4.000 km zwischen den Welten

Vor einem Jahr habe ich das Vikariat in St. Leonhard-Schweinau begonnen. Ein guter Anlass, kurz zurück zu blicken, zumal ich auch immer wieder gefragt werde – mal besorgt, mal süffisant, mal neugierig – wie es mir denn so geht.

Der Kilometerzähler an meinem Rad zeigt 4.000 mehr als vor Jahresfrist, und vieles davon geht zurück auf dienstliches Pendeln zwischen Wohnort und „Einsatzgemeinde“, wie das im Kirchensprech heißt. Im Sommerhalbjahr waren es mehr Fahrten, im Winter (und mit mehr Gepäck für den Schulunterricht) spürbar weniger. Das ändert sich jetzt allmählich wieder, und irgendwann erreiche ich dann auch das Tempo vom vergangenen Sommer. Auf dem Weg nach Nürnberg trage ich nun meistens einen Helm, es kommen also ganz neue Gewohnheiten dazu.

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(Foto: Andrew Gook, unsplash.com)

Mehr als nur ein bisschen dankbar bin ich für meinen Mentor, der mir ebenso humorvoll und einfühlsam wie abgeklärt hilft, mich in meine Rolle und in die Gemeindearbeit mit ihren Besonderheit und Eigentümlichkeiten hineinzufinden. Im Predigerseminar habe ich freundliche, aufgeschlossene und kompetente Studienleiter kennengelernt und bin in einem Vikarskurs gelandet, der trotz stattlicher Größe einen bemerkenswerten Zusammenhalt entwickelt hat. Und die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen in der Kirchengemeinde zeigen bis zum heutigen Tag endlose Geduld mit mir, während ich die vielen neuen Namen lerne, vergesse und wieder neu lerne.

Es ist auch ein Jahr der Kontraste: Da ist der Kontrast zwischen der Akademikerstadt Erlangen und dem Nürnberger Westen mit Arbeitern, Angestellten und einem hohen Migrationsanteil an der Bevölkerung. Und der Kontrast zwischen den ELIA-Gottesdiensten im gut gefüllten Theater mit so ziemlich allen Altersgruppen hier und den eher lichten Reihen mit überwiegend ergrauten Häuptern dort, zwischen meist unstrukturiertem Lobpreis und klassischer Liturgie nach G1, zwischen Predigthörern, die an Humor und Ironie gewöhnt sind und solchen, die sich lieber nichts anmerken lassen, wenn ich auf die Idee komme, einen Witz zu reißen, ohne ihn vorher anzukündigen.

Vielleicht liegt letzteres auch an dem schwarzen Talar, an den ich mich nur sehr mühsam gewöhne. Bei Beerdigungen sehe ich den Nutzen noch am klarsten, in allen anderen Situationen bremst und dämpft er gefühlt mehr, als dass er beflügelt. Ein Ausbilder meinte neulich, der Talar schütze auch die Gemeinde vor mir. Gut, da hat er wahrscheinlich Recht…

Mein Aktionsradius ist durch diese Umstände drastisch beschränkt, manche Debatten und Ereignisse bekomme ich nur noch am Rande mit – und es fehlt mir im Grunde auch nicht: Bei soviel Input und neuen Eindrücken, die es zu verarbeiten gilt, sinkt natürlich der Bedarf an zusätzlichen Impulsen von außen. Das einzige, was ich daran vermisse, sind die Begegnungen mit vielen von Euch. Andererseits tut es aber auch gut, so klare Prioritäten zu haben – es vereinfacht das Neinsagen.

Ab und zu höre ich, dass Leute schon wissen und sogar verraten, was für mich nach dem Abschluss im kommenden Jahr folgt. Wenn Ihr so jemandem begegnet, sagt mir Bescheid – ich selbst tappe nämlich noch im Dunkeln und bin immer interessiert an erhellenden Auskünften über meine Zukunft.

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4 Antworten auf „4.000 km zwischen den Welten“

  1. Freut mich zu lesen, dass Dein vergangenes Jahr viel Gutes bereit hielt. Ich wünsche Dir ein sehr gutes zweites Jahr im Vikariat.

  2. Der schwarze Talar ist ja mit Absicht „dämpfend“. Das hat was mit seiner Herkunft zu tun. Es soll halt die Individualität zurückschrauben, damit das Amt in den Mittelpunkt gerückt wird. Das ist bei vielen abendländischen Zunfgewändern / Uniformen etc so.

    Meiner Meinung nach nicht verkehrt. Zu enge Jeans und Kinderpulli sind ja auch so eine Uniform – halt eine zeitgenössische. Was rückt die in den Mittelpunkt?

    1. Erst mal: Es ist schon verblüffend, wie die wenigen Worte zum Talar die meisten Kommentare nach sich ziehen.

      Zur Sache selbst: Ich kenne ja die ganzen Argumente pro Talar. Aber ich halte sie nicht für überzeugend. Jeans und Pulli signalisieren, dass es zwischen Prediger/Liturgen und Gemeinde mehr Gleichheit und Gemeinsamkeit als Unterschiede gibt. Das finde ich wichtig, wenn man im Gemeindeaufbau irgendwie mit dem Priestertum aller Gläubigen ernst machen möchte.

      Der Talar ist ein Relikt des Staatskirchentums, preußische Beamtentracht modisch im Stil des Absolutisten Louis XIV. Und damit nicht mehr zeitgemäß, weil die Staatskirche seit knapp 100 Jahren abgeschafft und der Absolutismus mit dem Evangelium nicht vereinbar ist. Das Gegenüber zur Gemeinde wird m.E. situativ und funktional schon ausreichend durch liturgische Orte symbolisiert: Kanzel, Ambo oder Bühne und Mikrofon.

      Bis zur konstantinischen Wende gab es, so weit ich weiß, gar keine liturgischen Gewänder. Die Kirche kam bestens klar in dieser Zeit, dem Amt hat es auch nicht geschadet. Das wäre heute in einer nachkonstantinischen („post-Christendom“) Ära ein wichtiges Signal, das zeigen würde, wir haben die veränderte Situation verstanden und machen nicht aus lauter Hilflosigkeit einen auf Retro-Klerikalismus.

      Die Albe finde ich insofern einen besseren Kompromiss, als in ihr die Symbolik des Taufgewands aufgenommen ist und sie ökumenisch verbindend erscheint. Auch das fände ich zeitgemäß.

      1. >> Erst mal: Es ist schon verblüffend, wie die wenigen Worte zum Talar die meisten Kommentare nach sich ziehen.

        Oh, ich finde dein Fahrradfahren super. Hab‘ ich auch mal gemacht, nie einen so gesunden Rücken gehabt. Wer ottonormal unterwegs ist – statt Ottomotor – der nimmt auch die Landschaft viel natürlicher in sich auf.

        Nur, beim Talar war eben dieser Stolperer für mich drinne: da hast du einen Punkt _gegen_ den Talar angebracht, den ich normalerweise als Punkt _für_ den Talar erwarten würde. Aber ich steck‘ in der Diskussion auch gar nicht drinne, hab‘ nur manchmal mitgekriegt, daß das ein Thema ist.

        Mal was anderes, ganz so ähnlich wie Motorradgottesdienste könnte man doch mal Fahrradgottesdienste machen? Ich mein‘ ich hatte schon mal irgendwo eine Gemeindeseite gelesen, die hatten da tatsächlich eine Fahrradgruppe…

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