Ein Vergebungsministerium?

Ich bin über diesen Begriff gestolpert in diesem Text von Georg Diez auf Zeit Online (inzwischen hinter der Paywall verschwunden). Es handelt sich also nicht um eine neue Aufgabe für Jens Spahn, der ja zu Beginn der Corona-Maßnahmen anmerkte: „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“

Aber vielleicht deutet sich in Spahn Worten ja eben dieser Umbruch an, um den es Diez geht: Dass wir nämlich ein ganz neues Vokabular brauchen, um die Zukunft zu gestalten und dass unsere alten Begriffe wie „Vernunft“ und „Realismus“, „Freiheit“ und „Individuum“ oder das Etikett „bürgerlich“ dazu nichts mehr beitragen. Sie stammen aus den Umbrüchen des 17. und 18. Jahrhunderts. Jetzt steht ein neuer Umbruch an, für den wir noch keine Worte, Bilder und Erzählungen haben. Deshalb regt er im selben Atemzug auch noch ein „Hoffnungsministerium“ an. Der prosaische Pragmatismus (nicht zuletzt der Merkel-Ära) hat uns in all die Sackgassen hineinbefördert, aus denen wir jetzt mühsam wieder herausfinden müssen.

Da landen also zwei schwergewichtige theologische Begriffe in der gesellschaftspolitischen Debatte. Freilich kann heute noch niemand sagen, ob Diez ein Rufer in der Wüste bleibt oder ob sein Impuls sich durchsetzt. Doch was spräche dagegen, sich an dieser Diskussion zu beteiligen? Man muss ja nicht gleich den Minister stellen und den Diskurs kapern wollen. Es könnte freilich sein, dass uns beim Mitdenken auffällt, wie sehr manche unserer binnenkirchlichen Struktur- und Reformdiskussionen auch unter den „Chiffren im deutschen Schrumpf-Diskurs“ leiden und nach einer unverbrauchten Sprache verlangen. Oder wie sehr uns derzeit noch die Worte fehlen, um den Übergang vom Alten ins Neue zu meistern.

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Was ich damit sagen will: Reden wir doch mit möglichst vielen anderen darüber, was für eine Gesellschaft wir haben wollen. Dann können wir vielleicht irgendwann auch sagen, was für eine Kirche dazu passt. Sonst gilt auch für viele unserer kircheninternen Gespräche: „…wenn die Worte fehlen, ein Morgen zu beschreiben, bleibt Politik fast zwangsläufig im Status quo verhangen, Verwaltungspolitik“. So erleben viele Haupt- und Ehrenamtliche derzeit die Gespräche über den bevorstehenden Landesstellenplan: Es geht um Zahlen, um Vorgaben, die zu erreichen sind, aber wir sprechen kaum mehr davon, wie die Veränderung der kirchlichen Landschaft mit den Veränderungen zusammenhängt, die um uns herum geschehen. Oder geschehen müssten, aber durch diese oder jene Interessengruppe blockiert werden.

Die Sprache der Veränderung

Man könnte auch sagen: Die Zeiten werden härter – die Sprache der Veränderung wiederum wird das nicht unbedingt sein, vielleicht sogar gerade nicht, wird eher weich sein und offen und verletzlich: Sie wird neue Worte hervorbringen oder ins Zentrum rücken, die näher sind an dem, was den Menschen ausmacht, an Körper, Ängsten, Zweifeln, Hoffnungen und Gefühlen. Es können Begriffe von Schönheit und „Sharing“ sein und auch alte Worte wie Glaube, neu kodiert für unser säkulares Zeitalter.

Georg Diez

Was können wir also beitragen zu dem „emotional turn“, von dem Diez schreibt? Es geht ja nicht um Rührseligkeit. Eher vielleicht darum, dass unsere politischen Diskurse derzeit entweder technokratisch-sterile Formulierungen verwenden oder aber – ganz überwiegend im rechten Spektrum – von einem Gemisch aus Angst und Wut dominiert werden. Man konnte den Effekt gut im Wahlkampf beobachten. Um nicht als Angstmacher zu erscheinen, versuchten Politiker*innen über die Klimakrise betont „sachlich“ zu reden, und das heißt bei uns eben: möglichst emotionslos. Umgekehrt verlief die Debatte hochgradig emotional, wo Union, Springerpresse und andere Akteure den Klimaschutz als Angriff auf die Freiheit und Bedrohung unseres Wohlstands und Lebensstils framen konnten, hinter dem wahlweise kopflose Hysteriker stecken oder eiskalte Öko-Diktatoren.

Der Weg durch die Trauer

Mir scheint, viel von dem Ärger ist eine Art maskierte Trauer. Trauer wirkt, wenn sie sich öffentlich zeigt, oft schwach, während Ärger aggressiv auftritt, sich irgendwie stärker anfühlt und sich daher auch leichter zeigen lässt. Wir trauern um die Welt, die wir kannten und in der wir groß geworden sind. Die einen betrauern vor allem die Zerstörung der Natur, die anderen das nahe Ende des fossilen Kapitalismus und dessen Verheißung von materiellem Wohlstand. Trauer ist legitim, Ärger kann schnell übergriffig werden. Wenn Diez oben von Ängsten und Zweifeln spricht – könnte das unser Beitrag sein, der Trauer einen Raum und Rahmen zu geben, damit sie nicht im Gewand des Ärgers und der Spaltung zurückkehrt?

Vielleicht hilft der bewusste Weg über die Trauer auch dabei, die übrigen theologischen Begriffe wie Glaube, Vergebung oder Hoffnung für die aktuelle Situation neu zu kodieren, wie Diez es fordert. In der biblischen Tradition sind es die weinenden Propheten, die dann vollmächtig von Hoffnung reden können. Die Versuchung, die Trauer zu überspringen oder zu umgehen, könnte eine Erklärung dafür sein, warum uns diese neue Sprache, die Sprache der Veränderung, so schwerfällt.

Also, vielleicht fangen wir mal mit dem Trauerministerium an.

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