parkt der Dienstwagen von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm neben dem Ü-Wagen des Bayerischen Rundfunks. Überall im Ort stehen Einsatzfahrzeuge der Polizei. Um 17:00 kommt die total überfüllte Regionalbahn aus Nürnberg an und Schwall überwiegend junger Antifa-Aktivisten quillt aus der Unterführung, mit Transparenten und Flugblättern ausgerüstet. Ab und zu skandieren Grüppchen kernige Parolen.
Eine Erklärung wurde vorgelesen, der Zug setzte sich in Bewegung Richtung Dorfkern; die einen schwiegen, die anderen riefen Sprüche und schwenkten Fahnen und Plakate. Neben mir lief eine Frau, die zu dem stattlichen Helferkreis gehörte, den der evangelische Pfarrer für die zu erwartenden Flüchtlinge ins Leben gerufen hatte. Wir kamen ein bisschen ins Gespräch über die gute Entwicklung und das jähe Entsetzen am Freitag, als das friedliche Vorra solch traurige Berühmtheit erlangte. Dass ich aus Erlangen gekommen bin, erstaunt sie. Ich dagegen finde, es hätten ruhig noch mehr Erlanger kommen können.
Der Zug steht vor dem Gasthof. In der Dunkelheit sieht man kaum Spuren des Feuers. Aber man ahnt, in welcher Gefahr sich auch die Anwohner im eng bebauten Dorfkern befanden. Wir hören noch eine Rede, spontaner Beifall kommt eher zu den Passagen auf, die weniger Antifa-Jargon enthalten. Ein paar versöhnliche Worte an alle, die heute den Schweigemarsch bevorzugt hätten. Dann dreht der Zug um und geht Richtung Bahnhof. Ich verabschiede mich von meiner Gesprächspartnerin. Für mich hat Vorra nun ein sympathisches Gesicht und sie weiß hoffentlich, dass wir die Bürger von Vorra nicht für Rassisten halten. Irgendwann, sagte sie, sind die Häuser fertig und alle Schäden behoben. Dann wird es wohl immer noch Bedarf an Wohnraum für Flüchtlinge geben.
Als ich mit diesem Lichtblick im Herzen zurück durch die dunkle Hersbrucker Schweiz fahre, höre ich im Radio: In Nürnberg hielt derweil die CSU ihren Parteitag ab. Also jene Partei, die wie keine andere im Bundes- und Landtag in so gut wie jeder Aussage, die sie öffentlich über Flüchtlinge und Zuwanderer macht, Begriffe wie „Belastung“; „Probleme und Risiken“, „Sorgen“, „Missbrauch“ und „Begrenzung“ unterbringt, bevor sie zwischendurch vielleicht auch mal etwas Nettes sagt oder ein Lippenbekenntnis zur Willkommenskultur ablegt. Die Partei, die sich nun, wie ich höre, fürchterlich missverstanden fühlt, weil Grüne und Linke das Offensichtliche aussprechen: Dass nämlich diese Taktik, mit solchen pauschalen Verdächtigungen und fein dosierten Ressentiments gegen Fremde eben jene rechten Wähler an sich zu binden, die ihr derzeit die absolute Mehrheit sichern, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der bürgerlichen Mitte wieder gesellschaftsfähig macht.
Und damit, dass sie Sorgen nicht entkräftet oder widerlegt, sondern unter dem Vorwand des „Ernstnehmens“ gezielt verstärkt, ist die CSU natürlich für die aktuelle Klimaverschlechterung mitverantwortlich, wie auch für deren mittelbare Folgen: Denn wenn in der vermeintlichen „Mitte“ immer öfter gesagt wird „ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, ABER…“, dann bleibt vor allem dieses große „Aber“ im Raum stehen. Und der Nachhall nutzt den Radikalen, die aus der Furcht und dem Ressentiment Hass erzeugen.
Keiner aus der Parteispitze machte sich an diesem Nachmittag auf den kurzen Weg flussaufwärts. Ob das feige war oder taktvoll (die Antifa-Fraktion hätte ein Auftritt von Seehofer, Herrmann oder Söder vermutlich erst so richtig in Fahrt gebracht), ist schwer zu entscheiden. Vielleicht sollte die nächste Demo vor der CSU-Zentrale stattfinden. Andererseits sollte man ihnen keine Chance geben, sich beim Stammtischpublikum als Opfer linker Intoleranz darzustellen.
Wir brauchen noch viel mehr Licht in diesem Land.