Gestern hatten wir ein spannendes Gespräch im Team über Gemeinde als Kloster. Wir kamen darauf, weil Schwester Else Wolf vom Konvent Lumen Christi diese Woche gestorben ist. Dann haben wir über verschiedenene Kommunitäten gesprochen und mit welchen Herausforderungen man es da zu tun hat, zum Beispiel beim Generationswechsel.
Schließlich sind wir auf das momentan heiße Thema gekommen, inwiefern der Begriff “Kloster” nicht ein besseres Verständnis von radikaler Nachfolge transportiert als das ausgeleierte, schwammige Wort “Gemeinde”. Vorab muss klar sein, dass damit nicht Zölibat (“Keuschheit” kann man auch anders auslegen), Gütergemeinschaft und Wohnen unter einem Dach gemeint sein muss, wenn wir von Klöstern des 21. Jahrhunderts reden. Bonhoeffer hat zum Beispiel die Bergpredigt als “Regel” verstanden.
Positiv gewendet macht die Kloster-Metapher (vielleicht ist es ja auch mehr als nur eine Metapher) aber eine Menge Sinn, weil sie einen Lebensstil beschreibt, der vieles einschließt, was nicht jeder bei “Gemeinde” automatisch mithört, was aber im Neuen Testament sehr wohl gemeint ist, wenn es um Christsein und Nachfolge geht. Die folgende Liste ist noch unstrukturiert, aber immerhin:
- “Kloster” betont die Dimension gemeinsamen oder geteilten Lebens gegenüber der Teilnahme an “Veranstaltungen”, als die “Gemeinde” oft missverstanden wird (die Sprache verrät alles: In welche Gemeinde gehst du?)
- Es betont den Auftrag einer Gemeinschaft über sich selbst hinaus und verhindert eine Konsum- und Versorgungsmentalität
- Es macht deutlich, dass es für alle Beteiligten um einen Weg, einen Prozess, eine lebenslange Entwicklung geht
- Es verbindet geistlich-spirituelle und geistig-kulturelle Bildung, statt eines auf Kosten des anderen zu betonen
- Spiritualität hat zugleich mit der der persönlichen auch die gemeinschaftliche Dimension. Es gibt so etwas wie eine gegenseitige Zuordnung, man lässt sich festlegen.
- Einfaches Leben, Verzicht auf materielle Dinge und sozialen Status (das ist in unserer Welt weitgehend identisch) und Konzentration statt Zerstreuung
- Das Leben hat einen gemeinsamen Rhythmus (Tag, Woche, Monat, Jahr)
- Gastfreundschaft ist ein hoher Wert
Soweit die Theorie. Wirklich spannend wird es ja erst, wenn es um die Praxis geht: Wie setzt man solche Werte um in einer Gesellschaft, die so mobil und fragmentiert ist wie unsere, ohne damit gleich unerfüllbare Ansprüche zu stellen? Viele von uns träumen von gemeinsamem Leben in unterschiedlichen Formen und manche haben mit der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch schon ihren Frust erlebt. Kann eine Gemeinde klösterliche Strukturen entwickeln und dabei flexibel und variabel bleiben?
Mal sehen, wie sich das Gespräch weiter entwickelt. Wer englisch weiterlesen möchte, kann das hier, hier, hier, und hier tun, oder Ende Januar am Lernwochenende bei Kubik in Karlsruhe teilnehmen. Vielleicht kann ich selbst hin, am liebsten zusammen mit ein paar Leuten von hier.
wir müssen reden. :o)
Sehr gut formuliert. Daran denke ich zur Zeit auch sehr viel…In der Theorie stelle ich mir genauso Gemeinde für das 21.Jahrhundert vor, allerdings habe ich da noch wenig Praxiserfahrung und das ist wohl in der ganzen Diskussion der springende Punkt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden 🙂
Peter, ich finde das gute Kommentare und Zusammenfassung für ein Thema, das mich auch sehr begeistert. Mir ist aber spontan im ersten Teil ein Gedanke gekommen, der mich etwas beunruhigt: die Termionologie zu ändern, um mehr Hingabe zu bekommen ist mir tierisch unsympatisch. Das riecht so nach 2-Stufen-Ding. Wie bei den Wesleys, etc. Es gibt immer wieder die radikalen Leute, die von anderen auch gerne richtige Hingabe sehen würden und dann Kriterien aufstellen, um Insider und Outsider zu trennen. Dadurch erregt man Aufmerksamkeit und Hingabe, ist aber irgendwie uncool. Mein Motto lautet: „Give people utter freedom – and ask everything of them“.
Ja, da hast Du recht, an dem Punkt hatte ich auch Bauchweh. Wir dürften die Terminologie nur ändern, um deutlicher zu machen, was Kirche/Gemeinde eigentlich immer sein soll. Die Wüstenväter oder Franziskus haben das auch so verstanden, denke ich.
Mir geht es gar nicht so sehr um mehr Hingabe, sondern um eine ganzheitlichere Perspektive. Man kann ja auch im herkömmlichen Gemeindemodell furchtbar Stress machen. Von daher würde ich Deinem Motto auch ohne jede Einschränkung zustimmen. Vor allem muss es offen nach außen hin sein und darf nicht elitär werden. Aber das ist wohl eine Frage der Haltung, oder?
Ich glaube, hier geht es um 2 Fragen:
– einmal die nach Abgrenzung. Wie regelt man den Unterschied zwischen den sehr und den weniger Entschiedenen, um es mal so zu formulieren? Das klassische Modell ist das mit den Grenzen: du darfst nur zum Kern gehören, wenn du dich zu folgendem verpflichtest … Das produziert Neid, Heuchelei, Arroganz, 2-Klassen-Denken.
Jesus hat es zu großen Teilen anders gehandhabt: er ging von Ort zu Ort, und wer mitkam, war dabei, wer zurückblieb, war nicht mehr dabei. Er war ein starkes geistliches Zentrum, und jeder regelte selbst den Abstand (die Kerngruppe der 12 ist ein Sonderfall – da ging es um ein [künftiges] Leitungsgremium). Also: Klarheit im Zentrum, und dann muss jeder selbst wissen, wie nahe er dem kommen will.
– das andere ist die Frage nach dem „Kloster“. Genau, wir brauchen (gerade als das oben geforderte „Zentrum“) etwas anderes als das, was wir als „Gemeinde“ kennen. Kein Wunder, dass die Klöster erfunden wurden, nachdem unsere Art von „Gemeinde“ sich ausgebreitet hatte. Sie standen damals schon vor unserem Problem: „Gemeinde“ als Religionsinstitution statt als Lebensgemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger Jesu. Und mit einem guten neuen Wort könnte die ganze Sache schon einen ganz anderen Drive kriegen. Nur „Kloster“ hat immer den Nachteil, dass jeder sofort an Sex denkt, man muss es dann immer erst erklären. Aber vielleicht ist das im Moment ja nicht so schlecht, das Wort lässt jedenfalls aufhorchen. Es ist keine Lösung, sondern eine Problemanzeige mit der Ahnung einer Lösung.
Wenn mir schon ein besseres Wort eingefallen wäre, hätte ich es natürlich jetzt aus der Tasche gezogen!