Seit ein paar Monaten treffe ich mich mit einer Gruppe, in der wir das Markusevangelium kapitelweise lesen. Je länger das geht, desto mehr begeistert mich das Ganze. So ein Kapitel ist zwar lang, aber man entdeckt Zusammenhänge, die einem beim Lesen der kleinen Abschnitte nie auffallen würden.
Diese Woche haben wir Markus 11 gelesen. Ein Kapitel voller merkwürdiger Ereignisse und Aussagen. Konkret sind wir an zwei Punkten hängen geblieben: Warum verflucht Jesus einen unschuldigen, harmlosen Feigenbaum und wie kann das bloß gemeint sein, dass alle Gebete erhört werden, wenn wir Gott vertrauen? Erinnert Letzteres nicht sehr an Janis Joplins bissige Kritik?
Die Lösung fanden wir beim Propheten Habakuk, der eine apokalyptische Vision beschreibt, vor deren Hintergrund vieles deutlicher wird:
Voll Zorn schreitest du über die Erde, in deinem Groll zerstampfst du die Völker. Du ziehst aus, um dein Volk zu retten, um deinem Gesalbten zu helfen. Vom Haus des Ruchlosen schlägst du das Dach weg und legst das Fundament frei bis hinab auf den Felsen. Mit deinen Pfeilen durchbohrst du den Kopf seiner Krieger, die heranstürmen, um uns zu verjagen. Sie freuen sich schon voll Übermut, in ihrem Versteck den Armen zu fressen. Du bahnst mit deinen Rossen den Weg durch das Meer, durch das gewaltig schäumende Wasser.
Ich zitterte am ganzen Leib, als ich es hörte, ich vernahm den Lärm und ich schrie. Fäulnis befällt meine Glieder und es wanken meine Schritte. Doch in Ruhe erwarte ich den Tag der Not, der dem Volk bevorsteht, das über uns herfällt. Zwar blüht der Feigenbaum nicht, an den Reben ist nichts zu ernten, der Ölbaum bringt keinen Ertrag, die Kornfelder tragen keine Frucht; im Pferch sind keine Schafe, im Stall steht kein Rind mehr. Dennoch will ich jubeln über den Herrn und mich freuen über Gott, meinen Retter. (Hab 3,12-18)
In diesem Text geht es um das Kommen Gottes zum Gericht. Es geht um das „Haus des Ruchlosen“, das bis auf den Felsen darunter zerstört wird. Zünd siehe da: zwischen den beiden Malen, wo Jesus an dem Feigenbaum vorbeikommt, liegt die „Tempelreinigung“! Doch anders als bei Habakuk verläuft die Linie Freund/Feind aus Gottes Sicht nun nicht mehr zwischen Juden und Heiden, sondern mitten durch das Judentum hindurch. Er lässt keinen Zweifel daran: die (reichen!) Sadduzäer und Hohenpriester stehen auf der falschen Seite.
Zugleich sieht Jesus vor sich den „Tag der Not“, der zuerst einmal seine eigene Not bedeutet. Auch dafür ist der Feigenbaum ein Zeichen. Nicht nur ein Zeichen des Gerichts, sondern auch der Hoffnung, denn am Ende lobt der Gerechte seinen Gott, der ihn aus der Not gerettet hat (vgl. das Hosianna!). In Psalm 22 finden wir einen ganz ähnlichen Duktus. Das Verdorren des Feigenbaums ist also kein göttlicher Vandalismus, sondern ein prophetisches Zeichen dafür, dass hier (das heißt: beginnend in der Passion des Messias) die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Gott und der im Aufruhr begriffenen Welt stattfindet.
Bleibt schließlich noch die Frage nach dem Gebet. In diesem Kontext geht es nicht um einen neuen Mercedes, ein größeres Haus oder die Heilung irgendeines Wehwehchens, es geht um das nackte Überleben im finstersten Moment der Krise. Man kann diese Verheißung nicht aus ihrem Kontext lösen und denken, sie sei dann auch noch zeitlos wahr. Wahr war sie aber in ihrer Zeit. Die Urgemeinde floh im jüdischen Krieg 68 n.Chr. aus Jerusalem nach Pella östlich des Jordans und überlebte dort, während die Römer Jerusalem dem Erdboden gleich machten.
Zum Thema „Feigenbaum“ hab ich hier mal was geschrieben:
http://schatzkiste-muc.blog.de/2010/04/05/jesus-ungerecht-feigenbaum-mk-11-13-8310443/
Hm. Meiner Meinung nach geht es gar nicht um die Frage, was daran gerecht ist oder nicht, sondern was das Zeichen sagen soll. Und ein verdorrter Feigenbaum hat eben bestimmte Konnotationen in den Schriften der Propheten.
