Seit meiner kleinen Zusammenstellung von Moltmann-Zitaten neulich habe ich mich weiter mit der Frage beschäftigt, ob die eigentliche Verschiebung in der Diskussion um emerging church nicht so sehr in der Christologie oder Ekklesiologie (Lehre von der Kirche), sondern in der Eschatologie (die “letzten Dinge”) zu suchen ist. Dafür spricht meiner Meinung nach folgendes:
- Wir sprechen hier von Zukunftsfragen. Also spielt nicht nur die kurzfristige Erwartung eine Rolle, sondern genauso unsere Vorstellung davon, auf was Gott im Großen und Ganzen eigentlich hinaus will.
- Ekklesiologie hat (und das hat Moltmann schön herausgearbeitet) immer einen eschatologischen Horizont. Reichs- und Mehrheitskirchen neigen dazu, Erwartungen auf ein noch ausstehendes Kommen und Wirken Gottes zu unterdrücken, während Minderheits- und Märtyrerkirchen genau das herbeisehnen und darum beten.
- Die entscheidende Verschiebung zwischen Moderne und Postmoderne liegt in der Eschatologie: Die Moderne ging vom weltimmanenten Fortschrittsprinzip aus, das erstens einen stetigen, linearen Aufstieg annahm und sich selbst als das angebrochene goldenen Zeitalter der Menschheit begriff, während die Denker der Postmoderne entdeckt haben, dass aller “Fortschritt” ambivalent ist und nur der vom goldenen Zeitalter reden kann, der auf der Sonnenseite unserer globalen Wirtschaftssysteme lebt. (N.B.: Emergenztheorien kann man als Versuch verstehen, monokausales lineares Fortschrittsdenken zu öffnen und zu überwinden, ohne es nur abzulehnen und damit in totaler Ziellosigkeit zu enden).
Die Frage, wie sich Christen zur “Welt” im umfassenden (und nicht zwangsweise negativen) Sinn verhalten, ist eine Frage der Eschatologie. Wer davon ausgeht, dass das Reich Gottes in einem bestimmten System (christlicher Kaiser, Staat der Pilgerväter, aufgeklärte Demokratie etc.) im Grunde schon angebrochen ist, tut sich schwer mit Kritik an den sozialen Verhältnissen und wird die Kirche als Instrument des Staates verstehen, die sich im günstigsten Fall in eine ideale Gesellschaft hinein auflöst.
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Wer die Kirche als Mutter und Lehrmeisterin der Völker versteht, wird die Klerikalisierung der Gesellschaft suchen (die man nicht nur katholisch, sondern auch evangelikal und vor allem fundamentalistisch denken kann). Da wird vor allem mit Absolutheitsansprüchen bei Wahrheit und Moral gearbeitet, ob es nun unfehlbare Päpste oder Bibeln sind, mit denen das begründet wird. Die Welt löst sich allmählich, früher oder später, in die triumphierende Kirche auf.
Wer den modernen Fortschrittsmythos einfach umdreht und von der Weltgeschichte nur noch den Untergang erwartet, wird sich zurückziehen und alle Bemühungen auf die “Ewigkeit” richten. Die Welt löst sich in das Inferno auf, die Kirche wird entrückt, und die erwartete “Entrückung” wird innerlich schon vorweggenommen. Irdische Höllen bleiben folglich unangetastet, weil sie gar nicht als solche erkannt werden.
Je nachdem, wie ich die Frage nach den “letzten Dingen” beantworte, werde ich “Gemeinde” und “Kirche” anders verstehen und leben. Wenn heute viele von uns Bonhoeffer lesen, dann deshalb, weil hier eine Minderheiten- und Märtyrerkirche zu uns spricht, die der globalen Realität viel näher kommt als volkskirchliche “Biotope” im satten Europa oder was davon noch übrig ist das bislang sichtbar werden ließen. Nicht mehr gesellschaftliche und intellektuelle Dominanz, sondern das Mitleiden mit den Unterdrückten und der geschundenen Kreatur treten in den Vordergrund. Und das führt zur Entdeckung, dass Gott den (scheinbar) Ohnmächtigen eine andere Art von Macht gegeben hat. Auch dass viele Impulse von N.T. Wright einfließen, der gerade den eschatologischen Horizont der Botschaft Jesu in seinen konkreten sozialen bzw. politischen Bezügen und der Differenz zu seinen jüdischen Zeitgenossen ganz neu herausgearbeitet hat. Oder Lesslie Newbigin, der ebenso wie Walter Brueggemann das Thema Hoffnung als Aufgabe so in den Vordergrund rückt.
Die Implikationen liegen auf der Hand: Es geht nicht mehr darum, dass alle Welt rat- und hilfesuchend zu uns kommt, sondern dass wir in alle Welt gehen und dort bereit sind, in bewusst ausgehaltener Schwachheit und eben auch Ratlosigkeit Gottes Geist Raum zu geben, damit er neue Hoffnung erwecken kann. Plötzlich lernt der “Missionar” mindestens so viel wie der, zu dem er kommt. Auch innergemeindlich gibt es kein Monopol auf die Wahrheit und wir lernen alle von einander – deswegen brauchen wir einander auch und können auf keinen verzichten. Wenn die ganze Schöpfung erneuert und gerettet wird, gehört auch Ökologie mit auf die Tagesordnung (zum Beispiel indem man sich mit Fu Xiancai solidarisiert – ob er Christ ist oder nicht – und für ihn betet). Die Liste der ekklesiologischen Konsequenzen ließe sich noch eine Weile fortsetzen, aber ich lasse es hier bei diesen Andeutungen und denke bzw. lese erst mal weiter.
