Ich habe diese Woche in Berlin ein paar Schlaglichter aus Rodney Starks Buch „The Rise of Christianity“ präsentiert, im Wesentlichen mit der Absicht, dass sie uns als Sehhilfe dienen für unsere Aufgaben heute. Der Länge halber teile ich das auf mehrere Posts auf, hier der erste Teil:
Stark (geb. 1934) ist kein Theologe, sondern Religionssoziologe. Er stammt aus einer lutherischen Familie, hat in Berkeley studiert, wurde dort promoviert und lehrte später Sozialwissenschaften an der Baylor-University. Er ist einer der wichtigsten Vertreter der „Rational Choice“-Theorie religiöser Bekehrung. Vor kurzen hat sein (mit einem gewissen Recht als „revisionistisch“ beschriebenes) Buch über die Kreuzzüge auch in Deutschland Aufsehen erregt.
Im seinem weniger verfänglichen Werk The Rise of Christianity nimmt Stark die Zeit der Alten Kirche unter die Lupe und fragt nach den Ursachen für deren bemerkenswertes Wachstum. Er beginnt mit einer experimentellen Rechnung: Bei einer vorsichtig geschätzten Ausgangszahl von 1.000 Christen im Jahr 40 ergäbe sich mit einer kontinuierlichen Wachstumsrate von 40% pro Jahrzehnt eine Zahl von
- 7.530 Christen für das Jahr 100 (0,0126% der Gesamtbevölkerung),
- 217.795 (0,36%) für das Jahr 200,
- 6.3 Millionen für das Jahr 300 (10,5%) und
- 33 Millionen (56,5%) für das Jahr 350.
Danach war ein solches Wachstum auch praktisch nicht mehr möglich. Man kenne, so Stark, ähnliche Wachstumsraten von religiösen Gruppierungen im 20. Jahrhundert. Das sind aber, wohlgemerkt, rein hypothetische Zahlen. Eine Art Plausibilitätsrechnung. Andererseits auch ganz befreiend, dass ein eher konstant-gemächliches Tempo im Vordergrund steht, hin und wieder wurden da ja schon ganz andere Kurven von Gemeindewachstum als Ziel ausgegeben.
Stark hält ein konstantes Wachstum für wesentlich plausibler als spontane und wundersame Massenbekehrungen, von denen außerdem keine Berichte existieren. Zudem zeigen diese Projektionen, dass die in ihrer Wirkung heftig diskutierte konstantinische Wende eher eine Folge des exponentiellen Wachstums der Christenheit war als deren Ursache: Der christliche Glaube war im 4. Jahrhundert längst auf dem Weg zum Massenphänomen. Der Kaiser sprang auf den fahrenden Zug auf, er schob ihn nicht an.
Was dieses Wachstum im Einzelnen beförderte, dazu demnächst mehr.
Stark hat die Fähigkeit, diese Problematik recht knapp und verständlich zu bündeln. Ich finde, er ist dabei auch wirklich ausgewogen und vermeidet Schlagseite. Christoph Markschies Vorlesung „Warum hat das Christentum in der Antike überlebt?“ gehört auch in diese Kategorie und finde ich noch besser.
Aber ungeschlagen und unersetzbar ist immer noch Harnacks „Mission and Ausbreitung des Christentums“ (?). Das ist einfach unglaublich, wie akribisch und scharf analytisch dieser schlussfolgert, herleitet und rekonstruiert. Es lohnt sich wirklich (!!) sich da durchzukämpfen. Das sich archäologisch die Faktenlage nur unwesentlich geändert hat, zeigt sich auch darin, dass Stark an dem Punkt Harnack nur wiederholen kann. Er ist auch für Stark noch die Hauptquelle.
Ja, Harnack ist der absolute Klassiker. Bei Stark sieht man vielleicht aktuelle Parallelen besser wegen des soziologischen Blicks