Ich denke: beides ist richtig. Die Gleichnisse und Zeichenhandlungen Jesu sind eigentlich immer sowohl ins Alte Testament gerichtet, als auch direkt ins Leben der Christen hinein gesprochen: Das Thema „Frucht bringen“ ist ja nun kein kleines.
Schon, nur hielte ich es für problematisch, diese Szene so in einen anderen Kontext zu übertragen (nichts anders wäre das ja), wo doch Jesus in Lukas 13,6ff das genaue Gegenteil sagt. Für mich ist es nicht beides.
Ich denke schon dass Jesus das wortwörtlich und ganz generell so gemeint hat mit dem Beten. Es gibt so viele ähnliche Stellen, die genau in die gleiche Richtung weisen. Beten in Jesu Namen, Glaube wie ein Senfkorn haben, in Ihm bleiben und bitten was wir wollen.
Ich denke aber nicht dass „generelles“ Vertrauen auf Gott dazu ausreicht. Im Markus-Text ist von einem Glauben ohne jeden Zweifel die Rede, und wann haben wir den schon? Wahrscheinlich kann man den wirklich nur haben, wenn man von Gott her schon weiss dass man für etwas bestimmtes bestimmtes beten soll, dass es Gottes Wille ist – entweder schon immer, oder vielleicht weil Gott einem Drängen nachgegeben hat. Ich denke mir manchmal, Jesus hat hier vor allem beschrieben, wie *Er* alles vom Vater bekommt, was Er bittet – und das ist es wohl, wo seine Jünger im Idealfall auch hinkommen könn(t)en, wenn sie immer ganz mit Jesus verbunden wären.
Aber nicht einmal Jesus hat vom Vater offenbart bekommen (und dann in seinem Herzen nicht gezweifelt) dass Er Ihm einen Mercedes Benz runterschicken würde. 🙂
Ich denke, es sind schon viele Berge im übertragenen Sinn ins Meer versetzt worden durch glaubensvolles Geben. Und – wie neulich einer so schön gesagt hat – der einzige Grund dass noch nie ein *realer* Berg auf diese Weise im Meer gelandet ist, ist: Es gab noch keinen, der wirklich ohne Zweifen in seinem Herzen sich so etwas vorstellen konnte.
@Jürgen: Genau vor dieser Auslegung scheue ich zurück. Läuft das nicht darauf hinaus, dass man auf der Seite Gottes ein grenzenloses Angebot – freilich mit einer gravierenden Einschränkung („bloß ja keinen Zweifel“) – konstatiert, was dazu führt, dass (da ja kaum einer die Bedingungen je erfüllt) in der Praxis nur ganz selten Gebete erhört werden? Muss man sich da nicht eigentlich {sorry für den Ausdruck) von Gott letztlich doch verarscht fühlen? Der wusste doch die ganze Zeit um unsere (Glaubens-)Schwäche…
Zum Thema Berg: Man muss m.E. schon überlegen, welchen Berg Jesus und die Jünger konkret vor Augen hatten, als dieser Satz fiel. Dann passt es wieder wunderbar in den übrigen Kontext. Es geht doch nicht um irgendwelche Berge irgendwo, und auch nicht in einem ganz allgemein metaphorischen Sinn (irgendein großes Problem), sondern den „Berg aller Berge“, den sie vor der Nase hatten und auf dem das „Haus“ steht, dessen Zerstörung Jesus tags zuvor angekündigt hatte.
Ich denke schon dass es darauf hinausläuft: Gottes Angebot ist sicher größer ist als das, was wir davon in Anspruch nehmen. I. e. Gott würde sich für uns mehr Glauben wünschen (sagt Jesus des öfteren!) und dann auch mehr Gebete erhören.
Du meinst, wir müssten uns von Gott verarschst fühlen, weil er doch weiss wieviel (oder wie wenig) Glauben wir haben; oder erst recht, weil Gott es doch ist, der den Glauben erst schenkt? – Wenn das ganze *statisch* wäre, dann vielleicht schon. Aber der Glaube wächst doch, gerade dann wenn man sich auf Gott einläßt und Erlebnisse mit ihm hat – wie bei einer positiven Rückkopplung. Wenn Jesus sein „wenn Ihr Glauben“ hättet …“ irgendwie abqualifizierend sagen würde, dann wär’s wohl wirklich einen blöde Situation. Aber Er will doch einladen, und führt uns etwas vor Augen, wo wir *hinkommen* könn(t)en.
