„Es wird regiert“

Dieser Satz ist ein berühmtes Zitat des großen Karl Barth aus der Zeit des kalten Krieges und eigentlich ein Ausdruck christlicher Hoffnung. Ich habe mich in einem ganz anderen Zusammenhang wieder daran erinnert, als ich nämlich letzte Woche durch einen Tipp vom Simon de Vries diese Analyse von Carolin Emcke fand, in der die Sprache von Angela Merkel scharfsinnig beleuchtet wird. Viele Beobachtungen, die ich bei Merkels Rede neulich hier in Erlangen machte, habe ich dort wiederentdeckt, nun aber an einer repräsentativen Auswahl von Merkeltexten verifiziert.

Ein Punkt, vielleicht der Wesentlichste, ist dabei das Verschwinden von Subjekt und Verantwortung, beziehungsweise dessen sprachliche Verschleierung. Emcke schreibt:

Nicht sie, die Bundeskanzlerin, ist es, die im Verbund mit Troika und den europäischen Regierungschefs Griechenland bestimmte fiskalische Vorgaben diktiert, sondern es ist der „Prozess aufeinanderfolgender Maßnahmen“. Diese gleichsam aus dem Nichts entstandenen Maßnahmen sind subjektlos und „alternativlos“. Politik ist in dieser Logik nur Exekution von Notwendigkeiten. Es ist bemerkenswert, wie oft eine Kanzlerin, die regelmäßig an „Freiheit in Verantwortung“ appelliert, Entscheidungen beschreibt, als ob sie weder Freiheit noch Verantwortung implizierten.

Es wird also regiert in Deutschland, und diesmal ist es kein Grund, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, denn gerade das, was Barth meinte, als er diesen Satz prägte, dass die Zukunft offen ist, weil Gott sie offen hält, und dass man sich aus den Denk- und Sachzwängen lösen kann, genau das verschwindet hier aus dem Blickfeld. Während sich also bei Barth das „es“ auf Gott und seine Möglichkeiten bezeigt, steht das „es“ bei Merkel für die unpersönlichen Notwendigkeiten ihres Pragmatismus.

Zygmunt Bauman merkt in seinem neuen Buch Collateral Damage: Social Inequalities in a Global Age kritisch an, dass viele Mächtige die negativen Folgen ihrer Entscheidungen für andere, vor allem Arme, damit herunterspielen, dass beim Hobeln eben Späne fallen – und dabei verschweigen, dass sie und niemand anders darüber entscheiden, zu wessen Lasten die vermeintlich not-wendigen „Maßnahmen“ konkret gehen.

Ebenso brisant, und kürzlich ebenfalls in Erlangen zu hören, ist das Merkel’sche Narrativ des 21. Jahrhunderts. Emcke fasst treffend zusammen, mit welchen dunklen Folien hier gearbeitet wird. Milliarden von Indern und Chinesen etwa wollen dem kleinen Deutschland seinen hart erarbeiteten Wohlstand streitig machen:

Die Schrecken der Globalisierung erzeugen das apokalyptische Narrativ, mit dem Angela Merkel erst Angst schürt, um sich sogleich als nüchterne, notwendige Rettung anzubieten. Der rhetorische Gestus der Kanzlerin, dieses Undramatische, kommt erst dann zur Geltung, wenn die historische Entwicklung besonders dramatisch gerät. Je uferloser und unkontrollierter die Kräfte der Globalisierung walten, je dynamischer und jünger Chinesen und Inder sind, je zügelloser die „Südeuropäer“ Regeln missachten, so die Logik des düsteren Narrativs, umso beruhigender, umso vertrauenserweckender die deeskalierende Erzählung der Kanzlerin.

Wenn wir also derart gehetzt werden, dann ist ja auch keine Zeit mehr für ausführliche Diskussionen (die heißen dann gern „akademisch“ oder „philosophisch“) über gerechte Teilhabe im Innern, über Bürgerrechte, Macht und Verantwortung, denn es müssen sich alle reinhängen und die Galeere aus der Sturmzone rudern. Und was könnte in einem solchen Inferno für unsere geplagten Gemüter tröstlicher sein als die Gewissheit, dass regiert wird…?

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