Seit einigen Jahren macht der emerging Gummibär zunehmend von sich reden. Hatte der moderne Gummibär in der Form des Goldbären (Tagesproduktion: 80 Millionen) über Generationen zusammen mit der Colaflasche hinweg die Regale der Warenhäuser dominiert, versank er in den vergangenen Jahren in einer Flut neuartiger Gummiprodukte. Die Globalisierung öffnete die Menschen für andere, exotische Geschmäcker. Eine existenzielle Krise war die Folge: Sollten Gummibären sich dem Pluralismus des Supermarktes beugen? Waren also synkretistische Gummimischungen angesagt: Bären, Flaschen, Schnuller, saure Pommes oder gar bislang als okkult verschrieene Vampire und Chiliteufel? Noch schwerer wog die Frage, ob über die Ökumene der Fruchtgummis hinaus Berührungen mit den Zucker- und Gelatine-Ersatzstoffen denkbar und legitim waren. Kann man süß sein und doch zuckerfrei, um all denen gerecht zu werden, die keinen Zucker mögen oder vertragen?
Der emerging Gummibär steht vor der Herausforderung, in dieser neuen Situation eine grundlegende Neuorientierung zu leisten. So hatten spätmoderne Experimente mit veränderten Packungen, insbesondere in den Megatüten US-amerikanischer Herkunft, vor allem bei jüngeren Naschern keinen durchschlagenden Erfolg. Der Gummibär selbst musste sich ändern, um seine Mission zu erfüllen, dem Leben die richtige Süße zu geben.
Emerging Gummibären setzen vermehrt auf kleine Packungen, und eine größere Differenz in Größe, Form und Geschmack. Aufgrund der neuen Konsistenz kleben manche mehr zusammen als ihre glatten, gewachsten Vorläufer, die genormten Einheitsbären. Emerging Bären werden daher auch häufig von Hand abgewogen. So wird schon der Einkauf zu einer ganzheitlichen Erfahrung für den Nascher. Verstärkt wird dies durch die Rückbesinnung auf alte oder regionale Farb- und Aromastoffe, aber auch innovative Noten, unter denen neben Joghurt vor allem Latte Macchiato zu nennen wäre. Emerging Gummibären lernen, sich mehr als Kunstwerk ihres Schöpfers und weniger als industriell gefertigtes und genormtes Exemplar zu verstehen. Das hat zu einer neuen Begeisterung für Kunst und einer Welle kreativer Einfälle beigetragen.
Kritiker und Traditionalisten stoßen sich an ungewöhnlichen Formen und werfen den emerging Gummibären vor, sich bis zur Unkenntlichkeit anzupassen und vor lauter Sensibilität für Minderheiten die Idee des Gummibären dabei zu verraten. Die Distanz zu esoterischen Praktiken und anderen Naschereien erscheint nicht groß genug, und vielfach wird bemängelt, dass emerging Gummibären auf die – beträchtlichen, wie Kritiker meinen – gesundheitlichen Risiken von Konkurrenzprodukten nicht deutlich genug hingewiesen wird. Andere vermuten, emerging Gummibären seien hauptsächlich in der Blogosphäre anzutreffen und spielten keine Rolle im “richtigen” Leben.
Emerging Gummibären dagegen sehen ihre Mission nicht darin, die Rückkehr zum alten, monokulturellen Süßwarenangebot mit allen Mitteln zu forcieren. Sie sprechen davon, dass zu viele Süßwaren auf einem zentralen Haufen nicht dazu beitragen, die Welt süßer zu machen, sondern höchstens klebriger. Auch wenn emerging Gummibären Beziehungen untereinander schätzen und pflegen, suchen sie doch zunehmend sogenannte “third places”, an denen sich auch Nichtbären aufhalten. Aus diesen Initiativen sind etwa die bekannten MTV Gummis mit Cola- und Fruchtaroma hervorgegangen. Nicht passive Distanz, sondern lebendige Interaktion in einer Gemeinschaft ist ihr Ziel. Erst diese Nähe und die gemeinsame Praxis ermöglicht, dass andere das spezifische Aroma entdecken, das in der lebendigen Mischung mit der jeweiligen Umgebung immer wieder anders wirkt.
Sie nutzen neue Medien, setzen auf die Kraft ihrer Story, statt mit formaler Logik und allgemein gültigen, abstrakten Prinzipien zu argumentieren und suchen verstärkt den Dialog. Ihre Frage ist daher mehr, wie Gummibären dazu beitragen, anderen das Leben nachhaltig und auf heilsame Weise zu versüßen, ohne dabei ihre Mission zu verleugnen und ihre Andersartigkeit aufzugeben. Man kann ihnen dabei nur viel Erfolg wünschen!
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