Ich frage mich oft, wenn ich Biographien von Menschen lese, die aussergewöhnliches mit Gott erlebt haben, Wunder inclusive: Hatten die einfach nur Glück und Gott will so etwas nur einigen schenken? (Denke nicht) Oder waren das einfach bessere Menschen? (Denke auch nicht) Oder haben sie sich einfach auf etwas eingelassen, was Gott vielen schenken möchte, wo sich aber die meisten nicht mitgehen trauen?
Wenn im Habakuk-Text von Feigen, Reben und Öl die Rede ist, so bezieht sich der Prophet auf die „sieben Arten“, die in der jüdischen Tradition eine besondere Rolle spielen. So wird immer wieder das jüdische Volk aber auch die Torah mit einer Feige bzw. dem Feigenbaum verglichen:
So heißt es über die Feige:
„Warum wird die Torah mit einem Feigenbaum verglichen? Weil bei den meisten Bäumen (Oliven, Wein, Datteln, Granatapfelbäumen) die Früchte zu einer Zeit geerntet werden. Vom Feigenbaum wird nach und nach gepflückt. Ebenso ist es mit der Torah: Man lernt ein wenig an einem Tag und mehr am nächsten, denn man kann sie nicht lernen in ein oder zwei Jahren“ (Bamidbar Raba)
„Mit den Feigen verhält es sich ebenso wie mit den Patriarchen und ihren Nachkommen: Sie reifen nicht zur selben Zeit. Der erste, der „reifte“ war Abraham, dann Yitzhak, denn Jakob und danach der Rest des Volkes Israel“ (Bereschit Raba)
„Mit den Feigen ebenso verhält wie mit den Patriarchen und ihren Nachkommen: Sie reifen nicht zur selben Zeit. Der erste, der „reifte“ war Abraham, dann Yitzhak, denn Jakob und danach der Rest des Volkes Israel“ (Bab. Talmud, Traktat Eruwim)
Auch die Reben des Weinstocks werden oft mit dem Volk Israel verglichen. Und große Schriftgelehrte wurden „anschei eschkolot“ („Menschen der Reben“) genannt um darauf hinzuweisen, dass deren umfassende Torahkenntnisse aus vielen Einzelteilen besteht wie die Rebe.
Nochmal zu dem Berg. Hab darüber nachgedacht – denn dieser Zusammenhang ist mir bisher noch gar nie gekommen, dass auch *das* eine Anspielung auf die Zerstörungs Jerusalems sein könnte. Soweit klar, aus dem Kontext: Jesus war bei Jerusalem, wenn Er also sagt „dieser Berg“ dann ist das wohl der von Jerusalem. Entweder als Beispiel für einen Berg (dachte ich immer), oder Er meint eben genau diesen Berg und keinen anderen (neuer Gedanke für mich). – Da tun sich mir aber zwei Probleme auf:
1. Ist bei der Zerstörung Jerusalems / des Tempels tatsächlich der Berg ins Meer gestürzt??
2. Was wäre daran erstrebenswert gewesen, ein Gebetsanliegen (!), dass dieser Berg / Jerusalem / der Tempel zerstört wird?? Jesus hat doch geweint um Jerusalem, weil die Zerstörung kommen musste – und nicht seine Jünger angeleitet, um die Zerstörung zu beten, und den Glauben dafür aufzubringen …
Geht irgendwie nicht auf für mich, die Interpretation. Oder habe ich etwas übersehen?
Oder meinst Du – dann aber doch sehr metaphorisch – die Ausweitung der Erwählung Gottes von Israel (Berg Zion) auf das „Völkermeer“?
@Jürgen: Wie immer in der poetisch-apokalyptischen Literatur und Sprache geht es ja nicht darum, dass der Berg wörtlich ins Meer stürzt (welches auch?), sondern um die Metapher des Untergangs. Das Meer ist für jüdische Landratten der Inbegriff des Unheimlichen und des Chaos.
Und freilich wollte Jesus den Untergang abwenden, es war zu diesem Zeitpunkt aber schon deutlich, dass das so nicht eintrifft (vgl. Markus 13, wo das kommende Gericht detailliert ausgeführt wird).
Was da untergeht (und wofür Jesus und seine Jünger dann eben doch beten können) ist das „Haus der Ruchlosen“. So haben nicht nur Jesus, sondern auch die Essener und viele andere Juden den Tempel des Herodes gesehen. Wenn man Markus 13 liest, dann werden da etliche alttestamentliche Gerichtsdrohungen gegen Babylon auf Jerusalem übertragen.