Hallo Peter,
die Implikationen in deinem letzten Abschnitt sind Dinge, die mir sehr am Herzen liegen. Das Eingestehen der eigenen Schwachheit, das Lernen von anderen…
Interessant finde ich, dass du all das mit dem Verständnis von Eschatologie verknüpfst. Diese Verbindung muss ich erstmal bei mir sacken lassen.
Aufgefallen ist mir schon lange, dass in manchen evangelikalen Gemeinden der moralische Absolutheitsanspruch bspw. der Bibel schon mit dem eines Papstes vergleichbar oder sogar noch höher ist.
Außerdem, dass besonders in diesen Gemeinden die Eschatologie einen sehr hohen Stellenwert hat, manchmal schon fast heilsentscheidend gesehen wird. Ich kenne Christen, für die die wichtigste Frage in ihrem Christsein ist, ob die Entrückung vor oder nach der Trübsalszeit stattfinden wird. Manche leiden sogar unter der Vorstellung, diese 7 Jahre miterleben zu müssen. Ihr ganzer Fokus liegt nur auf diesen Fragen, ihr Leben hängt davon ab.
Ganz ehrlich, für mich ist das eine ungesunde Weltsicht. Dadurch geht so viel Potenzial verloren.
Hi Tino,
ungesund ist ein guter Ausdruck. Ich frage mich, wie man so eine Mentalität „knackt“ bzw. Leuten hilft, das zu überwinden…
hm, ich hatte gestern ein paar Gespräche zu dem Thema. Die eine meinte, sie denkt am besten gar nicht über die Offenbarung nach und verbannt das aus ihrem Blickfeld, weil sie sich sonst totale Gedanken drüber macht.
Aber Wegschauen ist eigentlich das schlechteste Rezept. Die „Gebundenheit“ bleibt ja trotzdem. Ähnlich wie bei „ich darf nicht an Sex denken, ich darf nicht an Sex denken“ 😉
Ich hab versucht, den Fokus umzulenken. Die Frauen mit den Öllampen bei der Hochzeit in Jesu Gleichnis hatten ja auch nicht ständig drüber nachgedacht, wie und wann der Bräutigam kommen wird. Sie haben vorgesorgt und genug Öl mitgenommen. Und genauso sollten wir nicht zu viel daran denken, welche Zeichen jetzt die Endzeit einläuten, sondern eher darauf achten, „genug Öl zu haben“, sprich in der Liebe und Beziehung leben und wachsen. Nur so wird man gestärkt für was-auch-immer-kommt.
Natürlich kriegt man eine Mentalität nicht mit so einem Ratschlag einfach „geknackt“, aber was können wir mehr geben als Denkanstöße und andere Sichtweisen?
Ich bin ein bisschen spät hier, aber habe diesen interessanten Beitrag erst jetzt entdeckt und noch eine Frage: Du schreibst, dass der Übergang der Moderne zur Postmoderne auch mit dem Abschied an den allgemeinen Fortschrittsglauben zu tun hat. Ich hätte das bisher nicht so in Verbindung gebracht, sondern diesen Abschied schon mit dem 1. Weltkrieg und in theologischer Hinsicht mit der Abkehr Karl Barths von der liberalen Theologie im Zusammenhang gesehen. Oder ist das zu deutsch und zu theologisch gedacht und der Fortschrittsglaube hat weltweit auch die beiden Kriege überlebt?
Und da dieser Beitrag schon fast ein Jahr alt ist, würde mich außerdem noch interessieren, ob das immer noch so sagen würdest, dass du die hauptsächliche Verschiebung in der Eschatologie sehen würdest? OK, das war jetzt eine Frage mehr als angekündigt, aber vielleicht krieg ich ja trotzdem ne Antwort 😉
In der Theologie und bei Barth mag das stimmen, aber der Aufschwung nach dem II. Weltkrieg hat doch den Optimismus nochmal kräftig belebt. Vor allem im Wirtschaftswunderland Deutschland und in den USA – wenn schon nicht den zivilisatorischen, dann zumindest den ökonomischen und technokratischen. Man muss sich nur mal die Wahnsinnsprojekte der 60er/70er Jahre ansehen wie Assuan (oder jüngst das Staudammprojekt in China, wo die Postmoderne wohl auch noch etwas auf sich warten lässt). Freilich war er schon brüchig. Aber erst die Massenvernichtungsmittel und später seit Tschernobyl die globalen ökologischen Risiken haben ein Umdenken im großen Stil bewirkt – das auch noch nicht alle errreicht hat 🙁
Dieser Post ist so gut, dass man ihn auch noch noch später mal kommentieren kann! Hatte gerade in den letzten Wochen genau diesen Gedanken: Könnte nicht vielleicht eine neue Wahrnehmung der Eschatologie das Zentrum der emerging conversation bilden? Peter Rollins setzt mit seinem sehr beliebten Buch zwar nicht dort an – aber für uns Deutsche könnte ja vielleicht ein Moltmann-Revival einen eigenen Beitrag zur Diskussion bilden?
Ja, vielleicht…
Ich habe in den letzten Tagen LeRon Shults weiter gelesen. Eine Kategorie, in der er von Gott redet, ist „Futurity“. Bei Moltmann fällt das unter das Stichwort Advent. Das bedeutet, die Richtung von Zeit kehrt sich um und Dinge werden nicht vom kausalen Ursprung her, sondern vom komplexen und offenen Ende aus verstanden.