Das mit dem Herodes-tempel und den Ruchlosen klingt gut; hatte ich so noch nicht gesehen, im Zusammenhang mit dem Berg. Auch, dass an anderer Stelle Jesus als Beispiel für das „Versetzen durch Glauben“ einen Baum nennt statt eines Berges, könnte man noch in diese Richtung deuten, weil ja der Feigenbaum auch voller Symbolik für Israel ist.
Aber die Sache hat einen Haken. Wenn in Mk 11,23 tatsächlich noch von „diesen Berg“ die Rede ist, dann geht Jesus schon im nächsten Vers explizit vom Speziellen zum Allgemeinen über: „Darum sage ich euch: *alles*, um was ihr auch betet ….“
Lukas stellt die ähnliche Aussage Jesu im Bezug auf den Baum sogar direkt in Zusammenhang mit der Bitte der Jünger, ihren Glauben zu vergrößern (Lk 17,6f).
Und bei Johannes gibt es so viele Aussagen, dass wir – unter bestimmten Voruassetzungen – bitten können was wir wollen, und Gott es tun wird, dass man schon einen Liste davon anlegen kann:
Jo 14,13f
Jo 15,7
Jo 15,16
Jo 16,23
Jo 16,24
Jo 16,26
1. Jo 3,22
1. Jo 5,14f
Ich finde selbst wenn Jesus in Mk 11 tatsächlich an den Tempelberg angeknüpft hat und die Bedeutungen mitschwingen, die Du mir hier aufgezeigt hast – es gibt einfach so *viele* Stellen in der Bibel, die das gleiche ganz allgemein behaupten. Es gibt keine Grenzen für Gebetserhörungen für jemanden, der im Willen Gottes bittet, Glauben an das Erbetene hat, ganz mit Jesus verbunden ist.
Und das ist eine Herausforderung; aber doch eine schöne! Es ist noch viel Platz nach oben, für unser geistliches Wachstum!
@Jürgen: Was an anderen Stellen steht, ist erst einmal für die Auslegung hier unwichtig, sofern kein klarer Bezug dazu vorliegt. Mit ging es ja gerade darum, wie diese (für sich genommen scheinbar sehr allgemeine, aber eben auch der Erfahrung oft widersprechende) Aussage über das Bitten in diesem Kontext zu verstehen ist. Mag sein, dass das im Corpus Iohanneum dann anders erscheint (wie so Vieles). Insofern ist das für mich eben kein Übergang zum Allgemeinen!
Ich will auch nicht sagen, dass der Glaube nicht wachsen kann. Ich sehe nur hier in diesem Zusammenhang darauf keinen Hinweis.
Hmm … Der Übergang vom Speziellen zum Allgemeinen passiert doch genau im Markus-Text, von Mk 11,23 zu Mk 11,24. Oder nicht??
(Ich habe die Stellen aus Lukas und Johannes doch nur herangezogen um nochmal deutlich zu machen, dass die allgemeine Aussage zum Bitten und Empfangen im NT kein Einzelfall ist.)
Bei einer Aufführung des Markus-Experiments von Andrew Page (Das Markustheater in 90 Minuten in einem Rundtheater) passiert jedes Mal, wenn ich Regie führe genau das, was Du beschreibst, Peter… Die einzelnen Begebenheiten werden in den großen Kontextest des ganzen Evangeliums gesetzt und das sehr anschaulich und jedes Mal mit etwas neuem für mich.
Beim letzen Jesusschauspieler und besagter Stelle kam jedoch eine Nouance ins Spiel, die ich so noch nie gespielt gesehen hattet. Nach der ersten Aufführung versuchte ich händeringend die gespielte Deutung für die 2. Auffühung zu neutralisieren, dass das Schaupsiel an dieser Stelle zumindest wieder offen wurde für die Deutung, dass der Feigenbaum für das Gericht über den Tempel steht. Als die Jünger Jesus nach der Tempelreinigung auf das Verdorren des Feigenbaumes hingewiesen hat, drehte sich der Jesusdarsteller entrüstet zu ihnen um und meinte „Was, habt ihr etwa nicht (daran) geglaubt?? Wer aber betet (flucht) mit Glauben… usw.“
Deswegen danke für den Hinweis auf Habakuk, der mir bei der nächsten Regieführung unterstützende Worte liefern wird, gegen alle anderen Auslegungen, die der Kontext noch so vorzuschlagen scheint. 🙂